Von Orlando Oramas Leon
(Mexiko-Stadt, 26. September 2017, prensa latina).- Inzwischen sind schon drei Jahre vergangen, seitdem die 43 Studierenden aus der Escuela Normal Rural von Ayotzinapa spurlos verschwunden sind. Genauso wie der Verbleib der Studierenden ist auch der Umgang der Justiz mit diesem Verbrechen weiterhin ungewiss.
Wieder einmal finden Demonstrationen und andere Protestaktionen statt, die von den Angehörigen der Jugendlichen angeführt werden. Die Angehörigen hören nicht auf zu fordern, dass ihre Kinder lebendig wieder auftauchen. Hinzu kommen soziale Organisationen, die die Angehörigen begleitet haben – trotz aller Versuche, dieses Ereignis, das über die Grenzen Mexikos hinaus bekannt wurde, zu diskreditieren.
Der 26. September ist ein Tag, an dem an die Umstände erinnert werden soll, unter denen die Studierenden in der Nacht vom 26. September 2014 in der Stadt Iguala angegriffen worden sind. Der Bürgermeister von Iguala und seine Frau pflegten enge Verbindungen mit dem organisierten Verbrechen. Auch die Chefs und Polizisten dieser und der angrenzenden Gemeinden waren mit dem organisierten Verbrechen verbunden. Zu ihren Aufgaben gehörte es, die Jugendlichen den Auftragsmördern der kriminellen Vereinigung Guerreros Unidos (Vereinigte Kämpfer) zu übergeben. Die Guerreros Unidos teilen sich das Gebiet und die Drogenmärkte mit einem anderen Kartell namens Los Rojos.
Unabhängige Ermittler*innen stellen Regierungsversion in Frage
Die offiziellen Ermittlungen unterscheiden sich erheblich von den Ermittlungen internationaler Behörden. Laut der Regierung von Präsident Peña Nieto sind die Studierenden getötet worden und ihre sterblichen Überreste auf der Mülldeponie von Cocula verbrannt worden. Danach sei die Asche in Tüten verpackt in den Fluss San Juan geworfen worden.
Diese Version ist von der Gruppe unabhängiger internationaler Expert*innen GIEI (Grupo Internacional de Expertos Independientes) in Frage gestellt worden; ihr Mandat wurde daraufhin von der Regierung beendet. Sicher ist, dass mehr als hundert mögliche Mittäter*innen des Verbrechens von Iguala hinter Gittern sitzen, aber die Körper der Studierenden noch nicht aufgetaucht sind, außer einem Knochenrest, der mit Hilfe forensischer Proben und DNA-Untersuchungen einer Person zugeordnet werden konnten. Es handelt sich hierbei um die sterblichen Überreste des 21-jährigen Alexander Mora Venancio, der als Halbwaise gemeinsam mit seinem Vater in einem Haus in El Pericón, Teconapa, im mexikanischen Bundesstaat Guerrero gelebt hat.
Wer ihn kannte bestätigt, dass Alexander ein gebildeter Junge aus einer armen Familie war. Er, seine zwei Brüder und sein Vater, lebten in einem Haus mit Wellblechdach. Der Vater war Taxifahrer und nutzte ein geliehenes Auto um zu arbeiten. Alexander hatte die Universidad Autónoma de Guerrero verlassen, wo er Regionale Entwicklung studiert hatte, um ein Lehramtsstudium an der Escuela Normal Rural Raúl Isidro Burgos in Ayotzinapa aufzunehmen.
Polizisten schossen auf alles, was sich bewegt
In der Nacht der Tragödie begleitete er Dutzende seiner Studienkollegen, die in Busse einstiegen und nach Iguala fuhren, um dort vor dem Rathaus gegen die schlechten Bedingungen ihrer Einrichtung zu protestieren. In Iguala fand allerdings zu diesem Zeitpunkt eine offizielle Veranstaltung des Bürgermeisters und seiner Frau statt. Diese gaben den Befehl, gegen die Studierenden vorzugehen, die daraufhin mit mit scharfen Waffen beschossen wurden. Die Gemeindepolizisten verfehlten ihr Ziel nicht. Sie schossen auch auf einen Bus, der eine Mannschaft jugendlicher Fußballspieler beförderte, sowie auf ein Taxi. Dabei starben sechs Personen, mehr als zehn wurden verletzt.
Aber die Jagd auf die Studierenden von Ayotzinapa hatte gerade erst begonnen. Eine Gruppe der Studierenden wurde in einem Kleinlaster eingesperrt und den Bewaffneten der Guerreros Unidos übergeben. Später verbreitete die Generalstaatsanwaltschaft Geständnisse der Mörder, wonach einige der Studierenden bereits durch Ersticken gestorben waren. Andere wurden durch Kopfschüsse getötet.
Der Staat ist durchdrungen von organisierten Verbrechen
Die Morde von Iguala beweisen, wie sehr das organisierte Verbrechen die Säulen der öffentlichen und politischen Gewalt durchdrungen hat. Sie zeigen auch, wozu die politischen Parteien fähig sind, um ihren Kandidaten Posten zu verschaffen. Der als „Fall Ayotzinapa“ bekannt gewordene Vorfall hat auf internationaler Ebene eines der finstersten Gesichter Mexikos zutage gebracht: das Gesicht von gewaltsam verschwunden Menschen und auch das Gesicht der Straflosigkeit, die diese Straftaten verschleiert.
Am 26. September gab es eine Demonstration in Mexiko-Stadt. Diese führte an dem Anti-Denkmal vorbei, das an die verschwundenen Studenten erinnert. Es handelt sich dabei um eine Skulptur in Form einer 43, die auf dem Paseo de la Reforma in die Höhe ragt. Aber niemand weiß, wie viele Jahre es noch dauern wird, bis wir wissen, was mit den Studenten der Schule Raúl Isidro Burgos passiert ist.
Mexiko hat nicht nur 43 Lehrer verloren; sondern auch das politische System, die öffentliche Regierung und das Rechtssystem haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. Und die Studierenden sind immer noch nicht wieder aufgetaucht.
Drei Jahre ohne die 43 aus Ayotzinapa von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar