Von Jessica Zeller
(Berlin/Chachapoyas, 8. Januar 2018, npl).- Chachapoyas ist ein ruhiges Städtchen im Norden Perus mit rund 30.000 Einwohner*innen. Am Hauptplatz des Ortes betreibt Marilyn Velásquez ein Café mit fair gehandelten Produkten lokaler Produzent*innen. Ihre Kund*innen sind vor allem Tourist*innen, die immer häufiger in die Gegend kommen, gibt es doch hier reichlich kulturelles Erbe und idyllische Natur zu bezahlbaren Preisen. Marilyn setzt sich dafür ein, dass von diesem Aufschwung nicht nur Investor*innen aus Lima und dem Ausland profitieren, sondern vor allem die Frauen vor Ort.
Ein Café mit „slow food“ und gerechtem Handel
Es ist ein warmer Spätnachmittag in der sonst so regenreichen Bergregion von Chachapoyas. Die Gäste im Innenhof des Café Fusiones sitzen mit T-Shirt und Baumwollhose bekleidet in der Sonne, drinnen läuft fast pausenlos die Kaffeemaschine. Café-Betreiberin Marilyn Velásquez hat sich einen Cappuccino gemacht und streckt entspannt die Füße von sich. Der Tag nähert sich dem Feierabend. „Café Fusiones existiert jetzt seit acht Jahren. Ich habe es mit einer Studienfreundin gegründet, die mittlerweile in Europa lebt“ berichtet die Mittdreißigerin von den Anfängen ihres Lokals. Die Idee sei es, Bio-Kaffee, Produkte aus der Region und Kunsthandwerk lokaler Produzent*innen zu fairen Preisen anzubieten. „Eine Mischung aus slow food und gerechtem Handel.“
Café Fusiones könnte es in ähnlicher Form wohl auch in einer lateinamerikanischen oder europäischen Großstadt geben. Auf der Speisekarte steht Bio-Essen, in der Vitrine sind selbstgebackene Brownies und vegane Kuchen ansprechend angerichtet. Dazu gibt es frisch gemahlenen Kaffee. Natürlich hat diese Qualität auch ihren Preis. „Klar fragen uns die Leute manchmal, warum eine Tasse bei uns fünf und nicht nur einen Sol kostet, wie woanders. Das erklären wir ihnen dann auch. Dass das mit der Arbeit und den Kosten zusammenhängt, die in dem Kaffee stecken,“ erzählt Betreiberin Marylin. Und ergänzt mit einem Augenzwinkern, dass man den Bio-Kaffee, den sie von einer lokalen Kooperative beziehen, auch abgepackt hier kaufen und bei sich zu Hause zubereiten könne. „Dann ist er auch wesentlich günstiger.“
Direktvertrieb ohne Zwischenhändler
Zu Beginn, so erzählt Marylin, sei Café Fusiones ein Unternehmen mit viel Herzblut und wenig wirtschaftlichem Erfolg gewesen. Es habe lange gedauert, das Vertrauen der Artesanos zu gewinnen. „Zunächst einmal ging es uns darum, die Zwischenhändler ausschalten und mit den Kunsthandwerkern in direkten Austausch zu treten. Sie sollten ihre eigene Arbeit wieder wertschätzen und das hieß auch, ihre Produkte zu einem gerechten Preis anzubieten, also nicht zu billig.“ Marylin Velásquez wird nicht müde zu betonen, dass ein gerechter Preis für fair und ökologisch hergestellte Produkte auch eine Wertschätzung der Erzeuger*innen bedeute. Das gelte nicht nur für die Produzent*innen von Lebensmitteln, sondern auch für die vielen Artesanos, die Kunsthandwerker*innen aus der Region, deren Arbeiten man im Café Fusiones ebenfalls erwerben kann.
