Von Ana Ivonne Cedillo
(Mexiko-Stadt, 04. Dezember 2017, desinformemonos).- Drei Zeug*innen erzählen davon, wie sie ihr Leben nach dem Erdbeben, das Mexiko-Stadt am 19. September erschüttert hat, wieder aufbauen. Hier sind ihre Geschichten:
Der Friseursalon „El Ángel“ von Adela
María Adela will nicht darüber sprechen, was am 19. September passiert ist. Diese Momente seien so schmerzhaft, dass sie bei der Erinnerung daran weinen müsse. Sie vermeidet den Blick und wischt sich mit einem Papiertaschentuch Tränen ab, die sie nicht aufhalten kann.
Adela war die Besitzerin des Friseursalons “El Angel – Der Engel“. Ihr Salon befand sich neben dem Geschäft von Señor Alejandro. Obwohl beide nicht in dem Haus wohnten, verbrachte sie doch die meiste Zeit des Tages dort mit ihren Kundinnen, denen sie die Haare schnitt und die sie frisierte. „Ich weiß, dass es schlimmere und traurigere Fälle als meinen gibt, aber trotzdem, mein Friseursalon gab meinem Leben einen Sinn,“ erzählt Adela und fügt hinzu: „Meine Tochter hat mir immer gesagt, ich solle aufhören zu arbeiten und den Salon vermieten, aber kannst du dir vorstellen, dass ich zu Hause eingesperrt bin und nichts mache?“, fragt sie mit großen Augen, die vom Weinen rot sind.
Als das Erdbeben losging, bediente sie gerade eine Kundin und sie erinnert sich, dass sie aufgrund der Erdstöße nicht laufen konnte. Das Gebäude knirschte und jetzt weiß sie auch weshalb, denn „die Scheiben zersplitterten, Gegenstände fielen herab, alles kam herunter“, erinnert sie sich.
Sie konnte sich an einen sicheren Ort retten, aber sie war sehr beunruhigt wegen Señora Lupita, einer älteren Dame, die schon über 80 war und kurz zuvor am Salon vorbeigegangen war. „Sie war Brot kaufen gegangen und war noch nicht zurück gekommen. Wenn sie in ihrer Wohnung gewesen wäre, dann wäre sie jetzt tot, denn ihre Wohnung war eine der ersten, die eingestürzt sind. Lupita wurde wiedergeboren,“ erzählt Adela mit großem Erstaunen während sie auf ihrem Handy die Fotos sucht, die sie von dem eingestürzten Gebäude gemacht hat.
Das viergeschossige Haus war nicht völlig eingestürzt, nur an einer Ecke, und die erste Wohnung, die zerstört wurde, war die von Señora Lupita, und dann die drei Wohnungen darüber, die in sich zusammenfielen. Die Wohnungen, die an der anderen Ecke des Gebäudes hielten stand, ebenso wie die fünf Ladengeschäfte im Erdgeschoss. Allerdings ist das Haus nach dem Erdbeben unbewohnbar und niemand kann zurück.
Als Adela erfuhr, dass das Gebäude abgerissen werde und sie nur wenige Minuten bekäme, um einige ihrer Sachen zu holen, beeilte sie sich, um so viel wie möglich aus ihrem Salon zu retten. „Als ich in meinen Friseurladen ging, war noch alles da, aber ich konnte nirgends mein Marienbild sehen. Ich suchte es, ich fragte überall, aber niemand wusste etwas von dem Bild. Ich fand es dann doch noch im hinteren Teil des Gebäudes, wahrscheinlich hat jemand vom Zivilschutz es gesehen und dann dorthin gehängt,“ meint sie und holt noch einmal ihr Handy heraus, um das Foto zu suchen, das sie von dem Marienbild gemacht hat, nachdem sie es wieder gefunden hatte.
Von ihren Sachen konnte sie zwar nur sehr wenig retten, aber dass sie das Marienbild retten konnte, darüber ist sie sehr froh.
Aufrecht und bei der Arbeit – Enrique bügelt auf der Straße.
Wenn man die Nachbar*innen in der Straße Concepción Béistegui nach Señor Enrique fragt, dann erzählen sie gleich von ihm, denn alle kennen ihn, vielleicht, weil er seit dem 19. September nicht nur in einem Zelt wohnt, sondern auch dort arbeitet.
Ein behelfsmäßiges Bett, ein Zelt, ein Bügelbrett und Dutzende von Kleidungsstücken, die auf Bügeln hängen, so sieht das Provisorium aus, in dem der ältere Herr mit den grauen Haaren und den traurigen Augen jetzt schläft.
Vor dem Erdbeben am 19. September lebte Enrqie in einem Zimmer, das ihm im Haus Nr. 1503 in der Straße Concepción Béistegui zur Verfügung gestellt wurde. Er war neun Jahre lang in der Reinigung „La12na – Das Dutzend“ angestellt, einem der Geschäfte, das am stärksten von dem Erdbeben getroffen wurde.
Genau wie seine Nachbar*innen in den anderen Geschäften spürte, sah und erlebte er das Beben vom 19. Dezember: „Ich weiß nicht, wie ich aus der Reinigung heraus gekommen bin, ich weiß nicht, ob ich die Tür geöffnet habe oder über den Verkaufstisch gesprungen bin, ich weiß nur noch, dass ich, bevor ich raus bin, noch einmal zurückgekehrt bin, um die Bügeleisen, die Schalter, alle elektrischen Geräte auszustellen, die wir in der Reinigung hatten. Dabei stürzten Gegenstände auf meine Schultern, Fensterscheiben, Trümmer. In dem Moment merkte ich, dass alles noch viel schlimmer war, als ich gedacht hatte“, erzählt Enrique.
