Dilmas WM: Rousseff profitiert von der guten Stimmung und der Dummheit der Rechten

von Andreas Behn, Rio de Janeiro

(Berlin, 01. Juli 2014, npl).- Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff sollte für das Scheitern des Fußballfestes verantwortlich gemacht werden. Jetzt profitiert sie allerdings von der guten Stimmung und von der Dummheit der Rechten.

 

 

Lulas Vision

Für die Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) war die WM vielleicht die größte Herausforderung in den zwölf Jahren, in denen sie Brasilien regiert. Und das völlig überraschend. Als der damalige Präsident Lula den Fifa-Zuschlag 2007 enthusiastisch feierte, war seine Vision die einer Erfolgsstory: Das wirtschaftlich wie sozial aufstrebende Schwellenland wird mit dem Fußballfest seinen Status als neuer Global Player vor den Augen aller Welt krönen – und zugleich wird dies die Wiederwahl seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff drei Monate später absichern.

Diese hochtrabende Vision wurde von Realismus abgelöst: „Es wird der schwerste Wahlkampf unserer Geschichte“, sagte Lula kürzlich. Er bereitet sich darauf vor, mit der angeschlagenen Präsidentin in den Wahlkampf zu ziehen. Noch immer ist es Lula, der als Macher des brasilianischen Wunders und als Garant der großen Popularität der PT-Regierung gilt.

Rechte und Medien deklarieren Rousseff zum Sündenbock

Für Rousseff war die WM bis zum Anpfiff eine Angstpartie. Ihre Reaktionen auf die Massenproteste im vergangenen Juni kamen bei der Bevölkerung nicht gut an, obwohl sie teilweise durchaus in die richtige Richtung gingen. Kritik an Korruption kam sie mit dem Vorschlag einer umfassenden Politikreform entgegen. Der Forderung nach mehr Bildung und Gesundheit kam sie mit neuen Mitteln aus der Erdölförderung und dem Programm „mehr Ärzte“ nach, über das mittlerweile tausende ausländische, vor allem kubanische Mediziner*innen in den ärmsten Landesteilen eingesetzt wurden.

Es war vor allem die Presse, die Rousseff im Chor mit der rechten Opposition als einzigen Sündenbock darstellte. Sie sei angeblich allein für alle Missstände rund um die WM verantwortlich. Rousseff selbst meldete sich nur selten zu Wort, bis ihre Parteifreund*innen reklamierten, sie müsse endlich in die Offensive gehen. Doch sie versprach nur, dass Brasilien die „beste aller Weltmeisterschaften“ ausrichten werde, und setzte auf einen gigantischen Sicherheitsapparat, um Störungen jeglicher Art zu verhindern.

In Wahlumfragen sank die Beliebtheit der Präsidentin stetig. Doch der bisherige Tiefpunkt dieser Entwicklung markierte zugleich das Ende dieser Tendenz, zumindest vorläufig. Beim Eröffnungsspiel wurde Rousseff nicht nur ausgepfiffen, sondern in Sprechchören auch derb beschimpft. Die beiden Oppositionskandidaten, Aécio Neves von der rechten Partei der brasilianischen Sozialdemokratie PSDB (Partido da Social Democracia Brasileira) und Eduardo Campos vom früheren Koalitionspartner Sozialistische Partei Brasiliens PSB (Partido Socialista Brasileira), kommentierten noch gehässig: „Rousseff erntet, was sie gesät hat“ – ohne zu merken, dass der Bogen überspannt worden war.

Präsidentin profitiert von guter Stimmung im Land

Unflätige Beleidigungen gegen Präsident*innen – das ging den Brasilianer*innen zu weit. Auch viele Konservative stimmten Rousseff zu, als sie unaufgeregt feststellte, dass „Kinder und Familien“ solche Schimpfworte nicht hören sollten. Und Lula nahm die Kritik der WM-Kritiker*innen auf, dass die Stadien ja nur von der „Elite“ frequentiert würden und diese nur ihrem „Hass“ gegen eine sozial agierende Regierung freien Lauf gelassen habe.

Die Medien sahen sich gezwungen, Rousseff mehrheitlich in Schutz zu nehmen und konstatierten bald darauf, dass Brasilien die WM zumindest schon auf den Rängen verloren habe: Die Chilen*innen, Kolumbianer*innen und Argentinier*innen würden dort richtige Fußball-Stimmung inszenieren, während die Brasilianer*innen offenbar zum ersten Mal im Stadion seien und „nicht mal richtig singen“ könnten. Die einheimischen Fans, die sonst eine Heidenstimmung verbreiteten, könnten die hohen Eintrittspreise nicht bezahlen.

Rousseff profitiert jetzt davon, dass vorher alles schief zu gehen schien. Die organisatorischen Mängel werden kaum noch wahrgenommen und eher als brasilianisches Improvisationstalent gelobt: Statt Fifa-Norm sei jetzt Brasil-Norm angesagt. Die befürchteten Proteste sind bislang ausgeblieben, teils wegen der Gewaltandrohung von oben wie auch von Autonomen, teils wegen der Unlust vieler, sich den Fußballspaß verderben zu lassen. Und Rousseff profitiert vor allem von der guten Stimmung im Land, ausgelöst von Zehntausenden gut gelaunten Besucher*innen und von Spielen, die an Spannung kaum zu überbieten sind.

Ende der Schwarzmalerei und hohe Umfragewerte

Genüsslich erklären viele PT-Politiker*innen zur WM-Halbzeit, dass die Rechnung der Rechten nicht aufgegangen sei: Sie hätten im Vorfeld alles schwarz gemalt und müssten jetzt tatenlos zusehen, wie das Land feiert und Rousseff die verloren geglaubten Früchte des Spektakels erntet. Zumindest solange die Seleção dabei ist. Die Mannschaft ist eine der Schwachstellen der Gastgeber*innen, für die aber die Politik nichts kann. Ein Ausscheiden in der Endphase würde nicht auf Rousseff zurückfallen.

Das alles ändert nicht daran, dass die Kritik der Straße an den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen bei der Vorbereitung der WM und an den Missständen im Land richtig war und die Politik ins Mark getroffen hat. Wenn nach der WM der Wahlkampf beginnt, werden viele der Themen wieder auf den Tisch kommen. Dann kann Rousseff beruhigt wieder in die Offensive gehen: Die PT ist keineswegs korrupter als die anderen Parteien. Und für soziale Probleme hat sie immer noch bessere Konzepte als die Rechte. Deswegen hat die Amtsinhaberin auch immer noch doppelt so hohe Umfragewerte wie ihr wichtigster Widersacher Aécio Neves.

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