Afroamerikanische Kultur als Ausdruck des Widerstands

Omnibusgesetz Kultur
Candombe-Parade 2012
Foto: Regierung Buenos Aires via wikimedia
CC BY 2.0 Deed

(Buenos Aires, 21. Januar 2024, Agencia Paco Urondo).- Der 24. Januar ist der Welttag der afrikanischen Kultur und der Menschen afrikanischer Abstammung. Wir sprachen mit den Aktivistinnen Alejandra Egido, Valeria Infante und Yessi Hamot über Schwarzen kulturellen Widerstand in Zeiten der Notstandsdekrete und Omnibusgesetze.

AGENCA PACO URONDO: Welche Bedeutung und welchen Einfluss hat die afrikanische Kultur in Lateinamerika?

Alejandra Egido: Der afrikanische Einfluss auf die Kultur Lateinamerikas ist unübersehbar. Musik, Tanz, Religion, Gastronomie, Sprache – die afrikanische Prägung durchzieht unsere gesamte kulturelle Identität. Die brasilianische Schriftstellerin Leila González spricht von „Amefricalatina“ und verweist damit sowohl auf die ethnische Bedeutung der afrikanischen Kultur als auch auf die intensiven kulturellen Dynamiken im Laufe unserer Geschichte. Dieser Ansatz macht es möglich, die Wechselbeziehungen zwischen Ethnie und lateinamerikanischer Kultur als historischen Prozess des Widerstands und der Neuinterpretation kultureller Modelle mit afrikanischen Bezügen zu betrachten. Die afro-lateinamerikanische Identität ist ein wertvoller Bestandteil unserer heutigen Kultur, der wie so viele andere seine eigene Geschichte hat.

Yessi Hamot: Ich bin seit vielen Jahren eng mit der lateinamerikanischen Musikkultur verbunden und finde, dass wir Menschen mit afrikanischem Hintergrund in der Kunst freier sind. Meiner Meinung nach ist das der Bereich, in dem wir am ehesten respektiert werden. Nimm zum Beispiel den Candombe: Viele seine künstlerischen Varianten haben sich in der Musikkultur verfestigt. Heute finden wir sie in populären Rhythmen wie Cumbia, Axé und Salsa, und uns als Künstler*innen nimmt man als Repräsentant*innen dieses kulturellen Reichtums wahr.

APU: Hat das mit dem umfassenden afroamerikanischen Beitrag in allen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen zu tun?

Valeria Infante: Wir denken, schon, und deshalb finden wir es wichtig, immer wieder zu thematisieren, was das Wissen unserer Vorfahren für uns bedeutet.  Unser kulturelles Erbe, die afrikanisch geprägte Kultur, ist ein mächtiges Instrument gegen alle Arten von strukturellem und systemischem Rassismus, Mikrorassismus und Endo-Rassismus, also, die Verunglimpfung unserer ethnischen Herkunft durch Menschen mit afrikanischem Hintergrund, und dieses Instrument hilft uns beim Kampf gegen die Versuche, uns unsichtbar zu machen. Wenn wir uns dagegen schützen und unsere Geschichte in Argentinien und im übrigen Lateinamerika vor der Kolonisierung retten wollen, müssen wir uns für die Anerkennung und Entwicklung unserer Gemeinschaft einsetzen und entsprechende Maßnahmen im politischen und kulturellen Bereich fordern. Dafür sorgen, dass alle Rechte, die wir errungen haben, auch erhalten bleiben. Uns gegenseitig stärken, zusammenstehen, Strategien entwerfen, die Öffentlichkeit aufrütteln und sensibilisieren. Darin besteht eine unserer größten Herausforderungen

APU: Was meint ihr, inwieweit hat sich die Schwarze Bewegung im Fahrwasser der Menschenrechtsbewegung konsolidiert?

A.E.: Die Menschenrechtsbewegung und die Regierungsinstitutionen und NGOs, die sich für die Förderung der Kultur mit afrikanischen Wurzeln eingesetzt haben, waren da sehr wichtig, aber ich glaube, zu einer wirklich starken Afro-Kultur gehören auch noch andere Bereiche, in denen wir bisher noch nicht viel weiter gekommen sind, zum Beispiel eine integrative Bildungsarbeit, die die Geschichte, die Leistungen und Errungenschaften Schwarzer Menschen umfassend in die Lehrpläne einbezieht, sowie die gezielte Förderung Schwarzer Künstler*innen und kultureller Organisationen und andere Maßnahmen, die die Chancengleichheit in allen Bereichen voranbringen sollen. Solche Förderungen sollten in Absprache mit den Schwarzen Gemeinschaften auf Bundesebene entworfen und umgesetzt werden, um sicherzustellen, dass sie sich an den spezifischen Bedürfnissen und Bestrebungen orientieren. Ich glaube, das wären Schritte, die unsere Kultur sehr stärken würden.

APU: Das sind die historischen Forderungen der Gemeinschaft, die bisher nicht umgesetzt wurden.

