Von Jessica Zeller
(Tarapoto, im Mai 2017, npl).- Frauen machen Medien. Das gilt auch für das Amazonasgebiet. Yánua Vargas ist mit ihrer Kamera unterwegs: Die junge Shuar-Indígena studiert in Ecuadors Hauptstadt Quito Fotografie. Die Peruanerin Gabriela Bardales ist als Radioreporterin mit ihrem Mikrofon nah am Menschen. Beide Frauen sind Mitte 20 und berichten live vom achten Panamazonischen Sozialforum (FOSPA) in Tarapoto, Peru. Wir haben sie dort bei Ihrer Arbeit begleitet und mit ihnen über ihr Leben und ihre Träume gesprochen.
Yánua: Fotografin und Shuar-Indígena
Es ist heiß am Samstagvormittag, 29. April an der Universität von Tarapoto, Peru. Vor einer weißen Leinwand, die an einem hohen Baum befestigt ist, steht eine junge Frau und stellt das Objektiv ihrer Digitalkamera scharf. Die Fotografin heißt Yánua Vargas, hat einen wachen Blick und ein gewinnendes Lächeln. Die langen schwarzen Haare hat sie zu einem Dutt auf dem Kopf gebunden. Yánua ist Shuar-Indígena. Mit elf Geschwistern ist sie in einer Comunidad im Amazonas-Gebiet Ecuadors aufgewachsen. Heute studiert sie mehrere Busstunden von ihrem Heimatdorf entfernt in der Hauptstadt Quito Fotografie. „Tatsächlich bin ich aber schon weggezogen als ich fünfzehn war, um in Quito die weiterführende Schule zu besuchen.“ sagt sie. „Mein großer Traum war es, Ärztin oder Journalistin zu werden. Also entweder Leben zu retten oder mit der Kamera unterwegs zu sein.“
Las Caras Amázónicas – die Gesichter des Amazonas
Und diesen Weg hat Yánua recht erfolgreich eingeschlagen. Hier in Tarapoto dokumentiert sie die Besucher*innen des achten Panamazonischen Sozialforums mit ihrer Kamera. Vier Tage lang treffen sich von Ende April bis Anfang Mai 2017 rund zweitausend Aktivist*innen aus dem Amazonasgebiet. Sie informieren, diskutieren und entwickeln gemeinsame Strategien – gegen den Raubbau an der Natur, die Ausbeutung der mehrheitlich indigenen Bevölkerung – und für ihre Selbstbestimmung. Yánua porträtiert die vielfältigen Gesichter des Amazonas – las Caras Amazónicas.
Vor ihrer Leinwand steht ein bequemer Stuhl, auf dem die Besucher*innen Platz nehmen. „Es soll kein ernstes oder gestelltes, sondern ein ganz spontanes Bild werden. Keiner soll sich von der Kamera einschüchtern lassen.“ fasst Yánua die Idee ihres Vorhabens zusammen. Nach dem Forum sollen die Fotos als Serie ins Internet gestellt werden, auf die Seite von La Nave Radio. Das ist eine Gruppe von rund 30 Medienmachenden, die seit drei Jahren zusammen arbeiten und diesmal live vom Forum berichten.
Gabriela: Radioreporterin aus Nauta
Als Fotografin ist Yánua bei La Nave Radio eher die Ausnahme. Die meisten Mitglieder sind, der Name sagt es ja bereits, beim Rundfunk. So auch Gabriela Bardales aus Nauta, einer kleinen Stadt in der nördlichen Selva Perus. Sie ist 25, ein Jahr älter als Yánua, und macht schon Radio, seit sie mit der Schule fertig ist. Seit sieben Jahren ist sie Teil von Radio Ucamara, einem gesellschaftspolitisch engagierten Community-Sender. „Angefangen habe ich dort mit Musiksendungen. Ich war ja noch recht jung und das war genau mein Ding. Doch schon bald meinte Leonardo Tello, der Leiter von Radio Ucamara, dass ich ruhig auch mal in die umliegenden Comunidades reisen könnte, um von dort über politische Themen zu berichten. Das war gerade am Anfang ganz schön hart für mich. Denn ich habe ja nicht mal studiert. Aber es macht Spaß und heute bin ich Reporterin.“ erzählt die junge Frau von ihrem Werdegang.
Beim Sozialforum in Tarapoto ist Gabriela fast pausenlos auf dem Veranstaltungsgelände unterwegs und wird per Handy in die Live-Sendung ihrer Compañeros zugeschaltet. Auf den ersten Blick wirkt die kleine Frau fast etwas zu zurückhaltend, um Journalistin zu sein. Aber sobald Gabriela auf Sendung ist, wird deutlich, wie routiniert und wie hartnäckig sie ist: Interviewpartner*innen, die einsilbig antworten, bringt sie zum Reden – auch deshalb, weil sie selbst Ruhe und keine Hektik ausstrahlt. Und wenn jemand gar nicht vor das Mikrofon will, hat sie in Sekundenschnelle bereits Ersatz beschafft.