Der Verlust seines Schlafplatzes und vor allem der Verlust seines Arbeitsplatzes deprimierten ihn tagelang. Zwei Wochen später jedoch und dank des Vorschlags eines Nachbarn, entschloss sich Enrique sein Bügelbrett auf der Straße aufzustellen und mit dem Bügeln von Kleidungsstücken weiter zu machen.
Der Einsatz hat sich gelohnt, nicht nur wegen des Werbeplakats, das er am Anfang aufhing, sondern auch wegen der Hilfe, die er durch die Verbreitung seines Anliegens in den sozialen Medien erhielt. „Ich danke allen Menschen, die mir geholfen und mir Vertrauen entgegengebracht haben, indem sie mir ihre Kleider gebracht haben, denn ich habe ja keinen festen Platz, um sie aufzubewahren, wenn es nicht dieses Vertrauen gegeben hätte, hätten ich kein einziges Kleidungsstück,“ erklärt er.
Enrique hat jetzt keine festen Arbeitszeiten mehr. Er hat sich so organisiert, dass er nur das Dutzend Kleidungsstücke bügelt, das ihm gebracht wird und für das er 108 Pesos bekommt.
Er schließt nicht aus, dass er irgendwann einmal einen festen Raum bekommt, um weiter zu arbeiten oder einen Platz zum Wohnen findet. Er weiß allerdings auch, dass das noch einige Zeit dauern wird. „Ich kann nicht sagen, dass ich eine Wohnung mieten will, wenn ich kein festes Einkommen habe, oder vielleicht ein Zimmer für 2.000 Pesos. Vielleicht könnte ich eine Anzahlung machen, aber wenn ich dann die Miete nicht bezahlen kann, werden sie mir sagen: Was soll das denn, haun Sie mal besser ab!“
Enrique konnte die Mietbeihilfe, die die Stadt Mexiko verteilt hat, nicht bekommen, da er nicht der offizielle Mieter war, er hatte nur Anspruch auf etwas Arbeitslosenhilfe, aber bis jetzt hat er noch nichts bekommen. Für die nächste Zeit wird er wohl erst einmal in diesem Zelt bleiben mit den Kleidungsstücken, die noch gebügelt werden müssen, aber er ist doch zufrieden wegen der Unterstützung durch seine Nachbar*innen.
Das Haus mit der Nummer 1503 an der Ecke der Straßen Concepción Béistegui und Yácatas gehörte zu den ersten 13 Gebäuden, die auf Anweisung der Behörden von Mexiko-Stadt abgerissen werden mussten. Der Abriss geschah innerhalb einer Woche. Mit Spitzhacken, Schaufeln und Kränen wurde das Gebäude dem Erdboden gleich gemacht.
Jetzt sieht alles ganz anders aus als noch vor zwei Monaten. Ein großer Holzzaun umgibt das Gelände, auf dem sich das Gebäude befand. Zurück bleiben nur die Bewohner*innen der acht Wohnungen und fünf Ladengeschäfte mit ihrer Erinnerung an die gemeinsamen 70 Jahre und mit ihrer Forderung: „Wir fordern die Regierung unter Bürgermeister Mancera auf, unser Gebäude, das eines der ersten war, das abgerissen wurde, jetzt auch als eines der ersten wieder aufzubauen.“
Alejandro vor dem abgerissenen Haus Nr. 1503 in der Béistegui-Straße – mein Leben und mein Geschäft sind zerstört.
Vor dem Erdbeben hatte Alejandro in seinem kleinen Lebensmittelgeschäft gerade die Kundschaft fertig bedient und war allein im Laden. Er ging zur Tür, um mit Freunden zu plaudern, die gewöhnlich auf derTürschwelle saßen. Als er den ersten Schritt auf den Bürgersteig machte, spürte er den ersten Erdstoß, dann begann sich alles zu bewegen.
Er konnte sich auf den Bürgersteig auf der gegenüberliegenden Seite retten und sah, wie das Gebäude mit seinem Geschäft vor seinen Augen einstürzte. Das Geräusch, das hierbei entstand, wird er niemals vergessen. Er wusste, dass das, was er gerade sah, „das Ende eines Kapitels und die radikale Veränderung meines Lebens war.“
José Alejandro Gariba war der Besitzer des kleinen Lebensmittelladens “Algeca”, einem der fünf Geschäfte, die sich im Erdgeschoss des Gebäudes 1503 in der Concepción Béistegui-Straße befanden. 26 Jahre lang öffnete er sein Geschäft täglich von morgens 6 Uhr bis abends 21 Uhr. „Die meiste Zeit war ich hier, in meinem Geschäft Algeca habe ich den Großteil meines Lebens verbracht, und jetzt existiert es nicht mehr,“ erläutert er.
Von den Waren und Gegenständen aus dem Geschäft konnte er nur fünf Prozent bergen, alles andere blieb dort. Angesichts dieser Situation hält er einen Neuanfang mit seinem Geschäft für schwierig: „Hierfür bräuchte ich rund 100.000 Pesos. Ich will lieber ein paar Monate oder vielleicht ein Jahr warten, so lange, wie der Wiederaufbau dauert.“
Bis jetzt hat Alejandro 3.000 Pesos Unterstützung bekommen, die die Regierung von Mexiko-Stadt den Geschädigten gewährt. Außerdem hat er noch 2.000 Pesos von der Behörde erhalten, die für den wirtschaftlichen Aufbau zuständig ist, aber er weiß, dass diese Hilfen nur von kurzer Dauer sein werden.
Das Leben nach dem Erdbeben in Mexiko-Stadt von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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