von Andreas Behn
(Berlin, 19. Juli 2011, npl).- Am Aterro de Flamengo, einer aufgeschütteten Parklandschaft am Strand der Bahia de Guanabara, unweit des Innenstadt-Flughafens Santos Dumont, steht einsam und verlassen ein Denkmal. Ein grauer Zementklotz. Verwittert und nicht gerade ansehnlich. Das „Monument für den Frieden“ mit Inschriften in vielen Sprachen soll das harmonische Zusammenleben aller Völker der Welt symbolisieren. Erbaut wurde das Denkmal anlässlich der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung UNCED (United Nations Conference on Environment and Development), kurz Rio 92.
Symbol und Probelauf
Die UNCED-Konferenz vor 19 Jahren in Rio de Janeiro war der bisher wichtigste Meilenstein internationaler Umweltpolitik. 10.000 Delegierte aus 178 Staaten einigten sich auf Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung und der Armutsbekämpfung, auf die Agenda21 und auf umweltpolitische Leitlinien für Konsum- und Produktionsweisen. Zudem wurden mit den Konventionen zu Klimawandel, biologischer Vielfalt und zur Bekämpfung der Wüstenbildung international verbindliche Verträge unterzeichnet. Diese werden auf den Konferenzen der Teilnehmerstaaten COP (Conference of the Parties) – wie den Klimakonferenzen in Kopenhagen und Cancun – konkretisiert und auf den Treffen der Teilnehmerstaaten MOP (Meeting of the Parties) in globale Gesetzesform gegossen.
20 Jahre später, vom 4. bis 6. Juni 2012, wird Rio de Janeiro erneut Gastgeber der mittlerweile 3. Folgekonferenz des Weltgipfels von 1992 sein. Eine Hochglanz-Broschüre der Stadtregierung ordnet die UN-Konferenz auf einer Zeitleiste ein, die vom Weltstädteforum 2010 bis hin zur Fußball-WM 2014 und der Olympiade 2016 reicht. Rio+20 ist nicht nur ein Symbol für dieses Land, das weltweit die größte Artenvielfalt, die größten Wasserreserven und die meisten Urwaldbestände hat; es ist auch ein Probelauf, ob die städtische Infrastruktur der Durchführung solcher Großveranstaltungen gewachsen ist.
Green Economy-Konzept in der Kritik
Konflikte bei der inhaltlichen Schwerpunktsetzung der Rio+20-Konferenz sind vorprogrammiert. Laut Beschluss der UN-Generalversammlung sollen drei Themen im Mittelpunkt stehen: Die Entwicklung einer „grüneren“ Wirtschaft, der Kampf gegen Armut und die Schaffung eines institutionellen Rahmens für nachhaltige Entwicklung. Zudem soll bilanziert werden, in wie weit die Vorgaben der Agenda21 in den vergangenen 20 Jahren umgesetzt worden sind. Soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen (NRO), die ein offiziell vorgesehenes Parallelforum veranstalten werden, warnen aber schon jetzt davor, dass eine kritische Bilanz, soziale Fragen und ein ökologisches Umdenken ins Hintertreffen geraten werden. Stattdessen, so die Befürchtung, wollen insbesondere die Industriestaaten, aber auch wachstumsorientierte Schwellenländer wie Brasilien oder China die Green Economy als Patentlösung zum Einhalt des Klimawandels und anderer aktueller Krisenerscheinungen präsentieren.
Seit gut zwei Jahren bestimmt der Begriff „Grüne Wirtschaft“ – oder auch „Grünes Wachstum“ bzw. „Ökologische Marktwirtschaft“, wie die UNEP selbst den Begriff „Green Economy“ übersetzt – die Debatten zu Umwelt- und Entwicklungspolitik. Sie wird als Initiative gepriesen, die nicht nur die Ursachen von Entwicklungsproblemen thematisiert, sondern auch die Wirkungszusammenhänge zwischen Wirtschaft, Umwelt und Politik analysiert. Sowohl seitens des UN-Umweltprogramms UNEP (United Nations Environment Programme) wie von Teilen der Staatengruppe G20 wird ein „Green New Deal“ beschworen, der sogar die Folgen der weltweiten Finanzkrisen bewältigen soll.
