(Ouro Petro, 5. Juli 2024, Dialogue Earth).- Aufgrund der globalen Energiewende und der damit verbundenen wachsenden Nachfrage wird die Erforschung der Lithiumvorräte intensiviert. Auchim Südosten des Landes schreitet der Abbau von Lithium immer weiter voran; passend dazu werden Vorschriften im Zusammenhang mit der Gewinnung des wertvollen Minerals zunehmend gelockert. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur ist die steigende Produktion von Elektrofahrzeugen eine der wichtigsten Triebkräfte für die weltweite Nachfrage, die bis 2040 um das 15-fache steigen dürfte.

Hier irgendwo muss es sein, das Lithium. Angeblich sollen 8% der Weltvorräte in Brasilien lagern, vielleicht aber auch nur unter 1%, davon aber definitiv über 80% im Jequitinhonha-Tal.
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Weltweite Nachfrage steigt – Export ohne Mehrwert
Im Juli 2022 erließ die Regierung des damaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro ein Dekret, mit dem die Beschränkungen für den Lithiumhandel des Landes aufgehoben wurden. Bis dahin wurde die Ausfuhr des Minerals durch eine Verordnung zum Schutz der brasilianischen Nuklearindustrie gedeckelt. Die Bestimmung aus dem Jahr 1997 besagte, dass die Lithiumvorkommen hauptsächlich als Brennstoff für Reaktoren verwendet werden dürfen. Die Öffnung Brasiliens für den Außenhandel mit Lithium hat in- und ausländische Bergbauunternehmen angezogen. Die bei der Bundesregierung eingereichten Anträge zur Erforschung und Erkundung des Minerals im südöstlichen Bundesstaat Minas Gerais, wo sich mehr als 80 Prozent der bekannten Lithiumvorkommen Brasiliens befinden, sind laut einer Studie der in Minas Gerais ansässigen Universidad Federal de los Valles de Jequitinhonha y Mucuri in nur zwei Jahren um fast das 18-fache gestiegen: von 45 im Jahr 2021 auf 851 im Jahr 2023. Analyst*innen weisen jedoch darauf hin, dass der Lithiumexport keinen Mehrwert im Land erzeugt und damit die Möglichkeiten zur Entwicklung einer heimischen Industrie rund um das Mineral einschränkt. Außerdem gehe die steigende Nachfrage mit sozio-ökologischen Schäden einher, insbesondere in den Gemeinden, deren traditionelle Lebensweisen bereits beeinträchtigt sind.
Brasilianische Behörden verfolgen ambitionierte Pläne
Die Schätzungen der brasilianischen Lithiumreserven gehen weit auseinander. Das Geologische Institut des Ministeriums für Bergbau und Energie sprach 2017 von acht Prozent, nach jüngsten Schätzungen der US Geological Survey verfügt Brasilien jedoch nur über weniger als ein Prozent der der weltweiten Lithiumreserven. Jedenfalls ist es deutlich weniger als die Vorkommen im so genannten „Lithium-Dreieck“, bestehend aus Bolivien, Argentinien und Chile, die zusammen über 50 Prozent der weltweiten Lithiumreserven verfügen. Dennoch haben die brasilianischen Behörden große Ambitionen, was ihre Reserven angeht. Allein im Juli 2023 wurden 15.000 Tonnen des Minerals aus dem Hafen von Vitória im Bundesstaat Espírito Santo verschifft. Zwei Monate zuvor hatte der Gouverneur von Minas Gerais Romeu Zema seine Absicht angekündigt, im Rahmen des Projekts Vale do Lítio („Lithiumtal“) ein Technologiezentrum im Jequitinhonha-Tal im Nordosten des Bundesstaates zu errichten, das auch für den massiven Eisenerzabbau in Frage kommt. Wegen ihrer sozioökonomischen Defizite wurde die Region früher als „Tal des Hungers“ bezeichnet. Zema erklärte dazu, er hoffe, sie werde sich künftig zu einem „technologischen Tal“ entwickeln. Er hatte das Programm in New York vorgestellt, um ausländische Investoren für die Herstellung von Batterien und anderen Produkten mit hohem Mehrwert zu gewinnen.
Ausländische Investitionen boomen
Die Regierung von Minas Gerais erklärte gegenüber Dialogue Earth, sie habe eine Arbeitsgruppe mit Exekutivorganen und privaten Einrichtungen gebildet, um das Programm zu entwickeln. Ziel ist es, die wirtschaftliche Entwicklung der Region anzukurbeln, mehr als 10.000 Arbeitsplätze zu schaffen und Einkommen in 14 Städten zu generieren: Die Investitionen könnten bis 2030 30 Milliarden Reais (5,4 Milliarden US-Dollar) erreichen. Mehrere Unternehmen sind bereits in dem Bundesstaat tätig oder wollen sich dort niederlassen. Dazu gehören die Companhia Brasileira de Lítio (CBL), die seit 1991 in den Gemeinden Araçuaí und Itinga Bergbau betreibt, und das kanadische Unternehmen Sigma Lithium, das seit April 2023 in denselben Gemeinden tätig ist. In Nazareno in der Mitte von Minas Gerais gewinnt das niederländische Unternehmen AMG Lithium aus den Abraumhalden und baut eine Anlage, die 2026 in Betrieb gehen soll. In der Zwischenzeit warten mehrere ausländische Unternehmen auf die Genehmigung der Bundesregierung zur Entwicklung von Projekten im Jequitinhonha-Tal, darunter das kanadische Unternehmen Lithium Ionic, Atlas Lithium Brasil, eine Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Unternehmens Atlas Lithium, und das australische Unternehmen Latin Resources. Auch in anderen Bundesstaaten wurden Anträge auf die Erteilung von Abbaurechten eingereicht.
Kritik an Planung
Einige Beobachter*innen kritisieren jedoch den Umgang mit dem Lithiumabbau, der ihrer Meinung nach die brasilianische Industrie nicht voranbringt. „In Jequitinhonha gibt es trotz der starken Unterstützung durch die Landesregierung keine Initiative zur Wertschöpfung“, so Tádzio Peters Coelho, Professor für Sozialwissenschaften, der an der Bundesuniversität von Viçosa über Lithium forscht. Die Regierung des Bundesstaates unterstütze die Produktion nur politisch und nutze die Armut und „Rückständigkeit“, um mit einer Entwicklungsperspektive für das Gebiet Stimmen für das Projekt zu gewinnen. „Dabei geht es nur darum, ohne größere Hindernisse die Genehmigungen für Projekte zu bekommen“, so seine Kritik.
In Brasilien sei die Erkundung des kritischen Minerals schlecht geplant, so Marina Oliveira, die an der Pontificia Universidad Católica in Minas Gerais über Lithium und die damit verbundenen Ungleichheiten forscht. „Es gibt keine solide Politik, von der die gesamte Produktionskette profitiert“, so Oliveira. Derzeit werde einfach nur das Lithium abgebaut und billig weiterverkauft. Das Projekt Vale do Lítio diene nur dazu, Investoren anzulocken. Die Regierung jedoch solle Aspekte wie „den Beitrag der Technologie, die Schaffung qualifizierter Arbeitsplätze, die Produktion von Elektroautos“ in Betracht ziehen. Es gehe nicht darum, die Industrialisierung voranzutreiben, sondern auch die lokale Bevölkerung müsse respektiert und ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden.
