Gerichte für Femizide: ein Funke der Hoffnung

von Louisa Reynolds

(Lima, 04. April 2014, noticias aliadas).- Am 15. März 2013 um etwa 9.30 entfernte sich die 18-jährige Estéfani Julissa Estrada Neill, Jurastudentin aus dem Departamento Quetzaltenango im westlichen Hochland Guatemalas, vom Unterricht und stieg in einen grünen Pickup, der gegenüber des Haupteingangs des Campus geparkt war, wo anscheinend ein junger Mann auf sie wartete. Dies war das letzte Mal als ihre Freund*innen Estéfani lebendig sahen. Wenige Stunden später, etwa um die Mittagszeit, wurde die Leiche Estradas auf einem Schotterweg gefunden, der in die Nachbargemeinde Xecaracoj führt. Das Mädchen wurde erdrosselt. Ihr Handy und ihre Geldbörse waren verschwunden.

Die Mitstudent*innen Estradas, die zu maßgeblichen Zeug*innen des Falls wurden, erklärten gegenüber den polizeilichen Ermittler*innen, dass der junge Mann, mit dem das Mädchen verschwand, ihr 18-jähriger Ex-Freund Óscar Zacarías Ordóñez gewesen sei. Das Paar sei ein Jahr lang heimlich miteinander ausgegangen, da die Eltern des Mädchens nicht in die Beziehung einwilligten. Folglich trafen sich die beiden weiterhin sporadisch, nachdem sie die Beziehung beendeten. Estrada vertraute ihren Freund*innen an, dass sie fürchtete, schwanger zu sein und ihr Ex-Freund von ihr verlangt hätte, niemandem etwas davon zu sagen.

Das Anrufverzeichnis auf dem Handy Estradas, das der Dienstanbieter bereitstellte, zeigte, das die Studentin vor ihrem Tod eine Reihe von Anrufen einer Nummer aus der Nachbargemeinde Olintepeque erhalten hatte, in der ihr Ex-Freund wohnte. Die Polizei machte die Wohnung von Zacarías Ordóñez ausfindig und fand das Handy und die Geldbörse Estradas, sowie einen entsetzlichen Beweis: zwei Fotografien des toten Mädchens in einem Fahrzeug. Die Bilder wurden um 10.52 des Tages gemacht, an dem ihre Leiche gefunden wurde.

Ex-Freund wegen Femizid verurteilt

Auf Basis dieses Beweises und der Aussagen der Mitstudent*innen Estradas klagte die Staatsanwaltschaft den Mann in einem Strafverfahren unter der Zuständigkeit eines Sondergericht für Gewalt gegen Frauen wegen Femizid – dem Mord aus geschlechtsspezifischen Gründen – an. Am 26. Oktober 2013 wurde Zacarías Ordóñez zu 50 Jahren Haft verurteilt.

Von Feminizid wiederum wird gesprochen, wenn der Staat das Opfer des Femizids aufgrund seiner Untätigkeit erneut zum Opfer macht und dem Fall nicht die nötige Aufmerksamkeit schenkt. Einige Expert*innen halten den Feminizid für ein Staatsverbrechen.

Schaurige Zahlen

Estrada ist eine von 759 Frauen, die 2013 in Guatemala gewalttätig ermordet wurden. Dabei handelt es sich laut dem Nationalen Institut für Gerichtswissenschaft INACIF (Instituto Nacional de Ciencias Forenses) um einen Anstieg von sieben Prozent gegenüber dem Jahr 2012. Wie im Fall Estradas wurden 21 Prozent dieser Frauen erdrosselt, weitere 69 Prozent erschossen, neun Prozent erstochen und ein Prozent mit abgetrennten Gliedmassen gefunden.

Laut dem Ministerinnenrat der Frau Mittelamerikas COMMCA (Consejo de Ministras de la Mujer de Centroamérica), der dem System für Mittelamerikanische Integration SICA (Sistema de la Integración Centroamericana) angehört, wurden in Guatemala, dem Land mit der höchsten Femizidrate der Region, in den vergangenen fünf Jahren 3.577 Frauen ermordet.

Guatemala ist außerdem eines der gewalttätigsten Länder der Welt mit einer Mordrate von 48 Morden pro 100.000 Einwohner*innen, im Vergleich zum lateinamerikanischen Durchschnitt, der bei 25 Morden pro 100.000 Einwohner*innen liegt und dem globalen Durchschnitt von neun Morden pro 100.000 Einwohner*innen.