Y.H.: Dass wir in unserer Gemeinschaft überhaupt nennenswerten Einfluss im politischen und akademischen Lager haben und im Zusammenhang mit territorialen Fragen gehört werden, ist relativ neu, und ich denke, dass wir als Gemeinschaft erst jetzt, nach Hunderten von Jahren, in der Lage sind, uns auf institutioneller Ebene zu verteidigen. Um anerkannt zu werden, müssen wir grundsätzlich besser sein und mehr leisten als der Rest der Bevölkerung, auch in diesem Umfeld ist es wichtig, weiter für unsere Rechte als Schwarze und Bürger*innen Argentiniens zu kämpfen.

APU: Und welche Rolle spielt der Candombe im afrokulturellen Widerstand in Argentinien?

V.I.: Der Candombe ist eine musikalische Ausdrucksform unserer afrikanischen Wurzeln, die den Geist des Widerstands der Kultur der Vorfahren in sich trägt, ich rede vom Widerstand gegen Rassismus und alle Arten von Unterdrückung. Der Candombe ist lebendiges Kulturerbe. Meine Beziehung zu dieser Tradition war schon immer von Respekt und von einer bestimmten Anziehung geprägt, weil sich in ihr meine eigene meine afrikanische Abstammung spiegelt. Durch den Candombe bin ich dazu gekommen, die verschiedenen Spielarten der afroargentinischen Kultur kennenzulernen, und das wiederum hat mich ermutigt, unsere afro-uruguayischen und afro-argentinischen Bezüge mit dem gebührenden Respekt zu erforschen und mit dafür zu sorgen, dass diese Menschen, die sich auf der Suche nach einer besseren Zukunft für ein Leben in Argentinien entschieden haben, weiterhin sichtbar bleiben. Darum haben wir unsere Candombe-Gruppe Comparsa Africandombe im Parque Lezama in San Telmo gegründet, an einem Ort historischer und kultureller Bedeutung. Hier fand der Handel mit versklavten Menschen statt, die zwangsweise in den Hafen von Buenos Aires gebracht wurden.

APU: In unserem Land müssen afrikanische Wurzeln permanent dagegen angehen, nicht verleugnet oder unsichtbar gemacht zu werden. Gibt es da Ausdrucksformen, die euch besonders bemerkenswert erscheinen?

A.E.: Die afro-argentinischen Gemeinschaften haben sich zweifellos bemüht, ihr kulturelles Erbe wiederzuerlangen, aber der Prozess der Versöhnung mit der Geschichte bleibt eine Herausforderung. Immerhin: Wir sehen die Feiern zu Ehren des Heiligen Baltasar in Camba Cuá [der Überlieferung nach soll Baltasar der Schwarze der Heiligen Drei Könige gewesen sein], die Argentinier*innen kapverdischer Abstammung die mit dem traditionellen kapverdischen Gericht Cachupa ihr afrikanisches Erbe feiern, die Candombe-Umzüge, mit denen Argentinier*innen und Uruguayer*innen in San Telmo sich auf ihr afrikanisches Erbe beziehen, die sprudelnde Lebendigkeit der afrikanischen Religionen im Raum Buenos Aires und das überwältigende Auftauchen von María Remedios del Valle [auch „La Capitana“ und „Madre de la Patria: kämpfte mit bei den Unabhängigkeitskriegen gegen die spanische Kolonialmacht im Rang eines Unteroffiziers] aus der Anonymität. Dass ihr Portrait heute in der Gemäldegalerie der Abgeordnetenkammer zu sehen ist, ist ein eindeutiges Statement gegen das Vergessen der Geschichtsschreibung. Alle diese Beispiele illustrieren den Wunsch der Bevölkerung mit afrikanischem Hintergrund, die unverzeihliche historische Ignoranz zu beenden und ihre Präsenz wiederzuerlangen.

Y.H.: Ich stimme voll und ganz zu. Bemerkenswert ist auch der Beschluss, dass María Remedios del Valle auf den neuen 10.000- und 20.000-Peso-Scheinen abgebildet sein wird. Allerdings müsste 8. November [Todestag von María Remedios del Valle] stärker als Tag zu Ehren der Menschen afrikanischer Abstammung und ihrer Kultur wahrgenommen werden. Aber das widerspricht natürlich der Selbstwahrnehmung eines Landes, das sich bis heute für weiß hält, das macht unseren Kampf so anstrengend. Aber: Es ist die erste politische Anerkennung dieser Art in unserer Geschichte in diesem Teil der Welt.

APU: Welchen Herausforderungen sehen sich afroargentinische Künstler*innen gegenüber, wenn sie von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden wollen?

A.E.: Das gegenwärtige künstlerische Schaffen von Afroargentinier*innen wird im besten Fall als eine Art pädagogische Maßnahme für die Gesellschaft, im schlimmsten Fall als exotische Kreation angesehen. Die Bewahrung und Wiederbelebung kultureller Traditionen bedarf finanzieller Unterstützung. Aber wenn die öffentliche Wahrnehmung von Künstler*innen mit afrikanischem Hintergrund nur mit rassistischen Stereotypen und Vorurteilen behaftet ist und das entsprechende Wissen und Bewusstsein hinsichtlich der afroargentinischen Kultur fehlt, kann die Öffentlichkeit den Kontext unserer Werke nicht vollständig versteht. Dazu kommt, dass Afroargentinier*innen in den Medien kaum sichtbar sind, und in einem so gesättigten und wettbewerbsintensiven Bereich wie der Kunst sind die Herausforderungen ohnehin enorm. Um da zu bestehen, bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung der Kunstschaffenden, der Community und der Kultureinrichtungen.