Ausländische Unternehmen auf dem Vormarsch
Auf der Liste der Interessenten an einem Einstieg in die brasilianische Lithiumindustrie stehen große Namen aus dem weltweiten Elektrofahrzeugsektor. Im Januar berichtete die Financial Times, dass das chinesische Unternehmen BYD, weltgrößter Hersteller von Elektroautos, Gespräche über ein „mögliches Liefergeschäft, ein Joint Venture oder eine Übernahme“ von Sigma Brasilien geführt habe, wozu Sigma keinen Kommentar abgeben wollte. Der Automobilhersteller Volkswagen hat ein ähnliches Interesse bekundet, er könnte so bezüglich der Beschaffung seiner Elektrofahrzeugkomponenten die Abhängigkeit von China verringern. Beim letzten Web Summit, einer Technologiekonferenz, die im April in Rio de Janeiro stattfand, äußerte der Präsident von BYD Brasilien Tyler Li den Wunsch des Unternehmens, eine integrierte Produktionskette zu schaffen, um den lokalen Verbraucher*innen niedrigere Preise anbieten zu können. Derzeit sind die hohen Kosten für E-Fahrzeuge einer der größten Engpässe auf diesem Markt. „In Brasilien haben wir die besten Voraussetzungen: Hier gibt es fast alles: Lithium, Eisen, Aluminium und alle Rohstoffe“, so Li bei einer Podiumsdiskussion über den Ausbau der Elektroautoindustrie. „Das ist ein guter Anreiz für uns, die gesamte Lieferkette in Brasilien aufzubauen. Die Kosten könnten erheblich gesenkt werden.“ Als Teil seiner Strategie baut BYD in Camaçari im nordöstlichen Bundesstaat Bahia seine größte Fabrik für Elektrofahrzeuge außerhalb Asiens. Dies ist eine von mehreren jüngsten Investitionen, die Brasilien zu einem Drehkreuz der Branche in Lateinamerika machen könnten. Das Werk soll Anfang 2025 in Betrieb gehen. Nach Ansicht von Elaine dos Santos, Wissenschaftlerin am privaten Forschungsinstitut Instituto de Estudios Avanzados der Universität São Paulo (USP), könnte dieser Trend dem Land Vorteile bringen: „Das hätte direkte Auswirkungen auf die Industrie, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verringerung der Abhängigkeit vom Ausland durch eine verbesserte Versorgung mit Bauteilen.“
Staub, Lärm Risse, Kriminalität, Gewalt – und kein Cachaça
Sigma hat seine Rohstoffproduktion im Jequitinhonha-Tal als besonders umweltfreundlich angepriesen. Das „grüne Lithium“ werde ohne Kohlenstoffemissionen, ohne Kohleenergie, ohne Absetzteiche, ohne Trinkwasserverbrauch und ohne Verwendung gefährlicher Chemikalien gefördert. Die Bevölkerung bezweifelt jedoch den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung. Anders als bei der Gewinnung von Lithium aus Solebecken im „Lithiumdreieck“ befinden sich die brasilianischen Vorkommen größtenteils in hartem Gestein, das konventionelle Grabungen und Sprengungen erfordert. An den Ufern des Jequitinhonha müssen die Einwohner*innen des Dorfes Cinta Vermelha de Jundiba mit den Folgen klarkommen. Die Gemeinde, in der die ethnischen Gruppen der Pankararu und Pataxó leben, liegt etwa zehn Kilometer von der Mine Grota do Cirilo entfernt, wo Sigma vor etwas mehr als einem Jahr mit dem Lithiumabbau von begonnen hat. „Wenn die Sprengladungen explodieren, wird die Luft verschmutzt, es wird viel Staub aufgewirbelt, und der Wind verteilt die Schadstoffe. Hinzu kommen die Vibrationen und der Lärm“, so Cleonice Pankararu, Anwohnerin und Aktivistin. Die Bergbautätigkeit „führt zur Zerstörung der Ökosysteme Cerrado und Caatinga, hat soziale und wirtschaftliche Auswirkungen und verändert die Landschaft, unsere Kultur und unsere Religionen“, fügt sie hinzu. „Für unsere traditionelle Lebensweise brauchen wir eine ausgeglichene Umwelt.“ Sie habe auch Veränderungen in den Städten bemerkt, so seien die Preise in Araçuaí durch die Ankunft der Bergbauarbeiter deutlich gestiegen. Das kleine Zimmer, das ihre Familie früher in der Stadt gemietet hat, damit die Kinder während der Schulwoche dort übernachten konnten, können sie sich nun nicht mehr leisten. Mit der Ankunft der Minenarbeiter hätten auch Raubüberfälle und sexuelle Gewalt zugenommen. Noch in acht Kilometern Entfernung sind die Auswirkungen der Aktivitäten von Sigma zu spüren. Umweltaktivistin Aline Gomes Ruas berichtet: „Seit mehr als einem Jahr weiß die Gemeinde nicht, was sie vor lauter Lärm und Staub tun soll. Schutt und Staub fallen in den Fluss, schaden dem Wasser, der Vegetation und der Ernte.“ Menschen klagen über Atemprobleme, die Explosionen der Mine verursachen Risse in den Häusern. Sigma erkenne seine Verantwortung für diese Probleme jedoch nicht an. Das Unternehmen selbst schweigt dazu. In Nazareno seien Auswirkungen des Lithiumabbaus durch AMG auch nicht anders als die des traditionellen Bergbaus, so Professor Coelho, auch die Lithiumgewinnung erfordere den Bau von Dämmen, die große Gebiete überfluten und ein potenzielles Einsturzrisiko bergen, und umweltschädliche Materialien müssten ebenfalls entsorgt werden. Auch AMG bleibt hier eine Antwort schuldig.
