„Es gibt keinen Grund, uns sicher zu fühlen“

Pakt der Korrupten
Die Kommunikationsexpertin und Politikwissenschaftlerin Silvia Trujillo. Grafik: Plaza Pública (Creative_Commons)

(Mexiko-Stadt, 28. Oktober 2024, npla).- Seit zehn Monaten ist Bernardo Arévalo als Präsident von Guatemala im Amt. Versprochen hatte er einen entschlossenen Kampf gegen die Korruptionsnetzwerke in Guatemala, die große Teile des Staates unter ihre Kontrolle gebracht haben. Mitte Oktober hat Guatemalas Kongress turnusmäßig neue Oberste Richter*innen bestellt. Wir sprechen mit der Kommunikationsexpertin und Politikwissenschaftlerin Silvia Trujillo, ob es Hoffnung gibt auf eine Reinigung der guatemaltekischen Justiz.

Silvia Trujillo, es wird ja immer wieder vom Pakt der Korrupten gesprochen. Kannst Du uns zuerst mal erklären, worum es sich dabei handelt?

Silvia Trujillo: Die Korruptionsnetzwerke in Guatemala haben ihre Wurzeln in der langjährigen Militärdiktatur, Strukturen aus Armee und der Oberschicht. Heute gehören auch die Drogenkartelle dazu. Das ist das, was wir hier sehr umgangssprachlich den „Pakt der Korrupten“ nennen. Und das sind sehr starke, faktische Machtstrukturen, die sich bereichern und Kritiker*innen verfolgen. Früher waren alle drei Staatsgewalten in die Verfolgung verstrickt. Heute macht die Exekutive, die Regierung, da nicht mehr mit. Aber das Verfolgungssystem ist in der gesamten Justiz und in großen Teilen auch des Kongresses noch intakt. Es gibt also keinen Grund, uns sicher zu fühlen.

Verfassungsgemäß hatte der Kongress dieses Jahr neue Richter*innen an das Oberste Gericht zu bestellen. Nach einem dreimonatigen Bewerbungs- und Auswahlverfahren sind die 13 neuen Obersten Richter*innen seit Mitte Oktober nun im Amt. Ist das neugewählte Oberste Gericht nun frei von Korrupten?

Trujillo: Nein, das Oberste Gericht ist nicht von den Korrupten gereinigt worden. Aber das neue Richter*innenkollegium ist das Beste, was mit dem vorhandenen Kräfteverhältnis im Kongress erreicht werden konnte. Es gab einen ersten Filter, eine Kommission, die zumindest die schlimmsten Kandidat*innen gar nicht erst zugelassen hat. Und der zweite Filter war der Kongress. Dort gibt es mindestens drei Strömungen. Man kann sagen, zwei sind mit den politischen und wirtschaftlichen Netzwerken und dem Pakt der Korrupten verbunden, und die dritte Strömung sind Abgeordnete, viele von Arévalos Partei Semilla, die sich für Menschenrechte und eine unbestechliche Justiz einsetzen. Aber mindestens drei neue Oberste Richter*innen sind höchst zweifelhafte Persönlichkeiten. Überhaupt es ist noch ein weiter Weg, bis wir von einer Reinigung des Justizsystems sprechen können.

Natürlich auch, weil Generalstaatsanwältin Consuelo Porras nach wie vor im Amt ist. Es ist ja ihre Behörde, die in den letzten Jahren Dutzende Haftbefehle gegen kritische Journalist*innen erwirkt hat, gegen missliebige Korruptionsermittler und Richter*innen. Sie hatte ja schon direkt nach den Wahlen im letzten Jahr versucht, den Amtsantritt Arévalos zu verhindern.

Trujillo: Consuelo Porras wird von dem Pakt der Korrupten und vor allem vom Unternehmerverband Cacif unterstützt. Solange sie die Unterstützung dieser Netzwerke und dieser unnachgiebigen konservativen herrschenden Klasse hat, die das Land seit jeher ausplündern, solange hat Arévalo eine mächtige Gegnerin. Einige sagen, dass der Präsident der Republik die Macht hat, sie von ihrem Posten zu entfernen. Die Regierung aber besteht darauf, sie wegen der Gewaltenteilung eben nicht entfernen zu können. Grundsätzlich finde ich, die Regierung zeigt politischen Willen. Nach zehn Monaten im Amt erwarten die Leute aber mehr, sie wollen konkrete Aktionen.

Es gab aber eine positive Nachricht: Im Oktober ordnete ein Richter die Haftentlassung des Journalisten Ruben Zamora an, den Gründer der renommierten Tageszeitung El Periódico, die mittlerweile schließen musste. Vor 20 Monaten war der Journalist verhaftet worden, wohl weil er über Korruptionsfälle im Umfeld von Arévalos Vorgänger, Ex-Präsident Alejandro Giammattei berichtet hatte. Freigelassen wurde Zamora nicht, aber immerhin in den Hausarrest überstellt. Was bedeutet dieses Urteil?

Trujillo: Natürlich sind wir alle überglücklich, dass Zamora nach 20 Monaten grausamer Haftbedingungen jetzt in Hausarrest überführt wurde. José Ruben war eine Ikone, ein Symbol, sowohl für die Pressefreiheit, aber auch für den Pakt der Korrupten. Mit seiner Verhaftung hat man allen kritischen Geistern gezeigt: Vorsicht! Wenn wir Zamora verhaften können, können wir das mit jedem machen! Die Entscheidung zeigt, dass es immer noch anständige, mutige Richter*innen gibt, die sich diesem Justizterrorismus entgegenstellen. Aber wir sind sehr weit entfernt von einem Ende der Kriminalisierung.

Wir sprachen mit Silvia Trujillo, Kommunikationsexpertin und Politikwissenschaftlerin. Noch ein Nachtrag: Ein paar Tage nach der Haftentlassung des Journalisten Zamora hat die Staatsanwaltschaft Berufung dagegen eingelegt. Wir werden weiter über den Fall berichten. Den Interview-Podcast hört ihr im onda-info 602.

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