(Buenos Aires, 28. Dezember 2022, redeco).- Die Initiative „Abuelas de Plaza de Mayo“ (Großmütter der Plaza de Mayo) verkündete kurz hintereinander zwei Erfolge bei ihrer Aufklärungsarbeit zu den Verschwundenen der Diktatur. Am 23. Dezember konnte der Sohn von Lucia Angela Nadin und Aldo Hugo Quevedo aus Mendoza wiedergefunden werden. Am 28. Dezember wurde die Herkunft eines weiteren verschwundenen Enkels geklärt. Somit wurden in diesen 45 Jahren der Suche 132 Fälle gelöst. Wir teilen beide Mitteilungen der Abuelas:
Die Familie
Lucia wurde am 13. Dezember 1947 in Mendoza geboren, Aldo am 26. November 1941 in der Stadt San Carlos in derselben Provinz. Seine Familie nannte ihn „Negro“ („Schwarz“, in Argentinien auch „Schatz“) oder „Negrito“ (in Argentinien etwa „Schatzilein“). Die beiden lernten sich an der Philosophischen Fakultät der Universität von Cuyo kennen und heirateten sechs Monate später. Lucia unterrichtete Französisch, Latein und Griechisch und arbeitete zusammen mit Aldo in einer Buchbinderei in Mendoza. Das Ehepaar war im PRT-ERP (Partido Revolucionario de los Trabajadores – Ejército Revolucionario del Pueblo, Revolutionäre Arbeiterpartei – Revolutionäre Volksarmee) aktiv, wo sie die Spitznamen „Chiquita“ und „Dipy“ hatten. Nach der Verhaftung ihres Arbeitskollegen Nicolas Zarate im Mai 1976 zogen Lucia, Aldo und Beatriz Corsino, Nicolas‘ Lebensgefährtin, nach Buenos Aires. Zwischen September und Oktober 1977 wurden Lucia, im zweiten oder dritten Monat schwanger, und Aldo in der Stadt Buenos Aires entführt, wahrscheinlich zusammen mit Beatriz. Das Paar wurde in den geheimen Haftanstalten „Club Atlético“ und „El Banco“ festgehalten. Laut Aussagen von Überlebenden wurde Lucia zwischen März und April 1978 zur Entbindung von „El Banco“ an einen unbekannten Ort verlegt. Es besteht der Verdacht, dass die Geburt an der Schule für Mechanik der Marine (ESMA) stattgefunden haben könnte. Seitdem war nichts mehr über das Paar oder das Baby bekannt.
Die Suche
Die Familie wusste nicht, dass Lucia schwanger war, sondern erfuhr davon erst im Laufe der Zeit durch weitergegebene Informationen von Leuten, die vor der Entführung mit dem Paar befreundet waren. Die förmliche Anzeige wurde von der Ökumenischen Bewegung für Menschenrechte (MEDH) von Mendoza vor der Nationalen Kommission für das Recht auf Identität (CONADI) eingereicht. Der CONADI war es am 23. Juni 2004 durch Dokumentationsrecherche gelungen, Lucias Schwangerschaft zu bestätigen. Ein Jahr später hinterließ die Familie Nadin ihre Gen-Probe bei der Nationalen Gen-Datenbank (BNDG). Im März 2010 gelang es CONADI, Aldos Bruder zu finden und sein Profil der Bank hinzuzufügen. Unabhängig davon wurde im Jahr 2015 durch Nachforschungen der Abuelas und CONADI ein Mann identifiziert, von dem vermutet wurde, er könnte ein Kind von Vermissten sein. Nach einer Dokumentationsanalyse und einem erfolglosen Kontaktversuch leitete CONADI 2019 diese Informationen an die Spezialeinheit für Fälle der Kinderaneignung während der Diktatur weiter. Im April 2019 reichte die Spezialeinheit die Anzeige bei der Justiz ein. Das Bundesgericht Nr. 4 unter dem Vorsitz von Ariel Lijo fand ihn am 14. September 2022 und lud ihn zu einer Genanalyse ein. Der Mann stimmte zu, die genetische Studie durchführen zu lassen. Drei Monate wurde die glückliche Nachricht bekannt: Er ist der Sohn von Lucia und Aldo.
Neue Hoffnungen
In diesen 45 Jahren des Kampfes haben wir, die Abuelas, 131 Fälle gelöst. Trotz der Pandemie arbeiten wir weiter Tag für Tag mit Hoffnung und der Überzeugung, dass wir unsere Enkel und Enkelinnen finden werden, die überall auf der Welt sein können. In diesen schwierigen Jahren kamen Hunderte von Männern und Frauen mit Zweifeln an ihrer Herkunft auf uns zu, und andere gaben Informationen über mögliche Söhne oder Töchter von Vermissten. Wir haben auch neue Kampagnen und Strategien entwickelt, um die Suche am Leben zu erhalten, die von einem riesigen Teil der Gesellschaft begleitet wurden. Allein in den letzten vier Jahren, zwei davon unter Pandemiebeschränkungen, wurden mehr als 2.000 Menschen mit Zweifeln an ihrer Identität analysiert. Die meisten durch spontanes Vorsprechen, und etwa 400 durch die Justiz, darunter der letzte identifizierte Enkel.