Auch in anderen Städten im Bundesstaat werden negative Auswirkungen befürchtet. Luiz Paulo Guimarães von der Bewegung Movimiento por la Soberanía Popular de la Minería („Volkssouveränität über den Bergbau“) befürchtet schwerwiegende Folgen für die Gemeinde Salinas, wo das australische Unternehmen Latin Resources Limited in zwei Schürfgebiete investieren will. Das Gebiet ist bekannt für die Herstellung von Cachaça, der aus Zuckerrohrsaft gewonnen wird. „Diese Projekte werden das Wasser beeinträchtigen und die Produktion von Cachaça unrentabel machen“, so Guimarães. „Die Stadt ist als „Hauptstadt des Cachaça“ bekannt. Nun sind die Produktion und ihr wirtschaftliches Potenzial in Gefahr, und das wird sie ihre Identität kosten – im Austausch gegen eine Rohstoffausbeutung, die weit mehr Schaden als Nutzen bringt“.
Regierung bereitet Lithiumplan vor
Die Bundesregierung bereitet nach eigenen Angaben einen interministeriellen Plan vor, um den brasilianischen Lithiumabbau so zu gestalten, dass die Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung so gering wie möglich gehalten und die Vorteile mit den Gemeinden geteilt werden. Auf einem Seminar im April sagte Jarbas Vieira da Silva, Koordinator für öffentliche Dialoge im brasilianischen Präsidialamt, der Plan beinhalte „eine konzertierte Aktion zwischen öffentlichen Behörden und Unternehmen zum Aufbau eines Governance-Systems“. Er sei nach dem Besuch einer Regierungsdelegation in den betroffenen Gemeinden im Jequitinhonha-Tal ausgearbeitet worden. „Es wird bereits diskutiert und entwickelt“, so Vieira da Silva. Das Ministerium für Bergbau und Energie erklärte gegenüber Dialogue Earth, dass es eine Initiative zur Ausweitung der Versorgung mit strategischen Mineralien wie Lithium im Zusammenhang mit der Energiewende starten wird. Berichten zufolge gehe es dabei auch um den Aufbau einer Industrie zur Verarbeitung dieser Mineralien im Inland und die Einbindung in die Wertschöpfungskette durch die Erzeugung von Batterien, Windturbinen und Elektromotoren. Das Ministerium fügte hinzu, es wolle sich bemühen, Investitionen anzuziehen, Partnerschaften zu bilden, die technologische Entwicklung, insbesondere im Bereich der Mineralienverarbeitung, zu fördern sowie die Arbeitskräfte auszubilden und die notwendige Infrastruktur zu entwickeln. Doch die Gemeinden des Bundesstaates Minas Gerais müssen sich weiter mit den lokalen Auswirkungen auseinandersetzen. Die Pläne würden fortgesetzt, ohne eine solide Strategie mitzudenken, die die Bevölkerung berücksichtigt, so Forscherin Oliveira. „Wir befürchten, dass sich zu sehr auf den Prozess der Gewinnung konzentriert wird und andere Entwicklungen auf der Strecke bleiben. So bleiben Gewinne und Vorteile in den Händen einiger weniger, während sich Ungleichheiten und soziale Auswirkungen verstärken.“
Lithium Valley: Neuer Bergbau-Hotspot alarmiert Bevölkerung von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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