(Berlin, 28. Februar 2014, quipu-poonal).- Angesichts eines ersten Freispruchs für vier Polizist*innen, auf die rückwirkend das umstrittene, von Kritiker*innen auch als „Lizenz zum Töten“ bezeichnete Gesetz Nr. 30151 angewendet wurde, hat sich die nationale Menschenrechtskoordination CNDDHH (Coordinadora Nacional de Derechos Humanos) mit einem Schreiben an den peruanischen Oberstaatsanwalt, José Antonio Peláez Bardales gewandt.
Menschenrechtskoordination fordert Richtlinie für Staatsanwaltschaften
Darin äußert die Vorsitzende der Menschenrechtskoordination, Rocío Silva Santisteban im Namen des Bündnisses der 81 Menschenrechtsorganisationen ihre Sorge angesichts der anhaltenden Straffreiheit in 139 Fällen, bei denen seit 2002 Personen im Zuge von sozialen Protesten durch Sicherheitskräfte zu Tode kamen und es bisher kein Urteil gibt. Die Koordination fordert für Staatsanwält*innen, die mit der Untersuchung außergerichtlicher Hinrichtungen betraut sind, die Erstellung einer allgemeinen Interventionsrichtlinie innerhalb des geltenden Rechts.
Eine derartige Richtlinie sei umso notwendiger, da die Gefahr, dass solche Fälle straffrei bleiben, durch Inkrafttreten des Gesetzes 30151 noch gestiegen sei. Ähnliche Kritik wurde unter anderem auch bereits von der peruanischen Ombudsstelle, der interamerikanischen Menschenrechtskommission CIDH (Corte Interamericana de Derechos Humanos) und dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte geäußert.
Gewaltmissbrauch der Sicherheitskräfte nicht tolerierbar
Die im seit Mitte Januar geltenden Gesetz 30151 festgeschriebene Wendung „in Ausübung des Dienstes“ dürfe nicht dazu herangezogen werden, dass gegen exzessive Gewaltanwendung „die jenseits der Standards liegen“, wie sie in der Regelung RM 1452-2006-IN festgelegt wurden, nicht mehr vorgegangen werden kann. „Unter keinen Umständen darf missbräuchliche Anwendung von Gewalt, die sich jenseits nationaler und internationaler Standards bewegt, als legal angesehen und von Untersuchungen ausgeschlossen werden“, fordert die Menschenrechtskommission in ihrem Schreiben. Das neue Gesetz wird von vielen Seiten kritisiert, weil durch eine Neuformulierung Gewaltmissbrauch von Sicherheitskräften im Dienst praktisch nicht mehr als Straftat gilt. Daher erhielt das Gesetz 30151 auch den Beinamen „Lizenz zum Töten“.
Am vergangenen 5. Februar hatte ein Richter vier Angehörige der Nationalpolizei freigesprochen. Sie waren angeklagt, am Tod von vier Personen in Huancavelica im Jahr 2011 schuldig gewesen zu sein, die bei der Auflösung einer Demonstration, bei der es um die Schaffung der Universidad Autónoma de Tayacaja ging, durch Sicherheitskräfte ums Leben gekommen waren. Die Polizei hatte mit scharfer Munition in die Menschenmenge geschossen, um die Proteste aufzulösen, wie die Zeitung El País berichtet.
Gesetz 30151 rückwirkend angewendet
Nach Ansicht der Richter sahen sich die des Mordes beschuldigten Polizist*innen „gezwungen, automatische Schnellfeuerwaffen und Stichwaffen einzusetzen, um ihr Leben und ihre physische Gesundheit zu schützen“, so das Urteil. Obwohl die Fälle sich vor Inkrafttreten des Gesetzes 30151 ereigneten, wandten die Richter rückwirkend dieses Gesetz an. Sie richteten sich dabei nach dem Prinzip, dass Gesetze rückwirkend angewendet werden dürfen, wenn dies zu Gunsten der Angeklagten ist.
Mit diesem Urteil sind in vier von den bisher 139 noch offenen Fällen von tödlicher Gewalt der Sicherheitskräfte im Zuge von sozialen Protesten die ersten Freisprüche erfolgt.
Von 148 Kugeln durchsiebt
Laut Zeugenaussagen und Untersuchungen der Staatsanwaltschaft starb bei den Protesten Ivanov Ccora Quispe, ein 30-jähriger Wachmann eines Büros der Regionalregierung während der Ausübung seines Dienstes durch mehrere Schüsse aus dem Maschinengewehr des Unteroffiziers der Polizei, Abel Agustín Vargas Olivos.
Der 14-jährige Schüler Deivis Huallani Martínez, der an der Demonstration gar nicht teilgenommen hatte, wurde von einem Schuss ins Herz tödlich getroffen. Der 22-jährige Oswaldo Demetrio Quispe Lázaro starb an den Folgen von 148 Schrotkugeln die seinen Körper durchsiebt hatten und die der Unteroffizier der Polizei, Kuncewitz Silva Marchan abgefeuert hatte.
Freispruch für den Einsatzleiter
Die Staatsanwaltschaft gab weiterhin an, dass die Unteroffizierin der Polizei, Maricela Jáuregui Chacón, mit Schüssen aus einer Pistole Pietro Beretta Kaliber 9 mm, den 14-jährigen Deyvis Huayllani Martínez tödlich verletzt hat. Nur wenige Tage nach der Demonstration starb der Student Isaac Apari, der aufgrund eines Schusses der Polizei erblindet war. Er habe sich erhängt, nachdem die Ärzte ihm mitgeteilt hatten, dass er nie wieder würde sehen können, berichtet El País.
Einen Freispruch gab es zudem auch für den verantwortlichen Einsatzleiter, Polizeioberst Edward Marín Grandes, der für die Planung und Durchführung des Einsatzes verantwortlich war.
„Lizenz zum Töten“ – Erste Freisprüche für PolizistInnen von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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