(Buenos Aires, 14.08.2021, Agencia Paco Urondo).- Im Verfahren um sexualisierte Folter während der Militärdiktatur hat das Bundesstrafgericht Nr. 5 in Buenos Aires nach neun Monaten Verhandlung das Urteil gegen Jorge Acosta und Alberto González verkündet: 24 bzw. 20 Jahre Haft. Die beiden Völkermörder hatten sich im geheimen Folterzentrum Escuela Mecánica de la Armada (ESMA) in mindestens drei Fällen der schweren sexualisierten Gewalt schuldig gemacht. Die Urteilsbegründung wird im Oktober dieses Jahres erwartet.
Separates Strafverfahren wegen sexualisierter Gewalt
Das Ausbildungszentrum ESMA war eine der geheimen Haftanstalten, die zur systematischen Entmenschlichung und Eliminierung der politischen Gegner*innen genutzt wurden. Um ihre Integrität auf körperlicher und psychologischer Ebene zu brechen, wurde neben anderen Foltermethoden gezielt mit Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt gearbeitet. Die drei betroffenen Frauen hatten im Rahmen einer früheren mündlichen Verhandlung wegen anderer Verbrechen gegen die Menschheit durch die ESMA von den Misshandlungen erzählt, die sie während des rechtswidrigen Freiheitsentzugs erlitten hatten. Daraufhin hatte das Gericht eine Sonderuntersuchung angeordnet, auf die ein separates Strafverfahren folgte. Der Prozess konzentrierte sich auf sexualisierte Gewalt als Methode der Unterdrückung und psychologischen Kontrolle und trug damit der Tatsache Rechnung, dass die Betroffenen besonderen und besonders perfiden Verletzungen ausgesetzt waren. Bisher war sexualisierte Gewalt in den ESMA-Prozessen immer wieder aufgetaucht, ohne jedoch in differenzierter Form in die Urteilsfindung einzufließen. Das Urteil vom 13. August ist insofern richtungsweisend, da Vergewaltigung und andere Formen von sexualisierter Gewalt künftig nicht mehr nicht mehr unter dem Begriff „Folter“ subsumiert, sondern als eigene Kategorie untersucht werden.
Sexualisierte Folter erstmals 2010 als Menschheitsverbrechen kategorisiert
Acosta und González als Leiter bzw. Mitglied der Task Force 3.3.2. waren bereits wegen anderer Verbrechen gegen die Menschheit verurteilt worden, standen nun aber zum ersten Mal wegen sexualisierter Gewalttaten während der Militärdiktatur vor Gericht. Diese werden als Verbrechen gegen die Menschheit deklariert, für die das Prinzip der Nichtverjährbarkeit gilt.
Obwohl in Argentinien bereits seit den 80er Jahren Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschheit laufen, wurde sexualisierte Gewalt erst 2010 als eigenständiges Delikt behandelt: Im Verfahren gegen Gregorio Rafael Molina verurteilte das Bundesgericht von Mar del Plata den ehemaligen Unteroffizier der Luftwaffe wegen „schwerer Vergewaltigung“. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass etliche dieser Verbrechen straffrei bleiben, obwohl sie in geheimen Haftanstalten sehr häufig praktiziert wurden, da viele Betroffene aus Angst, Scham oder Selbstschutz nicht über die erlittene Gewalt reden wollen.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft für Verbrechen gegen die Menschheit tauchte bis März 2020 sexualisierte Gewalt in nur 13 % der verhängten Urteile als eigenständiger Tatbestand auf. Nur 103 der 968 Menschheitsverbrecher wurden auch für Sexualdelikte verantwortlich gemacht.
Sexualisierte Folter als Kriegswaffe
Über Erfahrungen mit Inhaftierung, Folter und sexualisierter Gewalt zu erzählen ist auch in einem demokratischen Regime nicht einfach. In einer Gesellschaft, in der patriarchalen Strukturen fortbestehen, müssen Frauen damit rechnen, in Frage gestellt oder selbst zu Schuldigen erklärt zu werden. Im Rahmen öffentlicher Verhandlungen werden mit subtiler Grausamkeit und eindeutigem Unglauben alle möglichen Arten von Fragen gestellt und die Betroffenen gezwungen, sich an Details zu erinnern und diese erneut zu durchleben. Trotzdem ist es wichtig, den systematischen Charakter sexualisierter Folter, ihren Einsatz als „Kriegswaffe“ (Rita Segato) und als Herrschaftssystem im argentinischen Staatsterrorismus aufzuzeigen.
Urteile wie das gegen Jorge „Tigre” Acosta und Alberto „Gato” González, die die spezifische Form von Verbrechen gegen die Menschheit anerkennen und benennen, sind Teil der historischen Wiedergutmachung, die der Staat denjenigen schuldet, die die Gewalt erlebt haben und seither diese Erfahrung mit sich herumtragen. In dem Verfahren kamen Frauen als Protagonistinnen, als Betroffene und als Zeuginnen zu Wort. Wenn die Sprache ein Aspekt ist, der uns als Menschen ausmacht, dann ist das Erzählen einer auf den Körper geschriebenen Geschichte ein Beweis, dass der Versuch der Entmenschlichung nicht gelungen ist und es nicht geklappt hat, Schweigen zu erzeugen. Daher nun ein besonders tief empfundenes „Nie wieder“ für unsere Genossinnen und für die Qualen, von denen sie heute, wenn auch mit Schmerzen, erzählen können.
ESMA-Prozess: lange Haftstrafen wegen sexualisierter Folter von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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