(Mexiko-Stadt, 5. Juni 2020, La Jornada).- Während die Covid-19-Pandemie Millionen Menschen auf der Welt isoliert, die globale Wirtschaft und die gesellschaftliche Normalität zerstört hat, haben innerhalb kurzer Zeit verschiedene Wissenschaftler*innen dazu aufgerufen, die Produktion in den industriellen Tiermastbetrieben einer Überprüfung zu unterziehen, bevor die neue Normalität alles beim Alten belässt.
Die Schweinegrippe von 2009 (H1N1) hatte ihren Ursprung in Mexiko. In einem Schweinemastbetrieb von Smithfield – unter dem Namen Granja Carroll – im von den Bundesstaaten Veracruz und Puebla geteilten Perote-Tal zeigte sich, dass die industrielle Tierproduktion eine Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier darstellt. Journalist*innen wie Luis Hernández Navarro und Forscher*innen dokumentierten damals die Auswirkungen. Doch Smithfield wurde nicht belangt. Nicht einmal das Regelwerk im Land wurde geändert.
Schweinemastanlagen sind ideales Umfeld für Krankheitserreger
Den eingesperrten, zusammengepferchten, genetisch homogenen Tieren mit ihren unterdrückten Immunsystemen werden vorbeugend Antibiotika verabreicht, damit sie eine exakte Zahl von Tagen überleben, um die angestrebte Gewinnrate zu erzielen. Das schafft ein ideales Umfeld für die Krankheitserreger. Auf diese Weise sammelten wir in den vergangenen Jahrzehnten grassierende Epidemien: verschiedene Typen der Vogelgrippe, des Schweinefiebers und des schweren akuten Atemwegsyndroms (SARS).
Die sogenannte Viehzucht-Revolution kam mit dem NAFTA-Freihandelsvertrag (1994) nach Mexiko. Befördert wurde dies durch die Erleichterungen, die das Land aufgrund fehlender Umweltregulierungen, niedriger Lohnkosten und Naturressourcen wie Wasser, sowie der Möglichkeiten des Land Grabbings für Investitionen bietet. Die wachsende Nachfrage nach tierischen Proteinen wurde von den multinationalen Konzernen, die die weltweite Viehproduktion kontrollieren, ausgenutzt.
Die Daten über die Schweinefleischproduktion zeigen uns, wie die Zahl der Betriebe in dem Maße zurückging, in dem sich die Zahl der Schweine auf immer größere Unternehmen konzentrierte. 1991 gab es etwa zwei Millionen bäuerliche Betriebe mit Schweinehaltung, die 10,6 Millionen Schweine produzierten. Davon entfielen 1,5 Millionen Tiere auf 600.000 kleinbäuerliche Haushalte. Die überwiegende Mehrheit der Schweinebetriebe waren mit weniger als 20 Stück Vieh klein, doch sorgten sie für mehr als die Hälfte der Produktion. Am anderen Extrem befanden sich nur 700 Großbetriebe mit mehr als 1000 Stück Schweinevieh, die ein Drittel der Gesamtproduktion ausmachten. 2007 waren 99 Prozent all dieser im Jahr 1991 existierenden Schweinefarmen verschwunden. Das restliche eine Prozent produzierte 75 Prozent mehr als die damalige Gesamtmenge. Diese Konzentration geschah zugunsten der industriellen Schweinemastbetriebe in den Händen nationaler und ausländischer Konzerne. Sie haben sich in neuen Landesregionen angesiedelt, die zu ihren „Hochburgen“ geworden sind.
Geplanter Schlachthof ohne strikte Hygieneregeln
Die Konzerne Granjas Carroll und Kekén machen sich den ersten Platz auf dem mexikanischen Markt streitig. Granjas Carroll ist Eigentum von Smithfield, dem globalen Schweinemastgiganten, sowie von Vereinigte Agrarindustrien Mexikos (AMSA). Der Konzern wurde 1993 gegründet und ist derzeit bereits für fast 13 Prozent der Produktionskapazität verantwortlich. Seine 20 Megabetriebe in Puebla und Veracruz mästen fast 1,6 Millionen Schweine. Es bestehen Pläne, diese Produktion um eine Million auszuweiten und in den angrenzenden Bundesstaat Tlaxcala zu expandieren. Die Bevölkerung der Region klagt, diese Pläne würden ihre Gesundheit und die Umwelt bedrohen. Sie wehrt sich zudem gegen die Einrichtung eines Schlachthofes im Landkreis Oriental, Bundesstaat Puebla. Die Werbekampagne des Konzerns zu seiner sozialen und ökologischen Verantwortung – so soll jedem ein Dollar bezahlt werden, der eine einzige Fliege in der Fabrik findet – ist wenig glaubwürdig. Vor allem angesichts fehlender Inspektionen und fehlender strikter Hygieneregulierungen.
Konkurrent Kekén beschloss, sich im Bundesstaat Yucatán anzusiedeln; an relativ isolierten, von Urwald umgebenen Standorten, um sich vor der grassierenden Ansteckung durch andere Schweinebetriebe zu schützen. Aber den Urwald schützt das Unternehmen nicht, wie die Maya-Gemeinden in der Nachbarschaft berichten. Kekén, der Namen bedeutet auf Maya „Schwein“, hat sogar ihre Sprache usurpiert. Der Maya-Rat des Westens von Yucatán „Chik’in Ja“ hat vor der Umweltbehörde Profepa eine Klage der Bevölkerung eingereicht, denn diese fand eine schwarze Lagune, die sich aus der Entsorgung unbehandelter Festabfälle der Mastfabriken gebildet hatte. Die Abfälle sind schädlich für die Umwelt, die Bienenzucht und die kleinbäuerliche Viehwirtschaft in Kinchil, Hunucmá, Maxcanú und Celestún.
Gefahr für Umwelt und Ökosystem
Die Gemeinde Homún in Yucatán ist eine Ortschaft von weniger als 8.000 Einwohner*innen. Sie betreibt Ökotourismus, dessen Attraktion die Cenotes sind. Diese mit Süßwasser gefüllten Kalksteinlöcher stehen in Verbindung mit den unterirdischen Flüssen in der yucatekischen Karstregion. Homún kämpft gegen das Schweinemastunternehmen Papo, das wiederum einen Vertrag mit Kekén hat. Das Unternehmen begann die Schweinezucht, ohne die zugesagte Kläranlage gebaut zu haben. Unterstützt von der Organisation Indignación klagt die Gemeinde seit September 2018 vor Gericht. Sie macht fehlenden Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht der Maya-Gemeinden sowie bevorstehende Umweltschäden geltend. Im Bundesstaat Yucatán droht die dort neue und florierende Schweineindustrie das fragile Ökosystem zu zerstören.
Homún ist ein Beispiel für Entwicklungsprojekte, die von den Regierungen gefördert werden und für ein paar hundert prekäre Arbeitsplätze das Leben der Gemeinden und das “gute Leben” aufs Spiel setzen.
*Direktorin des Studienzentrums für den Wandel im Mexikanischen Landbau Ceccam (Centro de Estudios para el Cambio en el Campo Mexicano)
Tönnies‘ Verwandtschaft: Schweinefabriken in Mexiko von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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