Radio ist Männersache
Radiomachen, das ist in Peru und erst Recht in einer Kleinstadt Männersache. Nicht so bei Radio Ucamara, dem einzigen nicht kommerziellen Sender in Nauta. Hier gibt es zwar einen Mann an der Spitze, aber das Kernteam besteht aus Gabriela und ihren zwei Kolleginnen: „Wir mussten uns viel Kritik dazu anhören. Von wegen Frauen gehören doch in die Küche und zu den Kindern. Viele Männer meinten, dass wir kein Radio machen können. Aber wir haben alle die gleichen Rechte!“
Rechte, die sich Frauen wie Gabriela erst erkämpfen mussten. Nicht nur in der Gesellschaft, auch in der Familie herrschen traditionelle Geschlechterbilder vor: „Vor allem mein Vater war zu Beginn eher skeptisch, was meine Arbeit beim Radio betraf. Ich kam immer spät nach Hause, das passte ihm nicht. Dafür stand meine Mutter stets hinter mir. Doch mittlerweile ist auch mein Vater überzeugt von dem, was ich tue.“ berichtet die junge Radioreporterin stolz. Gabrielas Eltern sind von Beruf Fischer*innen – finanziell können sie ihre Tochter kaum unterstützen. Aber während sie auf dem Forum ist und arbeitet, passen die Eltern auf die kleine Kaori auf, Gabrielas fünfjährige Tochter, die sie allein erzieht.
Gabrielas Traum: ein Studium in der Stadt
Für die junge Mutter ist das Leben zwischen Kind und Karriere eine permanente Gratwanderung. Gabrielas großer Traum ist es, Journalismus zu studieren und einen richtigen Abschluss zu haben: „Dann könnte mir niemand mehr dumm kommen!“ Doch um das zu tun, müsste sie nach Iquitos ziehen, die nächstgrößere Stadt. Und ihre Tochter bei ihrer Familie in Nauta zurücklassen. „Und das macht mir etwas Angst.“
Was ist wichtiger: die Weiterbildung der Mutter, die am Ende auch der kleinen Tochter zu Gute kommen könnte? Oder die tägliche Präsenz vor Ort? Das sind Fragen, die die Radioreporterin Gabriela aktuell beschäftigen und auf die sie bis jetzt noch keine Antwort gefunden hat.
Yánua setzt sich durch – und stößt an Grenzen
Währenddessen ist die junge Fotografin Yánua eifrig dabei, in ihrem Open-Air-Fotostudio die Besucher*innen des FOSPA zu porträtieren. Sie hat schon über fünfzig Frauen und Männer fotografiert – manche von ihnen in traditioneller Kleidung, andere westlich-modern in Jeans und T-Shirt. Und wieder andere in einer Mischung aus beidem. So wie Yánua selbst, die zu ihrem blauen Baumwollkleid einen handgearbeiteten Gürtel und Ohrringe mit Vogelfedern trägt.
Bald wird ihre Fotoserie „Caras Amazónicas“ online zu sehen sein und vielleicht nicht nur dort. Yánua plant mit den Bildern eine Ausstellung, am liebsten in Quito, wo sie studiert. Auch hier läuft eigentlich alles nach Plan. Yánua hat ein Teil-Stipendium. Nebenbei jobbt sie als Fotografin und übersetzt manchmal auch Texte aus ihrer Heimatsprache Shuar ins Spanische und umgekehrt. Doch manchmal fühlt sie sich an ihrer Uni auch ganz schön einsam. „Ich bin bei uns die einzige Shuar-Indígena. Zwar unterstützen mich die Professoren bei all meinen Vorhaben, aber mit den Mitstudenten ist das oft nicht so einfach. Es ist sehr schwer, in geschlossene Gruppen reinzukommen.“
Und wie fasst Yánua dann wieder Mut – allein in Quito, ohne Fußstapfen, in die sie treten kann? Ist doch ihr Lebensentwurf so ganz anders als der ihrer Eltern und Geschwister in der Comunidad. Vor allem über ihre Freund*innen in der Hauptstadt, Shuar-Indígenas, die an anderen Unis in Quito studieren. Ihnen geht es ähnlich wie ihr: „Wir treffen uns und tauschen uns über unser Studium und Jobmöglichkeiten aus. Dabei verneinen wir nie unsere Wurzeln, die Dörfer aus denen wir kommen. Es ist wichtig, von Zeit zu Zeit dorthin zurückzugehen – selbst wenn du in der Hauptstadt lebst, ohne deine Familie und in einer anderen Kultur.“
Den Audiobeitrag zur Reportage findet ihr hier.
Medienmacherinnen aus dem Amazonas-Gebiet von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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