Unsere Enkelkinder sind unter uns
Es ist eine ständige, stille, geduldige und liebevolle Arbeit. Aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns, und die Zeit leider vergeht. In diesen Jahren mussten wir von geliebten Kameradinnen Abschied nehmen, und viele von ihnen konnten die verdiente Umarmung nicht mehr erleben. Unsere Enkelkinder sind bereits etwa 45 Jahre alt und sicherlich sind sie Männer und Frauen mit einem eigenen Leben, mit Jobs, Erfahrungen, Liebe, Vorlieben und Familien. Wir, die Abuelas, sagen ihnen, dass wir ihrer Geschichte ein Stück Wahrheit hinzufügen wollen, dass wir mit Liebe auf sie warten. Deshalb appellieren wir an die Gesellschaft, sich anzuschließen: Jede Angabe und jeder Verdachtsmoment können helfen, unserem Ziel näher heranzukommen. Behalten Sie die Informationen nicht für sich. Lassen Sie sich nicht mit Zweifeln zurücklassen. Brechen Sie das Schweigen. Unsere Enkelkinder sind unter uns. In diesen Tagen der Freude und der Feier, in denen wir die Stärke des Kollektivs und den Wert der Ausdauer spüren, beenden wir 2022 mit neuer Hoffnung. In unserem Toast erheben wir auch den Becher für ein Jahr voller Wiedersehen. Denn, wir wissen, der einzige verlorene Kampf ist der, der aufgegeben wird.
Update der Abuelas vom 28. Dezember 2022
Wir haben einen neuen Fall gelöst und schließen das Jahr 2022 mit einer neuen Wahrheit ab. Heute Morgen bestätigte das Bundesgericht Nº1 von Tucumán, dass Enkel 132 nicht der Sohn der Familie ist, die ihn in Tucumán als ihren eigenen Sohn großgezogen hat. Der angebliche Vater war der Besitzer eines Bauernhofs, auf dem seine Mutter Mercedes del Valle Morales, gearbeitet hatte. Mercedes wurde 1976 verhaftet und blieb seitdem verschwunden.
Die Suche
Enkel 132 begann die Suche nach seiner Identität im Jahr 2004 in Begleitung der Zweigstelle Tucumán unseres Netzwerks Red por el Derecho a la Identidad de Abuelas de Plaza de Mayo und CoNaDI (Nationale Kommission für das Recht auf Identität). Enkel 132 hatte keine Ahnung, dass die Menschen, die ihn großgezogen hatten, nicht seine leiblichen Eltern waren. Erst nach deren Tod gaben seine Pflegegeschwister ihm sein ursprüngliches Ausweisdokument. Damit wandte er sich an die CoNaDI, um sich nach seiner wahren biologischen Herkunft zu erkundigen. Nach dokumentarischen Recherchen und mit Hilfe der DNA-Untersuchungen, die die Nationale Bank für Genetische Daten (BNDG) durchgeführt hatte, stand fest, dass die im Ausweis angegebene Mercedes del Valle Morales seine leibliche Mutter war. Mercedes wurde am 20. Mai 1976 zusammen mit ihrem neun Monate alten Sohn und ihren Großeltern Toribia Romero de Morales und José Ramón Morales in Monteros, Tucumán, entführt. Vier Tage später verhaftete man auch ihre Onkel José Silvano, Juan Ceferino und Julio César Morales, die bis heute als vermisst gelten. Máxima Rita Romero de Morales, eine Großtante mütterlicherseits, meldete nach dem Ende der Diktatur das Verschwinden ihrer gesamten Familie bei der CoNaDI. Nachdem er von seiner Abstammung erfahren hatte, hinterließ der Enkel sein genetisches Profil beim argentinischen Team für forensische Anthropologie (EAAF) in der Hoffnung, eines Tages die sterblichen Überreste seiner Mutter finden zu können. Einige Zeit später gelang es dem argentinischen Team für forensische Anthropologie, die Überreste von Mercedes del Valle Morales auf dem Nordfriedhof von Tucumán zu identifizieren. Der Enkel konnte sich in einer Zeremonie von seiner Mutter verabschieden, die im Alter von nur 21 Jahren verschwunden war. Damals nahm er auch Kontakt zu seiner Familie mütterlicherseits auf, die ebenfalls an dieser Verabschiedung teilnahm.
Auf der Suche nach dem Vater
Auch wenn damit ein Teil der Wahrheit ans Licht kam, war noch nicht klar, wer der Vater des Jungen war und ob er Opfer einer Aneignung geworden war. Um zu beweisen, dass die Angaben zum Vater in den Unterlagen korrekt waren, wurde die Exhumierung der Leiche des mutmaßlichen Vaters beantragt, da der Mann bereits verstorben war. Der Vergleich des genetischen Profils mit dem des Opfers wurde vom Büro der Staatsanwaltschaft für Verbrechen gegen die Menschheit in Tucumán unter der Leitung von Pablo Camuña und der Staatsanwaltschaft Nr. 1 von Tucumán durchgeführt. Nach Erhalt des BNDG-Berichts teilte das Bundesgericht von Tucumán dem jungen Mann am 28. Dezember mit, dass er nicht der Sohn der Person ist, die ihn großgezogen hat, und bestätigte ihn als Opfer von Entführung, Verschleierung und eines Identitätswechsels während der Diktatur. Heute begrüßen wir ihn als unseren 132. Enkel, und wie bei einem Puzzle, das nie vollendet werden kann, beginnt eine neue Suche nach seinem wahren Vater.
Trotz des Schmerzes, den jede dieser Geschichten mit sich bringt, und der Erkenntnis, dass es mühsam ist, das zu rekonstruieren, was die Diktatur auslöschen wollte, feiern wir weiterhin das Leben mit der Freude, die uns die Eroberung der Wahrheit schenkt. Für ein 2023 voller Begegnungen, Wahrheiten und aufgeklärter Identitäten.
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