(Tegucigalpa, 08. April 2021, Radio Progreso).- Die Direktorin für Nord- und Südamerika von Amnesty International, Erika Guevara Rosas, beklagt in einem Radiointerview für den honduranischen Sender Radio Progreso die katastrophale Menschenrechtssituation. Nach einem Jahr Pandemie habe sich die Situation der Menschen verschlechtert, insbesondere in den ärmsten Ländern wie Mexiko und den zentralamerikanischen Staaten: „Die Pandemie hat die tiefgreifenden sozialen Ungleichheiten und die besonderen Umstände, unter denen seit jeher marginalisierte und übergangene Bevölkerungsgruppen bis heute leiden, nicht nur deutlich gemacht, sondern sogar noch verschärft. Das zeigt sich vor allem in Zentralamerika, in Ländern, die nicht die Kapazität haben, effektiv auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zu reagieren“, berichtete Rosas. Anlässlich der Veröffentlichung des Jahresberichts der Menschenrechtsorganisation Anfang April sprach Radio Progreso mit Amerika-Direktorin Erika Guevara Rosas.
Wie haben Sie Zentralamerika während der Pandemie wahrgenommen?
Unter dem Vorwand der Pandemie wurden vielerorts restriktive Maßnahmen verhängt. Diese haben jedoch in Ländern wie El Salvador und Honduras nur dazu beigetragen, eine zusätzliche Krise im Bereich der Menschenrechte hervorzurufen, da beispielsweise exzessive Gewalt angewendet wurde, um bestimmte Maßnahmen durchzusetzen. In El Salvador sind die Menschen durch die strikten Ausgangssperren dazu gezwungen worden, in ihren Häusern zu bleiben. Dort leben viele Familien in höchst prekären Verhältnissen, denn Zentralamerika ist das Gegenteil von Ländern wie der Schweiz, wo die Menschen die Möglichkeit haben, von zuhause zu arbeiten.
Und Honduras, wie haben Sie die Situation dort erlebt?
Der honduranische Staat setzt die Verfolgung von Personen auch während der Pandemie fort. Zusätzlich wurde Honduras Ende letzten Jahres von den Hurrikanen Eta und Iota schwer getroffen. So sind die Menschen gefangen in einer tragischen Realität zwischen allgegenwärtiger Gewalt und fehlendem staatlichen Schutz. Sie befinden sich einer extrem prekären Situation und in einer finanziellen Krise.
Ist die Pandemie ein Vorwand, um Menschenrechte zu verletzen?
Bedauerlicherweise trifft die Pandemie mit Zentralamerika auf eine Region, die bereits zahlreiche Menschenrechtskrisen erlebt hat. Die Fähigkeit der Staaten, mit ihren Bürgern in Dialog zu treten, war eindeutig gleich null. Den Menschen, die auf die Straße gingen, um zu demonstrieren und den Schutz der Menschenrechte einzufordern, wurde mit gewaltsamen Repressionen begegnet. Exzessive Gewaltanwendung ist zur Normalität geworden. Die Pandemie dient als Ausrede dafür, Probleme wie Korruption und Straflosigkeit nicht anzugehen. Das beobachten wir in Ländern wie Honduras, El Salvador und Guatemala, wo die Regierungen einen Vorwand haben, durch Notstandsdekrete und Gesetze, die angeblich zur Pandemiebekämpfung dienen, mehr Macht zu erlangen.
Welche Rechte werden am meisten eingeschränkt?
Es läuft immer darauf hinaus, dass die Meinungsfreiheit und die Möglichkeiten der Bürger*innen, sich zu beteiligen und ihre Regierung zur Verantwortung zu ziehen, eingeschränkt werden. Leider liefert die Pandemie diesen repressiven Regierungen den perfekten Grund, die Menschrechte zu verletzen.
Und wie ist die Situation der Umweltschützer*innen?
Honduras ist eins der gefährlichsten Länder für Menschenrechtsverteidiger*innen, insbesondere wenn es um territoriale Konflikte und die Verteidigung der Gemeingüter geht. Menschenrechtsverteidiger*innen werden nicht nur umgebracht. Sie werden auch stigmatisiert und kriminalisiert und verschwinden unter gewaltsamen Umständen. Seit letztem Jahr haben wir das gewaltsame Verschwindenlassen von fünf Aktivist*innen registriert und angezeigt. Vier von ihnen gehören der indigenen Garífuna-Bevölkerung an und sind Vertreter*innen und Mitglieder der Organisation OFRANEH, die sich dem Schutz der Garífuna-Gemeinden widmet.
Wie wirken sich diese Rechtsverletzungen auf die Massenmigration aus?
Auf dem amerikanischen Kontinent gibt es aktuell mehrere Migrationsströme, sei es als Folge der Menschenrechtskrise oder der Krise im Allgemeinen oder von Naturkatastrophen im Zusammenhang mit dem Klimawandel. All diese Gründe fördern die erzwungene Migration, vornehmlich in zentralamerikanischen Ländern wie Honduras, El Salvador und Guatemala. Die Menschen sehen sich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, weil die Menschenrechte, der Frieden und die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte massiv verletzt werden.
Wie bewerten Sie das Vorgehen der Regierungen von Guatemala, El Salvador und Honduras angesichts der Migrationskarawanen?
Obwohl sich die zentralamerikanischen Regierungen mit den Karawanen befassen, sind die Regierungen Mexikos und der USA sehr erfolgreich in der Koordination der Maßnahmen, die Menschenrechtsverletzungen zur Folge haben. Diese geschehen beispielsweise durch Einschränkungen bei Grenzöffnungen, wobei durch Einsatz des Militärs und durch exzessive Gewaltausübung versucht wird, Menschen am Grenzübertritt zu hindern.
Was halten Sie von Joe Bidens Versprechen, eine Antwort auf die steigende Migration zu finden?
Es geht mir hier nicht darum, eine einzelne Person bewerten, sondern eine Regierung und die Maßnahmen, die Präsident Biden ergreift. In seiner Kampagne hat er versprochen, alles zu tun, um den Aufenthaltsstatus von bis zu elf Millionen Personen ohne Papiere zu legalisieren. Er kündigte an, die Familientrennung und die Inhaftierung von unbegleiteten Kindern zu beenden. Bis jetzt ist es jedoch bei Versprechungen geblieben, denn es gab bislang keine signifikante Veränderung der Situation, und die Menschen werden weiterhin nach Mexiko abgeschoben.
Übersetzung: Hannah Hefter
Pandemie zeigt Ungleichheiten auf dem amerikanischen Kontinent auf von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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