(São Paulo, 15. Januar 2021, taz).- Die Luftbilder der Massengräber in Brasilien gingen zu Beginn der Coronapandemie um die Welt. Nun macht die Regenwaldmetropole Manaus im Norden des Landes erneut traurige Schlagzeilen. Am Donnerstag (15.1.) meldeten Krankenhäuser, dass ihnen der Sauerstoff ausgegangen sei.
Mitarbeiter*innen sollen bereits versuchen, Patient*innen manuell zu beatmen. In sozialen Medien gehen Videos von Menschen viral, die privat angeschaffte Sauerstoffflaschen für ihre kranken Verwandten in Krankenhäuser tragen. Der Direktor des größten öffentlichen Krankenhauses verschickte einen dramatischen Appell über Whatsapp-Gruppen: „Wenn irgendjemand helfen kann, die Beatmung aufrechtzuerhalten, bitte, wir brauchen Sie!“
206.000 Menschen sind in Brasilien bereits an Covid-19 gestorben – das ist die zweithöchste Zahl nach den USA. Manaus war bereits zu Beginn der Pandemie schwer von der Gesundheitskrise betroffen. Nun sind die Zahlen erneut explodiert: Alleine in den ersten zwölf Tagen des neuen Jahres waren mehr als 2.000 Neuinfizierte in die Krankenhäuser eingeliefert worden. Hunderte stehen auf Wartelisten für Intensivbetten und viele Menschen sind bereits erstickt, ohne behandelt worden zu sein.
Der rapide Anstieg der Neuinfektionen könnte laut Expert*innen auf eine Virusmutation zurückzuführen sein, die im Amazonas-Bundesstaat entdeckt wurde. Doch auch die laxen Isolationsmaßnahmen und die Nachlässigkeit der Bevölkerung werden als Grund genannt.
Der deutsche Übersetzer Klaus Reuss, der in Manaus lebt, sagte der taz, dass sich in den letzten Wochen viele Menschen nicht an die Vorschriften gehalten hätten. So hätten Partys mit tausenden Gästen stattgefunden, Menschen gingen ohne Mundschutz auf die Straße, die Geschäfte und Bars seien voll gewesen. Viele Weihnachts- und Neujahrsfeste fanden ohne Einschränkungen statt.
Sauerstoff aus Krisenstaat Venezuela
Der Gouverneur des Amazonas-Bundesstaats, Wilson Lima, gestand am Donnerstag auf einer Pressekonferenz die dramatische Lage ein und verkündete eine Ausgangssperre zwischen 19 und 6 Uhr. Coronapatient*innen sollen nun in andere Bundesstaaten ausgeflogen werden und ausgerechnet mit dem Nachbar- und Krisenstaat Venezuela wurde eine Notversorgung mit Sauerstoff vereinbart. Internetnutzer*innen und Prominente sammeln derweil Spenden, um privat Sauerstoffflaschen in den Amazonas-Bundesstaat verschicken zu können.
Expert*innen hatten lange vor einem erneuten Zusammenbruch des Gesundheitssystems gewarnt und erklärt, dass in der schwer gebeutelten Millionenstadt nicht mit einer Herdenimmunität zu rechnen sei. Ende Dezember nahm der rechte Gouverneur Lima ein Dekret für einen neuen Lockdown nach öffentlichem Druck zurück. Diese Entscheidung wurde von rechten Politiker*innen, wie dem Sohn von Präsident Jair Bolsonaro, gefeiert.
Vizepräsident Hamilton Mourão erklärte am Donnerstag, Sauerstoffflaschen mit Militärflugzeugen in den Bundesstaat einfliegen zu lassen. Präsident Bolsonaro meldete sich am Donnerstagabend an der Seite seines Gesundheitsministers Eduardo Pazuello zu Wort. In einem Live-Video erklärte Bolsonaro, der Corona mehrmals als „kleine Grippe“ bezeichnete, Kranke verspottete und Warnungen der Weltgesundheitsorganisation WHO ignorierte, dass die Verantwortung für das Chaos in Manaus bei der Landesregierung und Stadtverwaltung liege.
Der Ex-Militär pries erneut das umstrittene Malaria-Medikament Chloroquin als Wundermittel gegen Covid-19 an. Die Regierung steht außerdem für ihre Impfstrategie in der Kritik. Bolsonaro macht aus politischen Gründen Stimmung gegen einen chinesischen Impfstoff und erklärte mehrmals, sich selbst unter keinen Umständen impfen zu lassen.
Klare Worte fand der linke Politiker Marcelo Freixo auf Twitter: „Das ist keine Inkompetenz. Was wir derzeit in Manaus beobachten, sind die Konsequenzen von vorsätzlichen Verbrechen Bolsonaros und seiner Komplizen.“
Sauerstoff in Manaus wird knapp von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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