(Berlin, 15. Dezember 2021, npla).- Über kaum eine andere Gruppe wurde seit Beginn der Covid-19-Pandemie so wenig gesprochen wie über die Studierenden. Wie haben sie die Pandemie erlebt? Welche Auswirkungen hatte diese Zeit auf ihre Motivation und die Art und Weise, wie sie studieren? Der npla hat mit drei Studierenden aus Chile, Costa Rica und Kolumbien über ihre persönlichen Erfahrungen gesprochen.
Universitäten und Bibliotheken gehörten zu den ersten öffentlichen Einrichtungen, die coronabedingt im Frühjahr 2020 schließen mussten. Die Studierenden haben dies größtenteils stillschweigend hingenommen. Kein Protest war zu hören, als von einem auf den anderen Tag die Lehre von Präsenz auf ausschließlich online umgestellt wurde. Vor allem betroffen waren und sind Studierende, die im Ausland studieren – weit weg von ihren Familien, ohne Sprachkenntnisse und soziales Netz.
Wie David zum Beispiel, er ist Costa-Ricaner und lebt seit mittlerweile vier Jahren in Pisa. Er ist für sein Psychologiestudium nach Italien gezogen. Für ihn war die Pandemie bisher eine Grenzerfahrung: „Für mich war es sehr schwierig, mich umzugewöhnen. Es ist einfach etwas ganz anderes. In der Uni machst du deine Pausen, gehst an die frische Luft, redest mit anderen Personen. Und plötzlich so ganz allein zu sein, eingeschlossen zu Hause, ich war absolut einsam.“
Das Zuhause als Multifunktionsort
Für die chilenische Studentin Flora, die während der Pandemie ihren Master in Interdiszplinären Lateinamerikastudien an der Freien Universität in Berlin begonnen hat, war eine der größten Herausforderungen die Umgestaltung ihres Zimmers in einen Multifunktionsort, in dem sie schlief, arbeitete, aß und studierte: „Ich lebe in einer Vierer-WG. Das Zusammenleben wurde durch die Pandemie erschwert. Wir waren immer alle da, es fehlten einfach Rückzugsräume. Am schwierigsten fand ich es, Grenzen zu setzen. Das heißt, meine Zeit sinnvoll einzuteilen, sowie auch mein Zimmer so aufzuteilen, dass ich eine Abgrenzung zwischen Studium und anderen Sachen hatte.“
Auch der Kolumbianer Tómas fand die Umgewöhnung auf ausschließlich online studieren frustrierend. Aus diesem Grund entschied er sich, im letzten Semester etwas zu verändern. Anstatt von vier Onlineseminaren belegte er ein Praxismodul in den Prinzessinnengärten – einem kommunalen Gartenprojekt in Berlin-Kreuzberg. „Ich habe die Arbeit im Garten gebraucht, um einen Ausgleich zu Homeoffice und Online-Studium zu schaffen. Denn ich war einfach frustriert, die ganze Zeit zu Hause zu sein. Das Praxismodul im Garten war die Rettung für meine mentale Gesundheit“, erzählt Tómas, der auch an der Freien Universität in Berlin studiert.
Weit weg von der Familie – und dann auch noch während einer Pandemie
Auch fast zwei Jahre später sind viele Seminare und Vorlesungen nur online zugänglich und für die Nutzung von Bibliotheken muss ein Zeitfenster gebucht werden. Der Austausch mit Kommiliton*innen ist erschwert, neue Leute kennenzulernen ist quasi unmöglich. Doch dies waren nicht die einzigen Hürden. Vor allem belastete alle interviewten Studierenden auch, dass sie so weit entfernt von ihren Familien waren. Die Unsicherheit darüber, wann und wie sie ihre Familie wiedersehen würden, war zermürbend. David beschreibt es so: „Wir Migrant*innen leben die Pandemie für zwei. Wir erleben sie in dem Land, in dem wir leben und wir erfahren sie auch in dem Ort, aus dem wir kommen.“
Auch Flora berichtet, dass es sie mit am meisten belastet hat, während der Pandemie nicht bei ihrer Familie sein zu können: „Ich habe große Angst, so weit von meiner Familie entfernt zu sein in dieser Zeit. Du weißt einfach nicht, wie du reagieren sollst, wenn sich jemand ansteckt. So langsam nimmt die Angst ab, aber zu Beginn war es wirklich schlimm“. Tómas freut sich durch die Pandemie umso mehr, seine Familie im Dezember nach über einem Jahr endlich wiedersehen zu können. Für ihn haben sich seitdem Prioritäten verschoben: „Die Pandemie war wie eine Ohrfeige. Ich habe dadurch meine Familie ganz anders schätzen gelernt und weiß mittlerweile, wie wertvoll die Zeit ist, die ich mit ihnen verbringe. Das war mir vorher nicht bewusst. “
Für viele Studierende hat die Coronapandemie die Lebenssituation drastisch verändert. Eine Studie der Universität Bamberg zeigt auf, dass sie die Veränderungen allgemein als Verschlechterung wahrgenommen haben. Jede zehnte Person hat ihren Job verloren oder war von Stundenreduzierungen betroffen, dadurch wurde auch die Studienfinanzierung gefährdet. Darüber hinaus klagt ein Großteil der Studierenden über ein höheres Stresslevel. Auch die Studienabbrüche sind seit Beginn der Pandemie im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. Überproportional betroffen sind hierbei Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Kindern und Menschen mit Beeinträchtigungen. All diese Faktoren haben auch Einfluss auf die soziale Ungleichheit im Studium – ebenso wie in der ganzen Gesellschaft.
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„Die Pandemie war wie eine Ohrfeige“ – Studierende erzählen von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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