Sondergerichte für genderspezifische Verbrechen

Der Prozess gegen Zacarías Ordóñez oblag dem Tribunal zur Strafverfolgung von Verbrechen des Femizids und anderen Formen von Gewalt gegen Frauen (Tribunal de Sentencia Penal de Delitos de Femicidio y Otras Formas de Violencia Contra la Mujer) in Quetzaltenango, einem der fünf Departamentos, in denen nach Verabschiedung des Gesetzes gegen den Femizid im Jahr 2008 Sondergerichte für genderspezifische Verbrechen eingerichtet wurden.

“Die erste Wirkung des Gesetzes war es, das Problem der Gewalt gegen Frauen sichtbar gemacht zu haben und ebenso die Tatsache, dass der Femizid existiert, nicht abgeleitet vom Mord, sondern als Konsequenz einer ungleichen Machtverteilung. Daher gibt es spezielle Menschenrechte, die diesen Gruppen helfen sollen, den Bedingungen der Ungleichheit zu entkommen”, erklärte Hilda Morales Trujillo, Chefin der Abteilung zur Koordination der Behandlung von Opfern (Departamento de Coordinación de Atención a la Víctima) der Staatsanwaltschaft, gegenüber Noticias Aliadas.

Guatemala wurde 2010 zum ersten Land der Welt, das diese Art von Sondergerichten einrichtete und die Ergebnisse sind in der Tat ermutigend. Gemäß den Zahlen, die das Zentrum für gerichtliche Information, Entwicklung und Statistik CIDEJ (Centro de Información, Desarrollo y Estadística Judicial) bereitstellte, kommt es an den gewöhnlichen Gerichten bei weniger als zehn Prozent der Straftaten wegen Femizid und anderen Formen der Gewalt gegen Frauen zu Urteilen und Strafen, während diese in den Sondergerichten bei über 30 Prozent liegen.

Wichtige Fortschritte

“Unsere Erwartungen beruhen auf der Tatsache, dass das Personal, das in diesen Gerichten arbeitet, einen tiefgreifenden Prozess der Weiterbildung (zu geschlechtsspezifischen Themen) durchläuft. Dadurch wird versucht, die Mentalität zu ändern, um Stereotypen zu bekämpfen, die zum Fortbestehen der Gewalt führen. So beispielsweisen der Glaube, dass es Frauen gefiele geschlagen zu werden, oder dass nur arme Frauen geschlagen würden”, so Morales.

Die Mehrzahl der für die Fälle zuständigen Richter*innen sind Frauen. Die Gerichte verfügen außerdem über profesionelle Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen sowie das Angebot einer Kinderbetreuung, so dass die Kinder versorgt werden können, während die Mütter ihre Zeugenaussagen machen. Die Versorgung der Kinder soll kein Hindernis für die Teilnahme an den Prozessen sein. “Dies trug zur verstärkten Anwesenheit der Opfer bei. Früher machten die Frauen ihre Anzeige und wollten anschließend nicht wieder kommen. Wir haben es geschafft, dass die Opfer sich gestärkt fühlen und weiterhin am Prozess teilnehmen”, betonte die Richterin Ana María Rodríguez gegenüber Noticias Aliadas.

Ebenfalls neu ist, dass diese Gerichte die ethnischen Wurzeln des Opfers sowie Alter und Beziehung zum Angreifer erfassen. Diese Daten sind entscheidende statistische Beweismittel für Forschungszwecke. Die Zahlen des CIDEJ zeigen, dass mehr als 60 Prozent der Gewalttäter, wie Zacarías Ordóñez, Ehemänner oder Partner der Opfer sind.

Trotz Hoffnungsschimmer bleibt viel zu tun

Trotz der Fortschritte wies die Richterin Miriam Méndez des Gerichts fuer Femizide in dem südlichem Departamento Guatemala darauf hin, dass die Mängel bei Verwendung der gerichtsmedizinischen Befunde und die extreme Abhängigkeit von Zeugenberichten weiterhin ein Problem seien. Angélica Valenzuela, Direktorin des Zentrums für Forschung, Ausbildung und Unterstützung der Frau CICAM (Centro de Investigación, Capacitación y Apoyo a la Mujer) merkte außerdem an, dass diese Sondergerichte nicht im ganzen Land tätig seien.

Wie es die bedauernswerten Statistiken zeigen, bleibt noch viel zu tun, um den guatemaltekischen Frauen ihr Recht auf ein Leben ohne Gewalt zu garantieren, auch wenn eine geschlechtsspezifische Justiz einen Funken der Hoffnung gegen die Straflosigkeit darstellen kann.

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