Von Markus Plate
(San José, 11. Oktober 2017, npl).- Das europäisch stämmige Lateinamerika sieht im 12. Oktober bis heute einen Feiertag für „Zivilisierung“ und „Missionierung“ der „Neuen Welt“. In Spanien ist der Tag, als Kolumbus vor 525 auf den amerikanischen Kontinent traf, Nationalfeiertag. Aber auch in fast allen amerikanischen Ländern wird der 12. Oktober als Tag des „Hispanischen“, als Kolumbustag, oder als Tag des „Kontaktes zweier Kulturen“ begangen. Für das indigene Lateinamerika ist derselbe Tag dagegen ein Symbol für Versklavung und des Völkermords. Wie jedes Jahr begehen Lateinamerikas Indigene den 12. Oktober als Tag des Widerstands – und fordern Ihre Rechte ein.
„Tag der Anklage und der Forderung nach unseren Rechten“
Wenige Jahre nach Kolumbus‘ angeblicher „Entdeckung“ der Neuen Welt, etablierten Konquistadoren wie Hernán Cortés in Mexico, Francisco Pizarro in Peru oder Pedro de Alvarado in Guatemala ihre Vernichtungsfeldzüge und Schreckensherrschaften – ließen Millionen sich zu Tode schinden, verhungern, vergewaltigen. Diese Unterdrückung, die Entrechtung und Entmenschlichung endete keineswegs mit dem Ende der Kolonialherrschaft im 19. Jahrhundert, so der Indigenen- und Kleinbauernaktivist Daniel Pascual aus Guatemala: „Auch nach dem Ende der spanischen Kolonialherrschaft blieben wir in den Händen der spanisch-stämmigen Oberschicht, die weiter über uns herrschte.“ Bis heute würden transnationale Konzerne rücksichtslos die Rohstoffe des Kontinents ausplündern – „unsere Rohstoffe“, wie Pascual sagt. Der 12. Oktober sei für Lateinamerikas Indigene „der Tag der indigenen Würde, des indigenen Widerstandes, ein Tag der Anklage und der Forderung nach unseren Rechten.“
Noch bis in die 1990er Jahre führte der guatemaltekische Staat einen Vernichtungskrieg gegen das indigene Guatemala, ganze Dörfer wurden massakriert. Und bis heute ist das indigene Guatemala arm, sind Kinder unterernährt, haben die Nachfahren der Maya eine deutlich niedrigere Lebenserwartung und weitaus schlechtere Chancen, einen Job zu finden, ist spanisch die einzige offizielle Sprache. Für die junge indigene Publizistin und Wissenschaftlerin Andrea Ixchíu ist der strukturelle Rassismus gegen die Bevölkerungsmehrheit nach wie vor überall sichtbar. „Wenn sich jemand rüpelhaft verhält oder auch nur aus Versehen rempelt, sagen die Leute: Benimm Dich nicht wie ein Indio! Wenn Du als Indígena einen guten Job, zum Beispiel in der Entwicklungszusammenarbeit oder als Journalistin bekommst, dann ja nur, weil diese Arbeitgeber Indígenas angeblich einseitig fördern. Wenn indigene Dörfer ein Radio gründen wollen, weil keine Information zu ihnen gelangt, dann sind diese illegal. Das alles zeigt, wie tief der Rassismus nach wie vor in der Gesellschaft verwurzelt ist.“
Konvention zu Indigenen Rechten
Eigentlich gibt es eine internationale Übereinkunft, eine Konvention zum Schutz indigener Völker und Gemeinschaften. Die Konvention 169 der internationalen Arbeitsorganisation ILO ist die bis heute einzige internationale Norm, die den indigenen Völkern der Erde in 44 Artikeln rechtsverbindlichen Schutz und Anspruch auf eine Vielzahl von Grundrechten einräumt. Regierungen haben die betreffenden Völker zu beteiligen und ihre natürlichen Ressourcen zu schützen. Indigene müssen der Ausbeutung von Bodenschätzen zustimmen. Nationales Zivil- und Strafrecht hat auf indigene Sitten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen, ebenso die Bildungs-, Gesundheits- oder Kulturpolitik.
