(Mexiko-Stadt, 22. Juni 2018, La Jornada).- Schaut man sich die Vorschläge der beiden Präsidentschaftskandidaten Anaya und Meade an, sieht man sofort ihre große Unkenntnis, was die Situation auf dem mexikanischen Land angeht. Ricardo Anaya von der Partei der Nationalen Aktion PAN (Partido Acción Nacional) stellte sechs Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft vor. Keine einzige davon bezieht den Landwirtschaftssektor ein: Armut und Straffreiheit beenden, Wirtschaftswachstum, Wiederherstellung von Frieden und Ruhe, Mexikos Position gegenüber der Welt neu festlegen und die Korruption bekämpfen. Einzig dem Nationalen Landwirtschaftsrat (Consejo Nacional Agropecuario) -einer Organisation, die die Interessen der Agrarunternehmen vertritt- sagte er zu, seine „Vision 2030“ in den Nationalen Entwicklungsplan einzubringen.
José Antonio Meade, Präsidentschaftskandidat für das Wahlbündnis Todos por México (alle für Mexiko)*, präsentiert sich als der Kandidat für die Sicherheit auf dem Land. Er verspricht Bildung, Wohnungen, Erholung, Kultur und Beschäftigung und nennt fünf Punkte für eine erfolgreiche Landwirtschaft: klare Regeln, pünktliche Subventionen, eine integrale staatliche Anlaufstelle, mehrjährige Budgetplanung und Zugang zur Sozialversicherung. Außer einigen Verbesserungen in der Verwaltung, will er allerdings dieselbe Agrarpolitik beibehalten, die verschiedene Regierungen seit mehr als 25 Jahren verfolgen. Unterstützung findet er bei der PRI-nahen* Nationalen Bäuer*innenkonföderation CNC (Confederación Nacional Campesina).
AMLO setzt auf Nahrungsmittelsouveranität
Andrés Manuel López Obrador (AMLO) von der Partei Morena ist der einzige Kandidat mit einem Nationalen Entwicklungsplan, indem der Landbau eine vorrangige Rolle spielt. Ein Ziel ist die Reduzierung der Nahrungsmittelabhängigkeit, um die nationale Sicherheit zu garantieren. Hintergrund ist das politische Verhalten von US-Präsident Trump, der den NAFTA-Freihandelsvertrag am seidenen Faden hängen lässt und den Vertrag bereits durch Zölle auf Mexikos Aluminium- und Stahlausfuhren gebrochen hat. In diesem Kontext scheint es dringend notwendig, die Importabhängigkeit von Grundnahrungsmitteln aus den USA zu verringern.
Meade und Anaya haben versucht, den Vorschlag der Ernährungssouveränität von AMLO, mit überzogenen Argumenten gegen ihn zu verwenden. Doch auf die einheimische Nahrungsmittelproduktion zu setzen und nicht nur den Export von Luxusprodukten zu begünstigen, bedeutet weder eine geschlossene Volkswirtschaft noch allein von im Land hergestellten Gütern abhängig zu sein. Eben sowenig ist von einer Produktionskontrolle oder dem Ende der Gemüse-, Obst- und Kaffeeproduktion die Rede, die sowohl für den Binnenmarkt wie den Export bestimmt ist. Was jedoch neu an dem Vorschlag ist, ist die Förderung von drei verschiedenen im Nationalen Entwicklungsplan aufgeführten Typen landwirtschaftlicher Produktion. Alle drei sollen unter besseren Bedingungen produzieren können, indem sie über bessere Betriebsmittel und Vertriebskanäle verfügen, indem ihnen Möglichkeiten zur Produktivitätserhöhung gegeben werden und indem sie die Verwendung von Agrargiften reduzieren können und so weniger Treibhausgase verursachen. Das bedeutet, dass die kleinbäuerliche Selbstversorgungslandwirtschaft und die sogenannten Übergangslandwirt*innen, die zusammen 83 Prozent der Bauernschaft stellen, neben den Großproduzent*innen, eine wichtige Rollen bei der Nahrungsmittelproduktion erhalten.
Zurück aufs Land! – Arbeit ohne Narcos
Der Vorschlag López Obradors bezieht auch die Folgen der Landflucht ein. Da wo die Landwirtschaft aufgegeben wird, entstehen Lücken, die von der kriminellen Wirtschaft neu besetzt werden – oft in Komplizenschaft mit dem Staat. Die Gründe für die Vernachlässigung der kleinen und mittleren Landwirtschaft liegen darin, dass die aktuelle Regierung und deren Vorgängerinnen diese als zu wenig produktiv eingestuft haben. Den landwirtschaftlichen Sektor für die Kleinbäuer*innen zurückzugewinnen, wird nicht einfach sein, aber es ist ein Puzzleteil im Kampf gegen die galoppierende Gewalt auf dem mexikanischen Land. Die Schaffung von Arbeitsplätzen für junge Leute und Frauen auf dem Land sowie höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zielen ebenfalls darauf ab, die junge Landbevölkerung nicht in die Arme des organisierten Verbrechens laufen zu lassen (die oft die einzigen „Arbeitgeber“ sind, Anm.d.Ü.).
Der Nationale Entwicklungsplan umfasst nicht nur die Produktion, sondern will die verschiedenen Phasen der Wertschöpfungskette, inkl. des Nahrungsmittelkonsums unterstützen: Weiterverarbeitung der Produkte, Finanzierung, Technologien, Investitionen, Infrastruktur und Handel. Gewarnt wird vor zerstörerischen Technologien. Vielmehr sind die Förderung des ökologischen Landbaus und die Wiederbelebung traditioneller Techniken vorgesehen. Das Ziel dieses Modells besteht in der Erhöhung der Produktivität, weniger Umweltzerstörung und mehr sozialem Zusammenhalt.
Etwa hundert landesweite und regionale bäuerliche Organisationen, die sich um den sogenannten „Plan von Ayala 21. Jahrhundert“** gruppieren, unterstützen die Strategie von López Obrador für den Landbau. Das vielleicht Wertvollste dieser Strategie liegt darin, sich nicht an einer verhängnisvollen und taumelnden internationalen Wirtschaftsordnung festzuklammern und davon Abstand zu halten, die orthodox-neoliberalen Vorschläge zu wiederholen, die das mexikanische Land in Armut und Gewalt gestürzt haben.
Ana de Ita ist Direktorin des Studienzentrums für den Wandel im Mexikanischen Landbau Ceccam (Centro de Estudios para el Cambio en el Campo Mexicano).
*Das Wahlbündnis Todos por Mexico besteht aus der Partei der Institutionalisierten Revolution PRI (Partido Revolucionario Institucional), der Grünen Ökologischen Partei Mexikos PVEM (Partido Verde Ecologista de México) und der Partei der Neuen Allianz PANAL (Partido Nueva Alianza).
** Der Plan von Ayala 21. Jahrhundert bezieht sich auf den Plan Ayala, der das politische Programm von Emiliano Zapata und seiner Anhänger*innen während der mexikanischen Revolution darstellte. Ein Hauptpunkt war die Verteilung von Ländereien an Bäuer*innen und Ejidos (Gemeinschaftsbesitz mit individueller Nutzung). 1991 wurde das Recht der Bauern auf ein Ejido aus der mexikanischen Verfassung gestrichen, mit der Begründung, dass diese nicht produktiv genug seien. Trotzdem existieren noch immer knapp 30.000 Ejidos, die etwa 42,5 Prozent der Fläche von Mexiko ausmachen.
Mexiko: Die Präsidentschaftskandidaten und ihre (fehlenden) Pläne für die Landwirtschaft von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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