Alter Wein in grünen Schläuchen
Konkret geht es bei dem Konzept der Grünen Wirtschaft laut einem Ende Mai von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) vorgelegtem Strategiepapier um die Förderung von Wirtschaftswachstum ohne weitere Schädigung der Umwelt. Mittels Steuer- und Wettbewerbspolitik sollen Unternehmen wie Verbraucher*innen zu Nachhaltigkeit angespornt werden. Durch Förderung erneuerbarer Energien, des öffentlichen Verkehrs und der Minderung von CO2-Emissionen können demnach gleichzeitig neue Arbeitsplätze geschaffen, die Umwelt entlastet und die Lebensqualität gesteigert werden. Grundlage dieses grünen Umbaus der Wirtschaft sollen umweltfreundliche Technologien sein.
Dieses Szenario ist für die Mehrheit der organisierten Zivilgesellschaft in Brasilien nichts weiter als alter Wein in grünen Schläuchen. Die thematische Ausrichtung sei ein Rückschritt, mit dem die offizielle Rio+20-Konferenz sogar noch hinter die 1992 von der UNO formulierten Ziele zurückfalle, kritisiert Maureen Santos von der NRO FASE: „Damals wurde anerkannt, dass die Industrieländer aufgrund von Naturzerstörung und Emissionen für die Umweltkrise verantwortlich sind. Der neue Diskurs hingegen ist keine Lösung, da er die Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft nicht in Frage stellt“, so Santos.
Weltsozialforum Rio+20 im Januar 2012
Mittlerweile haben sich vor allem große NRO zu einem Koordinierungskreis zusammengeschlossen, um eine breite Debatte der anstehenden Themen und die Mobilisierung gegen das Postulat von Marktmechanismen zur Lösung von Umweltproblemen zu organisieren. Noch für dieses Jahr sind mehrere Treffen mit internationaler Beteiligung geplant. Der inhaltliche Austausch soll vor allem während eines thematischen Weltsozialforums zu Rio+20 im Januar 2012 im südbrasilianischen Porto Alegre stattfinden.
Das Parallelforum zivilgesellschaftlicher Organisationen soll ebenfalls Anfang Juni 2012 in Zelten und auf Bühnen im Park des Aterro do Flamengo veranstaltet werden – nur wenige Hundert Meter entfernt vom Friedensdenkmal aus dem Jahr 1992. Der vergessene Zementblock läuft Gefahr, den Teil der Menschheit zu symbolisieren, der die guten Vorsätze von damals nicht ernst genommen hat und darauf beharrt, die Ursachen der ökologischen und sozialen Krise mit Lösungen zu verwechseln.
„Vegetarischer Tiger“
„Während die Klimakonferenzen scheitern und die Staaten auf Wirtschaftswachstum um jeden Preis setzen, plädieren einige Wissenschaftler*innen, Regierungen und internationale Organisationen für eine Reform des Kapitalismus, für lindernde Maßnahmen wie jene, die als „Grüne Wirtschaft“ bezeichnet werden,“ kritisiert ein Manifest zu Rio+20, dass auf einem Seminar des Weltsozialforums 2011 in Dakar entstand. „Aber es genügt nicht, einige Teile auszutauschen. Die Finanz-, Ernährungs-, Klima- und Energiekrisen decken sich. Wir erleben eine Katastrophe in Zeitlupe.“ Der portugiesische Soziologe Boaventura de Sousa Santos, Teilnehmer des Seminars in Dakar, bringt den Widerspruch auf eine einfache Formel: „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz ist das gleiche wie ein vegetarischer Tiger.“
Das verbleibende Jahr bis zu Rio+20 verspricht spannende Diskussionen, denn die Trennlinie zwischen richtig und falsch ist alles andere als eindeutig. Die Umweltaktivist*innen sind sich keineswegs einig: Die Positionen reichen von radikal ökologischen Ansätzen über die Kritik an Agrarbusiness und Megaprojekten bis hin zur Verteidigung der CO2-Reduzierung mittels Marktmechanismen wie REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation), der “Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern und anderen Elementen“ der Green Economy. Andererseits könnten reiche und arme Länder die Prinzipien einer Grünen Wirtschaft durchaus unterschiedlich deuten, insbesondere wenn Industriestaaten ihre ökologischen Standards dazu nutzen wollen, ihre Märkte gegen Konkurrent*innen aus dem Süden abzuschotten.
Rio+20: Grüne Wirtschaft oder vegetarischer Tiger? von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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