Allerdings haben erst 22 Länder das Abkommen ratifiziert, immerhin ist fast ganz Lateinamerika dabei, so auch Costa Rica, Guatemala, Honduras und Mexiko. Deutschland übrigens nicht: Unter Verweis auf mögliche Haftungs- und Prozessrisiken für deutsche Unternehmen lehnte die damalige Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP den Antrag 2012 ab. Doch auch in Unterzeichnerstaaten wird die Konvention so uminterpretiert umgangen oder ignoriert, dass sie oft nicht mehr als eine leere Hülse ist.
In Honduras zum Beispiel leben 25 indigene Völker und Gruppen. Auch das nationale Gesetz garantiert ihnen Titel auf das Land ihrer Ahnen. Aber oft genug ignoriert die Regierung das eigene Gesetz und vergibt Landtitel auf Indígena-Land an wohlhabende Familien. Der 25-jährige Juan Samael Matute vom indigenen Volk der Tolupanes aus der Provinz Yoro, nahe der Karibikküste, hat sich vor zwei Jahren dem indigenen Protest angeschlossen. Zur Verteidigung der angestammten Wälder und Flüsse, gegen die Präsenz transnationaler Unternehmen, die nach der ILO-Konvention ja eigentlich der Zustimmung der Indigenen bedarf. Aber es gab keine Befragung, sondern Drohungen und Gewalt: „In meiner indigenen Gemeinschaft sind 4 indigene Compañeros ermordet worden, weil sie unsere Wälder verteidigt haben. Man weiß wer die Mörder sind. Aber die Regierung tut nichts und die Mörder laufen immer noch frei rum und schüchtern die Menschen hier ein.“
Täglich Verletzungen indigener Rechte
In Costa Rica werden Indigene unsichtbar gemacht, von der Zentralregierung, aber auch und gerade von den großen Medien des Landes. Die wichtigsten Fernsehsender, Radiostationen und Zeitungen stammen aus der Hauptstadtregion und befinden sich im Privatbesitz. Sorgen, Nöte und Proteste der indigenen Bevölkerung sind in diesen Medien allenfalls eine Randnotiz, während die Position der Regierung und großer, auch staatlicher Konzerne prominent wieder gegeben wird. Auch Costa Ricas Indigene haben wenig Erfolg damit gehabt, die Regierung und die Medien an die Existenz der ILO-Konvention 169 zu erinnern.
„Deswegen haben wir beschlossen, unseren Widerstand, unsere Autonomie aus den Gemeinden heraus zu organisieren“, so Luisa Vejarano Montezuma, vom Volk der Ngobe, im Süden Costa Ricas. Sie haben mehrfach ihr eigenes, ihnen gesetzlich garantiertes Land besetzt, weil sich dort illegaler Weise Fincas im Besitz von Nicht-Indígenas befanden. „Unsere Compañeros werden mit Macheten angegriffen, zusammen geschlagen, unsere Häuser und Hütten wurden abgebrannt, Frauen und Kinder mussten sich vor der Gewalt tagelang in den Wäldern verstecken“, schimpft die Vierzigjährige. Der Staat habe zwar die Rechte der Indigenen in der Konvention 169 anerkannt. Aber die Sicherheitskräfte handelten meist zu Gunsten der illegalen Landnehmer*innen.
So protestieren auch an diesem 12. Oktober, dem Tag der Hispanität oder dem Tag der Kulturen, Lateinamerikas Indigene gegen die Verletzung ihrer Rechte. Nicht nachlassen, ist die Devise, nur so kann im Jahr 525 nach der angeblichen Entdeckung des Kontinents durch Kolumbus die Aussicht darauf wach gehalten werden, dass die Rechte der Ureinwohner*innen in Zukunft respektiert werden.
Zu diesem Artikel gibt es bei onda auch einen Audiobeitrag, den ihr hier anhören könnt.
Der zwölfte Oktober – Tag des indigenen Widerstands von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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