
(Mexiko-Stadt, 13. Juni 2025, cimacnoticias).- In Mexiko bedeutet es mittlerweile eine doppelte Strafe, eine mujer buscadora, also eine Frau zu sein, die nach Verschwundenen sucht. Fünf Frauen aus dem Bundesstaat Guanajuato, die ihr Leben der Suche nach ihren verschwundenen Angehörigen gewidmet hatten, sind nun selbst verschwunden: Lorenza Cano Flores, Luz Alejandra Lara Cárdenas, Martha Leticia Gallardo Martínez, Teresa Magueyal Ramírez und María del Carmen Vázquez Ramírez. Ihre Schicksale zeigen die Brutalität, mit der gegen Menschen vorgegangen wird, die für Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfen – und lassen ein alarmierendes Muster von Gewalt erkennen.
Suchende Frauen sind seit dem sogenannten „Schmutzigen Krieg“ ein unbequemes Symbol für den mexikanischen Staat. Mit Wut und Ausdauer .machen sie seit Jahrzehnten das Versagen der Behörden und deren Unfähigkeit sichtbar, dem Verschwindenlassen Einhalt zu gebieten. Seit 1978, als die ersten Gruppen von Sucherinnen entstanden, haben Zusammenschlüsse von Müttern, Tanten, Großmüttern und Schwestern die gesellschaftliche Ordnung herausgefordert. In jenem Jahr traten 84 suchende Mütter unter der Leitung der Aktivistin Rosario Ibarra erstmals an die Öffentlichkeit.
Gemeinsam gründeten sie das erste Komitee der Familien gegen politische Repression in Monterrey. Ihr Ziel: politische Gefangene freizubekommen, Wahrheit einzufordern und ihre verschwundenen Angehörigen lebend zurückzubringen.
Fast 130.000 registrierte Verschwundene
Seitdem ist die Zahl der Verschwundenen im Land dramatisch gestiegen. Laut dem Nationalen Register für verschwundene und nicht gefundene Personen (RNPDNO) sind in Mexiko derzeit 129.193 Menschen als verschwunden registriert – darunter 29.617 Frauen, von denen ihre Familien seit Wochen, Monaten oder gar Jahren nichts wissen. Es sind vor allem Mütter und Angehörige der Opfer, die Suchkollektive gegründet haben – um Aufgaben zu übernehmen, denen der mexikanische Staat nicht nachkommt: das Auffinden der Verschwundenen.
Im Jahr 2025 meldete das Kollektiv Hasta Encontrarte („Bis wir dich finden“) einen weiteren Angriff auf eines seiner Mitglieder. Diesmal traf es den suchenden Vater José Francisco Arias Mendoza, der von einer bewaffneten Gruppe aus seinem Haus verschleppt wurde. Sein Sohn, Jaime González Vázquez (27 Jahre alt), wurde dabei ermordet. Zuvor hatten José und seine Frau Eva María Vázquez Flores nach ihrem Sohn Miguel Ángel González Vázquez gesucht, der am 20. Januar 2022 verschwand und im Februar 2023 tot aufgefunden wurde.
Laut dem Kollektiv übergab die Staatsanwaltschaft lediglich Körperfragmente von Miguel Ángel. Seitdem suchen Francisco und Eva weiter nach den restlichen sterblichen Überresten ihres Sohnes. Beide engagieren sich weiterhin aktiv in den Aktionen von Hasta Encontrarte und in der landesweiten Suche nach Vermissten.
Die Zahl der verschwundenen Suchenden in Guanajuato ist inzwischen auf zehn gestiegen – darunter fünf Frauen: Luz Alejandra Lara Cárdenas, Óscar Iván Jiménez Torres, Lorenza Cano Flores, Martha Leticia Gallardo Martínez, Teresa Magueyal Ramírez, María del Carmen Vázquez Ramírez, Francisco Javier Barajas Piña, Jorge Ulises Cardona Zavala und María del Rosario Zavala Aguilar.
Laut dem Kollektiv wurden zwischen 2010 und heute 26 ermordete und sechs verschwundene Personen dokumentiert – insgesamt also 32 Suchende, die wegen ihres Engagements in Lebensgefahr gerieten. Zudem weist das Kollektiv darauf hin, dass 25 dieser 32 dokumentierten Fälle während der Amtszeiten von Präsident Andrés Manuel López Obrador und der nun amtierenden Präsidentin Claudia Sheinbaum stattfanden.
In den ersten acht Monaten der Regierung Sheinbaum wurden sieben neue Fälle registriert – in den Bundesstaaten Guanajuato, Veracruz und Jalisco. Vier davon betreffen verschwundene Suchende, drei weitere wurden ermordet.
