Großmütter der Plaza de Mayo finden Enkelin 139

Verschwundene
Das weiße Kopftuch, das Symbol der Madres, hier als Grafitti auf dem Pflaster.
Foto: wikimedia, Autor*in unbekannt
CC BY-SA 2.0

(Buenos Aires, 21. Januar 2024, La Diaria)-. Die Organisation Abuelas de Plaza de Mayo gab am Dienstag die Auffindung von Enkelin 139 bekannt, weniger als einen Monat nachdem Enkel 138 gefunden worden war. „Unaufhaltsam kommt die Wahrheit über die Verbrechen der Diktatur ans Licht“, erklärte Estela de Carlotto zur Aufdeckung der Identität der Tochter von Noemí Beatriz Macedo und Daniel Alfredo Inama.

„Willkommen in der Wahrheit, liebe Enkelin“

Gegen 14.15 Uhr begann die Pressekonferenz unter der Leitung von Estela de Carlotto, Präsidentin der Organisation der Abuelas, im Auditorium der Casa por la Identidad del Espacio Memoria y Derechos Humanos (Haus für die Identität des Raums der Erinnerung und der Menschenrechte, dem ehemaligen Folterzentrum ESMA, in Buenos Aires). „Wir beginnen das Jahr 2025 mit einer weiteren freudigen Entdeckung: Willkommen, Nr. 139“, erklärte Carlotto, bevor sie die Identität der Tochter von Noemí Beatriz Macedo und Daniel Alfredo Inama enthüllte. Die beiden Aktivisten der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei waren während der letzten argentinischen Zivil- und Militärdiktatur im November 1977 entführt worden. Zu diesem Zeitpunkt war Noemí im sechsten oder siebten Monat schwanger. „Die beiden wurden von Überlebenden in der geheimen Folterzentrale Club Atlético gesehen. Bei der gleichen Operation, bei der Daniel entführt wurde, nahmen sie auch andere Parteimitglieder mit: Teresa Galeano, Jorge Giorgieff, Beatriz Longhi und Oscar Ríos. Sie alle werden bis heute vermisst“, sagte Carlotto.

Sage nie, du gehst den letzten Weg

Enkelin 139 wurde zwischen Januar und Februar 1978 geboren. Ihr Vater Daniel hatte zwei Kinder aus zwei anderen Beziehungen, Paula und Ramón Inama, die zusammen aufwuchsen und von Noemís Schwangerschaft wussten. Ramón ist Unterstützer der Organisation der Abuelas und war bei der Konferenz anwesend, um seine Schwester zu begrüßen. Carlotto verlas die Rede, die Ramón vor einiger Zeit für eine Kampagne der Organisation geschrieben hatte: „An dem Tag, an dem wir dich finden, wollen wir nicht, dass du das Leben zurücklässt, das du dir aufgebaut hast, sondern wir wollen Teil davon sein. Wir wollen dich in unserer Mitte willkommen heißen, wir wollen, dass du deine Neffen und Nichten triffst; auch sie werden dich mit offenen Armen empfangen.“ Sichtlich bewegt erklärte Ramón: „Es ist ein sehr schwieriger Moment, aber gleichzeitig auch ein schöner“. In La Plata, wo er wie auch sein Vater herkommt, habe man viel nach dieser Schwester gesucht. „Wir dachten, wir hätten alle Instanzen ausgeschöpft, wir dachten, der Fall sei abgeschlossen“, gab er zu‚ „aber die Großmütter haben uns eines Besseren belehrt: Man sollte niemals die Hoffnung aufgeben, das haben sie uns zum 139. Mal gezeigt. Sage nie, du gehst den letzten Weg.“ Die Familie des Vaters fiel dem Staatsterrorismus zum Opfer: Daniels Vater Laudelino Macedo, seine Schwester Gloria Nelly mit ihrem Lebensgefährten Rubén Justo García, die gemeinsame Tochter Miriam Viviana García sowie ein weiterer Schwager, Oscar López Lamela, „wurden entführt und sind bis heute verschwunden“, so Carlotto. Über Daniels Mutter Lucila erzählt Carlotto: „Das Verschwinden ihres Sohnes war ein schwerer Schlag für sie. Von diesem Moment an war jeder Geburtstag, jedes Fest bestimmt von Schmerz und Traurigkeit. Sie starb am 20. April 2013 bei der verheerenden Überschwemmung, die die Stadt La Plata und ihre Umgebung heimsuchte. Sie hat nie aufgehört, nach ihren Enkeln zu suchen. Von irgendwoher wird sie die Suche weiterführen“, sagten wir von den Abuelas damals. Und anscheinend war es auch so.“

Die Suche

Die Abuelas erhielten anonyme Informationen, die sie sammelten und systematisierten, um mit den Ermittlungen zu beginnen. „In Abstimmung mit der Nationalen Kommission für das Recht auf Identität [Conadi] wurde der Fall weiter bearbeitet“, erklärte Manuel Gonçalves Granada, selbst ein Enkel von Verschwundenen mit wiedergewonnener Identität und Vorstandsmitglied des von Abuelas. Von Conadi aus seien Unterlagen von verschiedenen staatlichen und regionalen Stellen angefordert worden, darunter das Einheitliche Register der Opfer von Staatsterrorismus (Rupte), die wichtige Informationen bestätigten und ergänzten.

Im November 2024 nahm die Conadi Kontakt mit Enkelin 139 auf, um ihr die bisherigen Informationen zu geben. Die Tochter von Noemí und Daniel willigte ein, sich an die Nationale Datenbank für genetische Daten zu wenden, die vor wenigen Tagen ihre Identität bestätigte. Carlotto betonte einmal mehr die Bedeutung des „kollektiven Kampfs“ und der „Kontinuität der staatlichen Politik“. Die Rolle des Ministeriums für Menschenrechte Secretaría de Derechos Humanos bezeichnete die Abuelas-Präsidentin als „zentral“ und versicherte: „Dieses Ministerium und seine Politik müssen weiterhin von der Regierung und allen ihren Mitarbeiter*innen unterstützt werden“.

Die Familie von Enkelin 139

Ramón, der als Schriftsteller und Lyriker arbeitet, hatte seinerzeit für die Bewegung Teatro por la Identidad einen Text geschrieben, der eine unbekannten Verwandten gewidmet ist. Heute weiß er, dass diese Worte an seine Schwester gerichtet waren: „Ich kann dir sagen, wer ich bin und es mit geschlossenen Augen schreiben, ohne Angst zu haben, dass man mich verwechselt. Ich kann dir auch von deiner Schwester erzählen, die Paula heißt, aber manchmal Lorena genannt wird. Doch nichts kann ich dir erzählen von deinem Vater, deiner Mutter und ihrem Schicksal, oder vielleicht habe ich auch einfach Angst, es zu tun“, las Ramón bei der Veranstaltung. „Deine Großmütter sind gegangen, ohne dich je kennengelernt zu haben, eine ging vor der anderen, und doch gingen beide in einer gleichermaßen schwarzen Nacht“. „Als ich jünger war, habe ich mich öfter gefragt, was aus dir geworden sein möchte. Der Gedanke, dir vielleicht über den Weg gelaufen zu sein, vielleicht ein Wort gewechselt zu haben, ohne dass wir voneinander wussten, machte mir Angst“, schrieb Ramón 2019. Der ursprüngliche Text schließt mit den Worten: „Es bleibt nur eins, was ich dir sagen kann, und mir und uns allen: Wir müssen weitersuchen, bis wir dich finden, bis wir uns wiederhaben.“ Heute kann Ramon hinzufügen: „…und wir haben dich gefunden.“

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