Ärzt*innen streiken aus Protest gegen Entführungswelle

(Port-au-Prince, 17. März 2022, La Jornada).- Tausende haitianische Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen und andere medizinische Fachkräfte haben Mitte März drei Tage lang gestreikt. Sie protestierten damit gegen die Zunahme von Entführungen durch Banden. Zuletzt waren zwei Ärzte aus einem Krankenhaus in der Hauptstadt Port-au-Prince entführt worden. Zur Unterstützung des Streiks blockierten Menschen die Straßen und verbrannten Reifen.

Öffentliche und private medizinische Einrichtungen blieben in Port-au-Prince und anderen Städten geschlossen. Nur Notaufnahmen empfingen weiterhin Patient*innen. „Wir leben in einer katastrophalen Situation und niemand wird geschützt“, prangerte Dr. Louis Gerald Gilles an, der am Dienstag seine Privatpraxis im Viertel Delmas schloss, nachdem kürzlich zwei seiner Kollegen entführt worden waren. „Kein Berufsfeld ist geschützt. Heute ist es ein Arzt, morgen könnten sie in das Büro eines Anwalts oder eines Architekten einbrechen.“

Immer mehr Entführungen: „Keine soziale Gruppe bleibt verschont“

Laut einem Mitte Februar vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen veröffentlichten Bericht haben die Entführungen in Haiti im vergangenen Jahr um 180 Prozent zugenommen, wobei der Polizei 655 Fälle gemeldet wurden. Die Behörden gehen aber davon aus, dass die Zahl viel höher ist, da viele Fälle nicht gemeldet werden. „Keine soziale Gruppe bleibt verschont: Zu den Opfern gehören Lohnarbeiter, Händler, religiöse Autoritäten, Lehrer, Ärzte, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und ausländische Staatsangehörige,“ heißt es im UN-Bericht.

Die jüngste Entführung von zwei Ärzten hat das Personal des Allgemeinen Krankenhauses von Port-au-Prince verängstigt. Dort kamen im März Gewerkschaftsmitglieder zusammen und stellten fest, dass die Situation seit der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse am 7. Juli 2021 immer schwieriger geworden ist.

Vom Staat fehlen medizinische Ausstattung und Sicherheitsmaßnahmen

Sie warfen der Regierung von Premierminister Ariel Henry vor, die vom Gesundheitsministerium für die Grundversorgung benötigten Mittel nicht freizugeben. Außerdem sei die mangelhafte Sicherheitslage besorgniserregend. „Sie können hier reinkommen, jede oder jeden mitnehmen und wieder gehen, ohne sich Sorgen machen zu müssen“, sagte Guerline Jean-Louis, eine 44-jährige Krankenpflegerin, die sich dem Streik angeschlossen hat. „Deshalb unterstützen wir die Bewegung.“

Beamte des haitianischen Gesundheitsministeriums waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Viele Patient*innen wussten nichts von dem Streik, so auch Mario Fleurimon. Mitte März besuchte der 39-jährige Grundschullehrer eine Klinik und fand sie bis auf einen Wachmann leer vor. Obwohl er frustriert darüber war, dass er keinen Arzt für eine Diabetesuntersuchung aufsuchen konnte, unterstützt er den Streik: „Es sollte einen allgemeinen Aufstand geben, um die Unsicherheit zu bekämpfen“, erklärte er.

In einer Stellungnahme forderte der haitianische Ärzteverband die Regierung auf, auf die bedingungslose Freilassung der Ärzt*innen zu drängen und Maßnahmen zu ergreifen, „um die Flut der Unsicherheit einzudämmen, die uns unseres Grundrechts beraubt, in Freiheit zu leben.“ Einer der entführten Ärzte wurde am 15. März freigelassen, wobei die Bedingungen seiner Freilassung zunächst nicht bekannt waren.

Proteste setzen sich auch nach dem dreitägigen Streik fort

Haitis Premierminister Ariel Henry hatte angekündigt, die Banden zu bekämpfen. Derweil haben die USA und andere Länder Ressourcen und Schulungen angeboten, um die unterbesetzten und unterfinanzierten Polizeiinstitutionen des Landes zu unterstützen.

Der Streik der Ärzt*innen sollte eigentlich am 16. März enden. Doch bereits einen Tag darauf begann ein weiterer Streik der Eigentümer- und Fahrervereinigung, um gegen den Diebstahl von Fahrzeugen im Ort Martissant nahe der Hauptstadt Port-au-Prince zu protestieren. Die Gegend ist stark von Bandengewalt betroffen. Mehrere Einwohner*innen wurden entführt oder getötet, viele von ihnen in öffentlichen Bussen. Auch für den 29. März hatte ein breites Bündnis von sozialen Organisationen zum Protest gegen die Entführungen aufgerufen, Hunderte Menschen folgten dem Aufruf und gingen gegen Bandengewalt und fehlende staatliche Sicherheitsmaßnahmen auf die Straßen.

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