Isolierte Völker in Gefahr

von Eduardo Valenzuela

(Lima, 06. Juni 2013, servindi).- Ein neues Blutbad in einer entlegenen indigenen Gemeinde in Amazonien lässt Zweifel an den Schutzmaßnahmen aufkommen, die 2006 durch den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte für indigenen Völker eingeführt wurden, die in freiwilliger Isolation leben.

 

Sieben Jahre nach der Einführung der Schutzmaßnahmen starben am 29. März nach noch zu überprüfenden Informationen 30 Angehörige der Taromenane, einer isoliert lebenden Gemeinschaft des Huaorani-Volks. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen aufgenommen und konnte erste Indizien Anfang Mai sicherstellen.

Nach Angaben des Präsidenten der Huaorani-Vereinigung Ecuadors, Kawetipe Yeti starben die 30 Taromenane durch einen Racheakt einer rivalisierenden Gruppe von Huaorani, am Tiguacuno-Fluss im Yasuní-Nationalpark. Auch Frauen und Kinder sollen unter den Opfern gewesen sein. Ein anderer Huaroani der erklärte, den Angriff angeführt zu haben, hatte zuvor von einer geringeren Opferzahl gesprochen.

Zweifel am Schutzplan der Regierung

Die Taromenane und die Tagaeri sind beides Stämme des Huaorani-Volks, die als letzte Volksgruppen im nordöstlichen Amazonasbecken von Ecuador in freiwilliger Isolation leben. Offiziell dehnt sich ihr Siedlungsgebiet auf über 700.000 Hektar aus, das 1999 zum Schutzgebiet für Biodiversität und ethnologische Vielfalt deklariert wurde.

Die jüngsten Auseinandersetzungen in diesem Gebiet mit den Huaorani, die sich teilweise der vorherrschenden Zivilisation geöffnet haben, werfen neue Zweifel an der Schutzzone und dem Vorgehen der Regierung und ihres Entwicklungsmodells für den Yasuní-Park auf, der reich an Bodenschätzen ist.

Der Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, Teil der Organisation Amerikanischer Staaten, forderte den ecuadorianischen Staat bereits 2006 dazu auf, „wirksame Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der persönlichen Unversehrtheit der Mitglieder der Volksgruppen der Tagaeri und Taromenane einzuleiten“. Die Behörden sollten „die bewohnten Gebiete mit den nötigen Mitteln vor dem Zugriff Dritter zu schützen“.

In Folge dessen verabschiedete die ecuadorianische Regierung ein Jahr später den „Plan zum Schutz der isoliert lebenden Völker Tagaeri und Taromeane“ als Teil einer nationalen Politik zugunsten dieser Völker. Diese Politik verfolgt das Ziel, „das Fortbestehen sowie die körperliche Unversehrtheit der freiwillig isoliert lebenden Volksgruppen zu schützen“. So soll der Zugang zu den Schutzgebieten nur für Umweltschützer*innen und Sozialarbeiter*innen möglich sein. Eine Ausnahme bilden andere indigene Volksgruppen, die in der Region ansässig sind, wie eben die Huaorani, deren Volk 4.000 Menschen zählt. Die 300 Taromeane und 30 Tagaeri bilden eine kleine Minderheit in dem Land mit 14,6 Millionen Einwohner*innen, von denen sich nur sieben Prozent einem der 14 indigenen Völkern zugehörig fühlen. Auch dem Militär soll der Zugang zu den Schutzzonen gestattet sein, wenn berechtige Gründe für die nationale Sicherheit vorliegen.

Mehr als ein Stammeskonflikt

In Folge der Gewalttaten informierte die Regierung darüber, dass 2012 eine Gruppe von Feldforscher*innen des Innenministeriums „an die 200 Touren in die fraglichen Gebiete machte, um festzustellen, wo besagte Volksgruppen leben.“

Das Ziel der Begehungen sei gewesen, “Schutzvorkehrungen und andere Maßnahmen zu entwickeln, die den Kontakt mit Siedler*innen oder mit anderen, „verwestlichten“ indigenen Gruppen verhindern“. Gleichzeitig besuchte das Team mehrere nicht-isolierte Gemeinden und befragte sie nach Spuren der geschützten Volksgruppen.

