(Lima, 09. Juli 2009, noticias aliadas).- Nach mehr als zwei Monaten Streik der Indigenen des Amazonasgebietes, der nach offiziellen Angaben 33 Todesopfer gefordert hatte, sind die umstrittenen Gesetze 1090 und 1064 am 18. Juni abgeschafft worden. Diese Gesetze hätten Firmen weitreichende Rechte eingeräumt, um die Rohstoffe des Amazonasgebietes zu erschliessen und auszubeuten, ohne der dort ansässigen Bevölkerung ein Mitspracherecht zu gewähren (siehe poonal 848 und 850). Das hat zu einem Aufatmen geführt, aber was jetzt ansteht, ist eine Diskussion über die Zukunft des Amazonasgebietes.
Premierminister Yehude Simon hat die Schaffung neuer Gesprächsinstanzen angekündigt, zu denen letztendlich auch der Interethnische Verband für Entwicklung im peruanischen Amazonasgebiet AIDESEP (Asociación Interétnica para el Desarrollo de la Amazonia Peruana) gehören wird. Dieser Dachverband hat die Proteste angeführt, die das Land seit dem 9. April erschütterten. In den nächsten Wochen könnten so diverse Themen diskutiert werden, über die seit Jahren geschwiegen worden ist.
“Eine unserer Forderungen ist eine landesweite Politik der interkulturellen Bildung“, sagte Walter Kategari, ein Sprecher der Aidesep und Angehöriger der Ethnie Machiguenga. Laut Kategari habe die Regierung diesen Aspekt aus „Mangel an politischem Willen“ ebenso wie gesundheitliche Themen vernachlässigt. Dabei könnten gerade hier die Kenntnisse der Indigenen zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung beitragen.
Der Appell von Kategari hat überraschenderweise keine größeren Reaktionen seitens der Politik hervorgerufen. “Die Politik der peruanischen Regierung sollte die Anerkennung unserer kulturellen Vielfalt zur Grundlage haben” betont Óscar Espinosa, Koordinator der Anthropologischen Abteilung der Päpstlichen Katholischen Universität Perus (PUCP). Der Experte erinnert an die schwachen Versuche, mit denen sich staatliche Politiker*innen an die Belange der Indigenen herangewagt hatten. Erst wurde das Peruanische Institut für Indigene Angelegenheiten von der Regierung Fujimori (1990-2000) aufgelöst. Dann wurde während der Amtszeit von Alejandro Toledo (2001-2006) die Nationale Kommission der andinen, amazonischen und afroperuanischen Völker CONAPA (Comisión Nacional de Pueblos Andinos, Amazónicos y Afroperuanos) gegründet, aus der dann das Nationale Institut für die Entwicklung der andinen, amazonischen und afroperuanischen Völker INDEPA (Instituto Nacional de Desarrollo de los Pueblos Andinos, Amazónicos y Afroperuanos) hervorging. Doch während des Streikes im Amazonasgebiet hüllte sich ausgerechnet diese Institution komplett in Schweigen. Für Espinosa ist dies allerdings keine Überraschung, da die öffentliche Politik seiner Meinung nach die indigenen Angelegenheiten nie ernst genommen hat. “Das INDEPA hat keinen Etat, es ist keine Institution, die etwas zu sagen hat“ betont er. Die brasilianische FUNAI (Fundação Nacional do Índio) hingegen habe sehr wohl Geld und politischen Einfluss. „Es gibt keine Zauberformel, aber es fängt mit politischem Willen an“.
Wäre die Regierung wirklich willens gewesen, hätte sie die indigenen Gruppen vor der Verabschiedung der umstrittenen Gesetze konsultiert. So verlangt es auch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in ihrer Konvention 169 für indigene Völker, die die peruanische Regierung ratifiziert hat. „Die Regierung hätte besser ein Gesetz erlassen sollen, dass diese Konsultationen auch wirklich stattfinden“, so Kategari. Kernstück der Debatte um die Nutzung des Amazonasgebiets war und ist die Landfrage. Sie zeigt die Notwendigkeit einer Konsultation. „Genau darum geht es“ sagt auch Margarita Benavides, Anthropologin am IBC (Instituto de Bien Comun), einer peruanischen Nichtregierungsorganisation, die sich um die bestmögliche Nutzung gemeinschaftlicher Ressourcen wie Wasser und Wald kümmert. Laut Benavides gibt es in Peru 1509 indigene Gemeinden, von denen 267 noch keine Landrechte haben. Es gibt zudem fünf Reservate für isoliert lebende indigene Gruppen mit einer Gesamtgröße von 2,8 Millionen Hektar. Die Regierung hat Petitionen für die Errichtung von sechs weiteren Reservaten erhalten. Dort solle „eine umweltverträglichere Entwicklung stattfinden“, schlägt Benavides vor. Dies könnte Projekte zum Erhalt des Waldes oder nur selektiven und nachhaltig ausgerichteten Holzeinschlag beinhalten. Die indigenen Völker, einschließlich derjenigen ohne Landrechte, benötigen ca. 13 Millionen Hektar Land, das sind 17 Prozent des 78 Millionen Hektar umfassenden Amazonasgebietes Perus.
Das alles setzt allerdings grundlegende Veränderungen in der staatlichen Struktur voraus. “Der Respekt vor den Unterschieden ist grundlegend wichtig” sagt Espinosa. Dies sei die Grundvoraussetzung für einen sinnvollen Dialog. Auf dieser Grundlage könnte es Verfassungsänderungen geben, die aus Peru ein plurikulturelles Land machen würden. Allerdings müsste die Regierung zu diesen Veränderungen bereit sein. In den neuen Verfassungen von Bolivien und Ecuador werden diese als plurinational bezeichnet. Es gebe kein Rezept, so Espinosa, „aber es ist schon komisch, dass wir problemlos unsere kulinarische Diversität akzeptieren, nicht aber die Existenz anderer Völker“. Unterdessen warten die 350.000 Indigenen von 56 Ethnien des Amazonasgebietes noch immer. Jahrhunderte lang wurden sie von der Regierung ignoriert – erst jetzt, durch die gewaltsamen Zusammenstösse, wurde ihr Leben zwischen Abwertung und Vergessen auf die Tagesordnung katapultiert. Das Konzept der Plurinationalität bedeutet auch die Anerkennung andiner indigener Gruppen. Allerdings ist deren Anzahl schwer zu beziffern, da sie nach der Agrarreform von 1969 nur als Bauern/Bäuerinnen bezeichnet worden sind. Doch nach verschiedenen Schätzungen stellen die Indigenen 45 Prozent der 28 Millionen Peruaner*innen.
Für viele von ihnen unterscheidet sich ein „gutes Leben“ sehr von dem Entwicklungskonzept der Regierung. „Wenn wir Mutter Natur schützen wollen, werden wir kriminalisiert“, klagt Mario Palacios, Vorsitzender der Nationalen Vereinigung der von Bergbau betroffenen Gemeinden. Er bezieht sich dabei auf Gruppen, die unter der Regierung García von Verfolgung betroffen waren. Opfer sind dabei häufig Gruppen und Einzelpersonen, die sich für den Umweltschutz engagieren. „Für uns handelt es sich nicht nur um eine Finanz-, sondern auch um eine Umwelt- und Energiekrise“, sagt Palacios, der Mitbegründer einer neuen Partei ist, Perú Plurinacional. Laut Palacios sollte Entwicklung im Einklang mit der Natur verlaufen, anstatt sie zu zerstören. „Wir müssen die irrationale Nutzung von Ressourcen überwinden und die Rechte der Indigenen respektieren.“
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