Vom Dorf in die Stadt – und wieder zurück
Viele dieser Artesanos sind Frauen. Die Region von Chachapoyas hat eine lange Tradition in der Herstellung von Keramik und Textilien. Rund 50 Kilometer von der Provinzhauptstadt entfernt liegt das kleine Dorf Leymebamba. Marylin ist hier geboren und aufgewachsen. Wie viele Bewohner*innen waren ihre Eltern in der Landwirtschaft tätig. „Meine Mutter war nie in der Schule, konnte weder lesen noch schreiben. Einfach weil mein Großvater das nicht wollte. Als sie selbst Kinder hatte, wollte sie das ändern.“
Also ermöglichten die Eltern nicht nur ihrem Sohn, sondern auch ihren drei Töchtern eine höhere Schulausbildung und ein Studium in Trujillo, einer Großstadt an der peruanischen Pazifikküste. Als Marilyn, kaum hatte sie ihren Abschluss in Tourismus-Wirtschaft in der Tasche, in ihre Herkunftsregion zurückkehrte und sich gemeinsam mit einer Studienfreundin selbstständig machte, rief das in ihrer Familie viel Unverständnis hervor. „Für sie bedeutete das erst mal einen Rückschritt: von der Stadt, die dir alle Möglichkeiten gibt, wieder zurück in die Dorf. Ich musste mich viel erklären.“
Außerdem hat im peruanischen Norden – und natürlich nicht nur dort – trotz aller gut ausgebildeten Frauen, immer noch der Machismo das Sagen. Wenn Marilyn als Chefin mit Männern zu tun habe, habe sie sich zum Beispiel oft einen Chef einfach ausgedacht, der sie als seine Angestellte schickte. „Nur so bekam ich, was ich wollte.“ Heute ist die selbständige Frau stolz darauf, was sie erreicht hat und schätzt ihre Freiheit. „Ich möchte auch andere Frauen auf ihrem Weg unterstützen.“
Die Weberinnen von Leymebamba
Zum Beispiel die Weberinnen aus Leymebamba. Nachdem vor rund zwanzig Jahren im Dorf ein kleines Museum eröffnet wurde, das die Geschichte der Chachapoyas-Indigenas behandelt, wurde auch die Webtradition der Region wieder reaktiviert. Zunächst waren es katholische Nonnen, welche die Frauen im Dorf dazu animierten, ihre Textilien nicht nur für den Eigenbedarf oder den Tausch unter Nachbar*innen anzufertigen, sondern auch an die Tourist*innen weiter zu verkaufen. Weberin Isabel ist eine von ihnen. Im Innenhof ihres Wohnhauses spannt die Mittvierzigerin gemeinsam mit ihrer Mutter mit Holzpflöcken einen Webrahmen auf. Bei Isabel und den anderen Weberinnen aus Leymebamba ist noch alles Handarbeit. „Wir stellen keine Massenware her, exportieren nicht ins Ausland, noch nicht mal nach Lima. Wir machen nur lokale Produktion.“
Kritik von Kirche und Ehemännern
Trotzdem haben Isabel und ihre Kolleginnen für den Geschmack von einigen bereits zu viel gearbeitet, als es sich für Frauen eigentlich gehört. Viele Männer sahen es nicht gern, dass sich die Frauen zunehmend um mehr als Haus, Hof und Kinder kümmerten. „Viele aus unserer Gruppe litten sehr unter ihren Ehemännern“, erzählt die Weberin. Im Streit hätten diese Stoffe zerstört und den Frauen Geld weggenommen. „Einige Männer haben mit der Zeit etwas dazu gelernt, andere nicht.“
Und auch den Nonnen, welche die Produktion der Weberinnen in Leymebamba erst ins Rollen gebracht hatten, wurde der Arbeitselan der Frauen irgendwann zu viel. Nachdem der Orden achtzehn Jahre lang die Schirmherrschaft über den Zusammenschluss der Weberinnen innehatte und viele Vertriebskanäle geöffnet hatte, zog er sich im vergangenen Jahr aus dem Textil-Geschäft zurück. Seitdem stehen Isabel und die anderen ohne funktionierende Nähmaschinen da und müssen ihre Produkte selbst vertreiben. Isabel will es alleine schaffen. „Meine Familie hat mich dabei unterstützt, nicht einfach aufzuhören, sondern meine Erfahrungen und das, was ich bei den Nonnen gelernt habe, weiter einzusetzen. Mit dieser Idee bin ich auf zwei, drei Frauen zu gegangen. Ich mache nun selbst die Kalkulation der Kosten und bezahle die Frauen für ihre Webarbeit. Ich fange gerade erst an. Mein Ziel ist ein kleiner Laden mit Kunsthandwerk in unserem Dorf.“
Würdige Arbeit im Peru des 21. Jahrhunderts
Ähnlich wie Cafébetreiberin Marilyn setzt auch Weberin Isabel auf Frauenpower gepaart mit Kleinunternehmerinnentum. Beide Frauen treffen sich regelmäßig und besprechen, welche Produkte und welche Farben bei den potentiellen Käufer*innen am besten ankommen. „Früher hatte ich oft Zweifel an meinen Produkten. Aber bei den Käufern kommen meine Sachen gut an, und das macht mich stolz.“ Marilyn ergänzt: „Niemand kann mich dazu zwingen, als Frau Dinge zu tun, die ich nicht will und für einen geringen Lohn zwölf Stunden am Tag oder mehr zu arbeiten.“
Würdige Arbeit im Peru des 21. Jahrhundert. Es scheint so, als hätten die zwei Frauen von Chachapoyas zumindest für sich einen Weg gefunden. Drücken wir Isabel und Marilyn also die Daumen, dass sie weiter auf ihren eigenen Weg gehen – ohne zu viele Hindernisse in den Weg gelegt zu bekommen. Und dass sich auch andere Frauen an ihnen ein Beispiel nehmen.
Zu diesem Artikel gibt es auch einen Radiobeitrag bei onda, den ihr hier anhören könnt.
Frauen in Chachapoyas arbeiten für gerechten Handel von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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