Kritik von der Zivilgesellschaft

Zivilgesellschaftliche Organisationen halten jedoch die Anstrengungen der Regierung für unzureichend und gehen davon aus, dass man die Gewaltausbrüche hätte verhindern können. Die ehemalige linke Abgeordnete María Paula Romo betonte: „Zu denken, dass es sich um eine Konfrontation zwischen indigenen Gruppen oder Clans gehandelt habe, ist inakzeptabel und verschleiert, wer die Verantwortung für die Ereignisse trägt“. Das wahre Problem sei das politische Entwicklungsmodell für das Amazonasgebiet, das grundlegend überdacht werden müsse.

Derselben Meinung ist auch Humberto Cholango vom Bündnis der indigenen Nationalitäten Ecuadors CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador), der größten indigenen Organisation des Landes: „Der Konflikt lässt sich nicht auf eine Konfrontation zweier Volksgruppen reduzieren“, äußerte er gegenüber der Nachrichtenagentur IPS. “Viele möchten diesen Vorfall als ‘Problem unter indigenen Völkern’ abstempeln, und nicht als das, was er ist: das Resultat einer Politik, welche die Ausbeutung von Rohstoffen vorantreibt und so den Druck auf die indigenen Völker erhöht hat. Es handelt sich um ein nationales Problem“. Die Rohstoffpolitik führe dazu, dass die isolierten Volksgruppen ihre Lebensform, ihre Umgebung, ihre Nahrungsmittel und ihre Tiere aufgeben müssen, so Cholango. Sie seien gezwungen, sich zu verteidigen – notfalls auch untereinander.

Regierung bleibt zurückhaltend

Der Direktor des Schutzplanes des Innenministeriums, Juan Sebastián Medina, glaubt jedoch, dass der Konflikt im ecuadorianischen Amazonas nichts mit politischem Druck oder Konflikten um Holz oder Erdöl zu tun hat. „Man muss ihn aus einer weltanschaulichen Perspektive betrachten“, erklärte er.

Der ecuadorianische Präsident Rafael Correa bezeichnete unterdessen die Übergriffe in einer Stellungnahme vom 26. Mai gegenüber der UN als „extrem komplex“. Zehn Tage zuvor hatten die UN die Regierung aufgefordert, den Konflikt unter den Amazonasvölkern zu beenden. „Toll“, entgegnete Correa, „sie sollten uns lieber sagen, wie“. Es sei schwierig, das Leben der nicht kontaktierten Völker zu schützen, ohne sie zu kontaktieren.

Ein paar Tage später schickte eine Gruppe von Anthropolog*innen 16 Empfehlungen an die Behörden, um eine Lösung für den Konflikt zu finden. Die erste Empfehlung lautet, der Staat müsse ein Gutachten erstellen, um sich ein umfassendes Bild der sozialen Dynamiken der Huaorani und ihrer Beziehungen zu den isolierten Volksgruppen zu machen. Außerdem müsse dabei der politisch-ökonomische Kontext der Amazonasregion, insbesondere im Zusammenhang mit der Erdölförderung, miteinbezogen werden.

Die Ergebnisse der Ermittlungen stehen noch aus, um sich ein komplettes Bild über das Ausmaß des jüngsten Übergriffs zu machen. Correa betonte unterdessen, dass auch eventuelle Unterlassungen der Behörden verfolgt würden. Zudem wird darüber nachgedacht, einen Organismus zu schaffen, der direkt mit den Angelegenheiten derjenigen Völker, die in freiwilliger Isolation leben wollen, betraut ist.

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