UN-Menschenrechtskomitee urteilt über Abtreibung

von Norma Loto

(Lima, 25. Juni 2011, semlac).- Das jüngste Urteil des UN-Menschenrechtskomitees (CDH-ONU) markiert einen Wendepunkt für den Zugang von Frauen zu straffreien Schwangerschaftsabbrüchen. Das UN-Menschenrechtskomitee gab einer Frau Recht und verurteilte den argentinischen Staat. Dieser soll nicht nur das dem Opfer angetane Unrecht anerkennen und wieder gut machen, sondern auch eine „Garantie der Nicht-Wiederholung“ geben. Das bedeutet, dass der argentinische Staat sich verpflichten muss, einen mit diesem Fall vergleichbaren Vorgang nie wieder geschehen zu lassen.

Die Argentinierin L.M.R. ist heute 20 Jahre alt, ihre geistige Entwicklung entspricht jedoch der eines zehnjährigen Kindes. 2006 wurde sie in Folge sexuellen Missbrauchs durch einen Onkel schwanger. Daher wandte sich ihre Mutter an das Krankenhaus der Ortschaft Garnica im Süden der Provinz Buenos Aires mit der Bitte, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Obwohl das Krankenhaus den Eingriff hätte vornehmen können, wurde L.M.R. an das Krankenhaus von La Plata in derselben Provinz überwiesen. Dort forderte man sie zuerst auf, die Vergewaltigung anzuzeigen. L.M.R. war zu diesem Zeitpunkt bereits in der 14. Schwangerschaftswoche.

Im weiteren Verlauf schaltete sich eine Bioethikkommission ein und eine Jugendrichterin ordnete die Einstellung aller medizinischen Maßnahmen an L.M.R. an. Damit wurde ihr der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch verwehrt, obwohl ihr Fall unter den Artikel 86, Abschnitt zwei des Strafgesetzbuches fällt. Der Fall durchlief alle Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof der Provinz Buenos Aires. Dieser urteilte, dass L.M.R. aufgrund dieses Artikels einen verfassungsgemäßes Recht auf Schwangerschaftsabbruch habe.

Gerichte reagierten zu spät

Dieses Urteil war jedoch nichts mehr wert und L.M.R. ließ den Abbruch in einer Privatklinik vornehmen. Daraufhin wurde der argentinische Staat 2007 vor dem UN-Menschenrechtskomitee angeklagt. Die Klage wurde dabei von der argentinischen Sektion des Komitees für die Verteidigung der Frauenrechte in Lateinamerika und der Karibik CLADEM (Comité de América Latina y el Caribe para la Defensa de los Derechos de la Mujer), dem Institut für Geschlechtergleichheit, Recht und Entwicklung INSGENAR (Instituto de Género, Derecho y Desarrollo) und der Organisation Katholikinnen Argentiniens für das Recht auf Selbstbestimmung (Católicas por el Derecho a Decidir de Argentina) unterstützt.

Die jüngste Entscheidung des CDH beruft sich dabei auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) und wendet dessen Rechtssprechung auf den Zugang zu straffreien Schwangerschaftsabbrüchen an. So geht das CDH in seinem Urteil davon aus, dass der Fall eine Verletzung von Artikel sieben dieses völkerrechtlichen Paktes darstelle. Artikel sieben besagt: „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Insbesondere darf niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden.“

Staat hat “physisches und seelisches Leid zugefügt”

Für das CDH ist damit klar, dass der argentinische Staat es versäumt habe, L.M.R. den Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch entsprechend Artikel 86 des Strafgesetzbuches zu garantieren. Damit habe der Staat „der Jugendlichen physisches und seelisches Leid zugefügt, was im Widerspruch zu Artikel sieben des Paktes steht. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei L.M.R. um eine Jugendliche mit Behinderung handelt.“

Zudem fordert das CDH in seinem Urteil, dass Fälle von straffreien Schwangerschaftsabbrüchen nur zwischen Arzt bzw. Ärztin und der Patientin zu behandeln seien. Der Staat habe hier kein Recht sich einzumischen, sondern verletze damit das Recht auf Privatsphäre der Patientin, wie es in Artikel 17 des Internationalen Paktes geregelt ist. Das Fehlen von Mechanismen, die einen Schwangerschaftsabbruch ermöglichen, mache den Staat verantwortlich für die Verletzung des Rechts auf Gleichheit, Nichtdiskriminierung, Freiheit von Folter und unmenschlicher, grausamer oder erniedrigender Behandlung sowie des Rechts auf Intimsphäre, so das CDH.

Erleichterung bei Familie und AktivistInnen

Estela Díaz, Koordinatorin des Sekretariats für Geschlechtergerechtigkeit (Secretaría de Igualdad de Género y Oportunidades) der ArbeiterInnengewerkschaft Argentiniens CTA (Central de Trabajadores de la Argentina) und Aktivistin der Kampagne für das Recht auf legale, sichere und kostenfreie Abtreibung hat L.M.R. und ihre Familie während des gesamten Prozesses begleitet. In einer Pressekonferenz am 19. Mai 2011 gab sie bekannt, dass L.M.R. und ihre Familie mit dem Urteil des CDH sehr zufrieden seien. Der sexuelle Missbrauch innerhalb der Familie habe deutliche Spuren bei ihnen hinterlassen: „Der Vorfall hat die Familie für das restliche Leben traumatisiert.“ Der Rechtsspruch des CDH sei dabei eine Geste der Wiedergutmachung gewesen, denn „das internationale Urteil zeigt L.M.R. und ihrer Familie ‚Ihr seid im Recht‘.“

Auch Vertreter*innen der Organisationen CLADEM, INSGENAR und der Organisation Katholikinnen Argentiniens für das Recht auf Selbstbestimmung äußerten sich positiv und schätzten vor allem die Bedeutung des Urteils für das Leben der jungen Frau und ihrer Familie als hoch ein: „Uns freut außerordentlich, dass das CDH insbesondere dem Antrag auf eine ‚Garantie der Nicht-Wiederholung‘ gefolgt ist und damit deutlich zeigt, dass der Staat verpflichtet ist zu garantieren, dass Maßnahmen ergriffen werden, damit sich solche Fälle in Zukunft nicht wiederholen. Zudem muss der argentinische Staat nun binnen 180 Tagen das CDH darüber informieren, welche Maßnahmen er hierfür umgesetzt hat.“

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