Die verschwundenen Sucherinnen in Guanajuato
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Martha Leticia Gallardo Martínez (44) verschwand am 3. April 2018 auf dem Weg von Mazatlán nach Irapuato, wo sie die Leiche ihres ermordeten Ehemanns im forensischen Institut (SEMEFO) identifizieren sollte. Sie war zuvor Teil der Suchgruppe Una Luz de Esperanza („Ein Licht der Hoffnung“) in Sinaloa, wo sie nach ihrem 2011 verschwundenen Sohn José Manuel Gallardo (21 Jahre alt) suchte.
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María del Carmen Vázquez Ramírez wurde am 6. November 2022 gemeinsam mit ihrer Mutter ermordet, als zwei Motorradfahrer an ihrer Tür in Abasolo klingelten. Sie hatte nach ihrem Sohn Óscar Zúñiga Vázquez gesucht, der am 14. Juni 2022 verschwand. Aus diesem Grund hatte sie sich dem Kollektiv Hasta Encontrarte angeschlossen.
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Teresa Magueyal Ramírez wurde am 2. Mai 2023 am helllichten Tag vor einem Kindergarten in San Miguel Octopan von zwei vermummten Männern auf Fahrrädern ermordet, als sie gerade vom Einkaufen zurückkehrte. Seit zwei Jahren war sie als suchende Mutter in Celaya aktiv. Ihr Sohn José Luis Apaseo Magueyal war am 6. April 2020 verschwunden.
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Lorenza Cano Flores wurde am 15. Januar 2024 in Salamanca verschleppt, als bewaffnete Männer ihr Haus im Viertel Ampliación El Cerrito stürmten, ihren Ehemann und ihren Sohn töteten und sie mitnahmen. Seit 2018 suchte Lorenza nach ihrem Bruder José Francisco Cano Flores.
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Luz Alejandra Lara Cárdenas verschwand am 4. November gemeinsam mit ihrem Partner Óscar Iván Jiménez Torres. Beide waren aktive Suchende. Zuletzt wurden sie auf der Panamericana-Autobahn bei Apaseo el Grande gesehen. Seitdem fehlt jede Spur. Óscars Mutter, Blanca Patricia, ist ebenfalls eine suchende Mutter – sie sucht seit 2017 ihren anderen Sohn Jesús Abel Jiménez Torres. Ihre Suche gilt nun drei Angehörigen.
Gewalt gegen suchende Frauen
Suchende Frauen und Mädchen erleben geschlechtsspezifische Gewalt, die tief in patriarchalen Rollenbildern verwurzelt ist. Häufig sehen sie sich mit Stigmatisierung durch Familie, Gesellschaft, Medien und andere machtausübende Akteur*innen konfrontiert, wenn sie das Verschwinden ihrer Angehörigen zur Anzeige bringen.
Oft wird den Opfern selbst die Schuld gegeben – insbesondere dann, wenn sowohl die verschwundene als auch die suchende Person weiblich ist. Müttern wird vorgeworfen, ihre Kinder nicht ausreichend beschützt zu haben. Ihre Entschlossenheit wird nicht selten als unangemessen oder störend wahrgenommen, was zu Schuldgefühlen und schwerer psychischer Belastung führt.
Die Gewalt eskaliert häufig bis zur Kriminalisierung – vor allem dann, wenn suchende Frauen politische Interessen stören oder Menschenrechte verteidigen. Um ihre Aktivitäten zu unterdrücken und Straflosigkeit zu sichern, greifen staatliche Akteure auf Einschüchterungsstrategien zurück – etwa durch willkürliche Ermittlungsverfahren gegen die Suchenden.
Die gängigsten Mittel, um sie zum Schweigen zu bringen, reichen von physischer Gewalt – ihre Körper werden gezielt angegriffen – bis hin zu Drohungen, Übergriffen, Vergewaltigungen, Vertreibungen und Morden. Gleichzeitig leben viele der Frauen in Armut, da sie neben der Sucharbeit auch für ihre Familien sorgen müssen. Ihre Gesundheit leidet massiv unter Stress, Trauer und chronischer Belastung.
Hinzu kommt eine systematische Kampagne der Diskreditierung durch die Bundesregierung, die bereits unter der Amtszeit von Präsident López Obrador aufgebaut wurde. Es ist einfacher, suchende Mütter zu verunglimpfen, als die Verantwortlichen für das Verschwinden von inzwischen 129.202 Menschen zu ermitteln und zu bestrafen – so die aktuellen Zahlen des Registers RNPDNO.
Übersetzung: Deborah Schmiedel
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