V.I.: Die wirksamste Art, Rassismus zu bekämpfen, ist zweifelsohne durch ein Bildungskonzept aus afroamerikanischer Perspektive.

Y.H.: Im Moment sehe ich uns als Vorreiter*innen, die gekommen sind, um die Wahrheiten zu erzählen, die aus der Geschichtsschreibung ausgelassen wurden. Zum Beispiel über das Leben von María Remedios del Valle und vieler anderer Brüder und Schwestern, die an der Front in den Schützengräben für die nationale Unabhängigkeit gekämpft haben.

Kultur und Identität sind unveräußerlich

Die afroargentinische Cummunity lehnt die Notstandsdekrete, das Omnibus-Gesetz und das Anti-Picketing-Protokoll vehement ab und unterstützt das Kommuniqué, das die Exekutive dem Kongress vorgelegt hat. Auch der institutionelle Rassismus des Gesetzespakets wird dort explizit angeprangert und das System der kulturellen Apartheid kritisiert, das die Beseitigung der vom argentinischen Volk erworbenen kulturellen, politischen und sozialen Rechte vorsieht, während gleichzeitig die Kriminalisierung der Einwanderung durch den Regierungschef von Buenos Aires zunimmt.

Dazu Yesica, Dozentin für Linguistik und Literatur: „Seit Jahrzehnten unterdrückt eine zahlenmäßig weit unterlegene Elite die Arbeiterklasse und folgt dabei einer europäischen Kultur, die in Argentinien nicht die Mehrheit des Volkes repräsentiert. Diejenigen von uns, die unser Land aufgebaut haben, schützen seine Ressourcen, und wir wollen nicht, dass man uns unsere erkämpften Rechte und kulturellen Ausdrucksformen wegnimmt. Wenn sich die Notstandsdekrete durchsetzen, würde das für die Candombe-Traditionen, bei denen viele Familien gemeinsam auf der Straße feiern und zum Takt der Trommeln tanzen, das Ende bedeuten“.

Valeria Infante ist Kulturmanagerin des Kulturzentrums Soñarte und Gründerin der der Candombe-Gruppe Africandombe. Alejandra Egido ist Gründerin und Leiterin des Teatro en Sepia. Als Vertreterinnen der politischen Bewegung von Menschen afrikanischer Abstammung sind sie sich darüber im Klaren, was die Kürzung oder Streichung staatlicher Programme und Projekte für ihre Community bedeuten würde.

A.E.: Der Abrazo [Protestakt von Künstler*innen gegen geplante Streichungen im Kulturbereich. Die Aktion fand am Nachmittag des 9. Januar statt] vor dem Nationalfons für Künstlerische Förderung (FNA) war meiner Meinung nach die erste kulturelle Aktion, und mir war klar, dass ich da hinmuss. Im Jahr 2015 gewann ich eine Ausschreibung des FNO, der Titel war, glaube ich, „Kunst als soziales Werkzeug“. Mit dem Preisgeld konnte Teatro en Sepia unser Projekt Certificar nuestra existencia durchführen, eine kunstbasierte Untersuchung der sozioökonomischen Realität Schwarzer Frauen in Ciudad Evita La Matanza. Auf dem Weg zu der Aktion musste ich an die afroargentinische Künstlerin Carmen Platero, Gründerin von La Comedia Negra de Buenos Aires, denken. Sie hat 2011 ein ähnliches FNA-Stipendium erhalten, also habe ich in gewisser Weise in unser beider Namen an dem Protest teilgenommen. Zu jener Zeit gab es überhaupt keine Förderungen für afroargentinische Kunst. Im Laufe der Jahre und der Entwicklung der Bewegung konnten wir erreichen, dass einige Programme und Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen durchgeführt werden, die sich speziell an Künstler*innen mit afrikanischer Herkunft richten, aber das ist alles noch recht unausgegoren und meiner Meinung nach unzureichend. Die Schließung des Nationalen Kunstfonds, des Staatlichen Filminstituts und der Programme zur Förderung Schwarzer Künstler*innen macht die Lage für uns entsprechend schwieriger.

V.I.: Das Omnibus-Gesetz trifft die gesamte Community zu 100 Prozent, nicht nur auf kultureller Ebene, sondern alle Rechte, für die wir kämpfen, werden mit Füßen getreten. Sie wollen uns kleinmachen, aber das wird ihnen nicht gelingen. Wir werden mit erhobener Faust zur Verteidigung unserer Rechte auf die Straße gehen.

* Auf Beschluss der Autorin enthält dieser Artikel inklusive Sprache.

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