(Rio de Janeiro, 29. Oktober 2018, taz/npl).- Fassungslos verfolgt eine Gruppe junger Leute den Wahlausgang in einer Kneipe im Zentrum von Rio de Janeiro. Das Ergebnis ist wie vorhergesagt: 55 Prozent, fast 58 Millionen Brasilianer*innen, haben für den rechtsextremen Ex-Militär Jair Bolsonaro gestimmt. Das bisschen Hoffnung auf eine Trendwende, die in den letzten Tagen eines hektischen, verzweifelten Wahlkampfes plötzlich möglich schien, zerbricht. Viele umarmen sich, Tränen fließen. Aufmunternde Worte werden gemurmelt, doch sie kommen nicht gegen das an, was die Gegner*innen Bolsonaros sich in diesem Moment fragen: Wie kann es sein, dass mein Land einen Faschisten, einen Rassisten, einen Frauenfeind wählt? Jemanden, der Brasilien wieder in die 70er Jahre der Militärdiktatur zurückbeamen will.
Einige Tische weiter bricht zur gleichen Zeit Jubel aus. „Mito, Mito, Mito,“ – zu deutsch der Mythos, wie Bolsonaro von vielen Anhänger*innen genannt wird – wird in Sprechchören gerufen. Hupende Autos, darunter viele Taxis und Polizeiwagen, werden bejubelt. „Jetzt ist endlich Schluss!“ sagt ein Mann eher zu sich selbst und meint damit wohl ein Brasilien, das ihm schon lange nicht mehr gefällt. Wenige Ecken weiter – ist später im Internet zu lesen – gab es Verletzte, nachdem offenbar rechte Männer gegen Menschen mit Aufklebern von Fernando Haddad und seiner Arbeiterpartei vorgingen.
„Habt keine Angst, wir werden gemeinsam widerstehen.“
Haddad verlor die Wahl deutlich. Die Niederlage wäre ohne die Stimmen derer, die nur auf keinen Fall für Bolsonaro stimmen wollten, noch viel deutlicher ausgefallen. Er gestand seine Niederlage ein, gratulierte dem Sieger aber nicht. Zur Begründung sagte Haddad, Bolsonaro habe gedroht, ihn ins Gefängnis zu werfen. Seinen Anhänger*innen sprach er im Fernsehen Mut zu: „Habt keine Angst, wir werden gemeinsam widerstehen.“ Die große Minderheit, die nicht für den Weg des Hasses gegen Andersdenkende, Frauen und Homosexuelle gestimmt habe, verdiene Respekt. „Es steht viel auf dem Spiel. Deswegen müssen wir die demokratischen Institutionen verteidigen und dürfen uns nicht provozieren lassen“, erklärte der ehemalige Bürgermeister von São Paulo.
In vielen Städten feierten Tausende den Wahlsieg Bolsonaros. In Rio de Janeiro versammelte sich eine Menge in grüngelben Nationalfarben vor seinem Haus am Strand des schicken Stadtteils Barra da Tijuca. Bolsonaro erschien nicht, doch verlas er vor seiner Haustür eine Presseerklärung. Anders als gewohnt gab er sich als Staatsmann, der seine Worte abwägt: „Meine Regierung wird die Verfassung, die Demokratie und die Freiheit verteidigen. Dies schwöre ich vor Gott.“ Er werde aus Brasilien eine große, wohlhabende und freie Nation machen. Er kündigte eine Entbürokratisierung des Staates an, und dass er „alles Ideologische“ aus den Schulen und dem Bildungsministerium verbannen werde. Als einziger Wert gelte die Familie. Und ohne zu merken, dass es eigentlich völlig überflüssig sein müsste, versprach er „Respekt vor unterschiedlichen politischen und religiösen Haltungen“. Kurz zuvor schlug er auf Facebook, wo er sich medial viel eher zuhause fühlt als bei Presseerklärungen, einen weniger versöhnlichen Ton an. Er habe jetzt das Mandat, „unser Brasilien zu retten“ und dafür zu sorgen, dass die Zeit des Sozialismus nicht wiederkehre, sagte Bolsonaro mit Blick auf die Arbeiterpartei, die von 2003 bis 2016 regierte. Die Drohung, seine politischen Gegner*innen nach einem Wahlsieg zu verfolgen, erneuerte er nicht.
Trump, Macri und Piñera gratulierten als erste
US-Präsident Donald Trump war laut Bolsonaro einer der ersten Gratulanten. Auch die konservativen Präsidenten aus Chile und Argentinien meldeten sich umgehend. Ein weiterer Staat, und diesmal eine wichtige Regionalmacht, ist nun fest in rechter Hand. Und der Präsident setzt neue Maßstäbe, denn zumindest im menschenverachtenden Diskurs ist er Trump, Orbán oder Erdogan um einiges voraus. Der Rechtsruck im größten Land Lateinamerikas ist umfassend. Auch die Gouverneure von 13 Bundesstaaten und des Hauptstadtdistrikts Brasilia wurden im zweiten Wahlgang neu bestimmt. In den drei bevölkerungsreichsten Staaten São Paulo, Minas Gerais und Rio de Janeiro gewannen jeweils konservative Kandidaten, die dem neuen Präsidenten politisch nahe stehen. Im kleinen Bundesstaat Rio Grande do Norte gewann Fátima Bezerra von der Arbeiterpartei PT als einzige Frau einen von 27 Gouverneursposten. Abgesehen vom verarmten Nordosten, wo die PT oder ihre Bündnispartner alle Gouverneure stellen, rückte der Rest Brasiliens wie auch das Parlament und der Senat in Folge dieser Wahl deutlich nach rechts.
Rechtsextremist Bolsonaro wird neuer Präsident Brasiliens von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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