„Rap ist Revolution“

(Santiago de Compostela, 18. Mai 2022, El Salto). Ihre Songs handeln von Gewalt, von Unterdrückung und Schmerz, aber auch von feministischer Solidarität und ungebrochener Kraft: Das Musikerinnen-Kollektiv Hip Hop Femenino El Salvador, 2015 entstanden  aus einem gemeinsamen Songprojekt, verarbeitet in seinen Texten den Aufschrei einer ganzen Generation, die es satt hat, Morde und Vergewaltigungen zu erleben, deren Opfer sie selbst hätten sein können. Es sind Frauen, die sich weigern zu akzeptieren, dass die Gesellschaft den Betroffenen die Schuld gibt und sie ihrer Rechte beraubt, während die Täter straffrei bleiben. El Salvador gilt als eins der gefährlichsten Länder der Welt für Frauen. Mit 2,1 Feminiziden pro 100.000 Frauen findet sich hier die dritthöchste Feminizid-Rate in der Region Lateinamerika.

Wir sprachen mit Queen Mc und Yezli Mic, zwei Mitgliedern des Kollektivs, im historischen Viertel von Santiago de Compostela in Spanien. Zwei junge Frauen, die gern und viel lachen, doch wovon sie berichten, ist weder neu noch lustig: Religion und Moral bedeuten der Regierung mehr als die Gesundheit von Frauen. Die Gewalt, die ihnen angetan wird, hat in der öffentichen Debatte keinen besonderen Stellenwert. Seit Präsident Nayib Bukele im vergangenen März den Ausnahmezustand verhängt hat, können Menschen ohne Gerichtsverfahren inhaftiert und für lange Zeit festgehalten werden. „In einem der Randbezirke geboren zu werden, ist der größte Fehler, den du machen kannst“, erzählen Queen und Yezli. „Noch dazu als Frau. Und wenn du dann noch arm bist und auch noch Kunst machen willst ‑ noch schlimmer.“ Und noch gefährlicher.

Wann wurde Hip Hop Femenino El Salvador gegründet, und wie kam es, dass sich das Kollektiv zusammengefunden hat?

Yezli Mic: Das war 2015. Da gab es die Initiative, mehrere Rapperinnen zusammenzubringen, um gemeinsam einen Song zu machen. Wir fingen an, miteinander zu reden, und dabei wurde uns ziemlich schnell klar, dass wir uns alle mit den gleichen Hürden konfrontiert sahen, als wir anfingen, Musik zu machen und uns in der Kulturszene behaupten wollten. Die Hip-Hop-Kultur in El Salvador ist sehr männerdominiert, und immer wenn wir einen Platz eingefordert haben, wurde eine Gegenleistung verlangt: „Ok, ich gebe dir ein Stück vom Kuchen, aber gehst du dann mit mir aus?“ Oder sie haben von vornherein ignoriert, weshalb wir überhaupt auf sie zugegangen sind, und sich direkt darauf konzentriert, uns rumzukriegen. So entstand die Initiative zur Schaffung von Auftrittsmöglichkeiten und Festivals für Frauen. Wir sind dabei auf feministische Kollektive gestoßen, haben begonnen, mit ihnen zusammenzuarbeiten, und viele Anregungen und Unterstützung für unser Empowerment erhalten. So fingen wir an, politische Themen zu verarbeiten, Abtreibung, Militarisierung, das Recht auf Wasser … und daraus entstand Hip Hop Femenino.

Queen Mc: Genau. Es war Yezlis Idee, mit allen zusammen ein Lied zu schreiben. Und als wir sahen, dass wir so viele waren, dachten wir uns: Warum machen wir da nicht gleich was Größeres draus? Wir waren so lange unsichtbar und hatten keinen Zugang zu diesen Bereichen, die einfach lange Zeit von Männern beherrscht wurden. Also war es jetzt höchste Zeit für eine Veränderung. Von da an begannen wir, mehr eigene Musik zu machen, T-Shirts und Aufkleber zu entwerfen… bis daraus schließlich das erste Hip-Hop-Festival für Frauen entstand. Da wurde uns klar, was für eine großartige Idee das gewesen war, ein Frauen-Musikfestival zu  organisieren. Für die Jungs war es auch eine ziemliche Überraschung, zu sehen, was wir alles auf die Beine gestellt hatten: ein richtig großes Festival, mit unserem Geld und einigen Zuschüssen, aber von Frauen organisiert. Ich glaube, das hätten sie niemals für möglich gehalten.

Wie hat die Gesellschaft auf eure Auftritte reagiert?

Y: Am Anfang war es ziemlich schwer. Es ist schon kompliziert, dich als Rapperin durchzusetzen. Als feministische Rapperin ist es noch schwieriger. Sie haben uns als Feminazis bezeichnet, uns auf Facebook beschimpft … und dafür gesorgt, dass uns viele Türen verschlossen blieben. Denn unsere Message war einfach nicht das, was sie hören wollten. Das war schon alles sehr heftig. Aber wir sind uns treugeblieben, und mit der Zeit haben sie sich damit abgefunden, was wir machen. Und manche Leute sind sich durch unsere Texte bestimmter Sachen bewusst geworden und haben angefangen, was zu verändern. Das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, also werden wir auch weitermachen.

Ihr habt vorhin gesagt, dass ihr Beziehungen zu anderen feministischen Kollektiven in El Salvador habt. Wie sehen diese Beziehungen aus?

Q: Wir unterstützen sie mit unseren Konzerten, Events, Workshops und bei den Demos, die sie organisieren. Wir sind sozusagen für den Spaßfaktor der Rebellion zuständig. Sie haben uns dafür mit Infos versorgt, uns Zusammenhänge erklärt, damit wir die feministischen Positionen in unsere Kunst einbringen und nicht völlig sinnentleert irgendwelches Zeug wiederkäuen. Besonders intensiv ist unsere Zusammenarbeit mit Colectiva Feminista und  den Amorales.

Würdet ihr sagen, dass Hip Hop der bessere Weg ist, um die jüngere Generation zu erreichen?

Y:Auf jeden Fall. In unseren Workshops erleben wir das immer wieder. Die jungen Leute fühlen sich von unseren Liedern und Videos angesprochen, fangen an, sich zu interessieren und fragen sogar von sich aus nach. Rap ist eben Revolution, und deshalb ist er für uns das geeignetste Medium, um unsere Message zu vermitteln.

F: Musik erreicht alle Menschen. Wir hören Musik, wenn wir traurig, wütend oder glücklich sind… Deshalb dachten wir, dass wir die Musik nutzen können, um unsere Themen anzusprechen. Auch durch Hip-Hop. Die Leute vergessen immer wieder, dass Hip-Hop aus der Protestkultur entstanden ist – schwarze Menschen in den USA brachten damit die Ungerechtigkeiten zur Sprache, unter denen sie zu leiden hatten. Als Mittel, um mit der Jugend und der Bevölkerung im Allgemeinen in Kontakt zu treten, hat der Hip-Hop sich also schon bewährt.

Ihr habt vorhin gesagt, dass Hip Hop immer noch als Männerdomäne betrachtet wird, und das so ziemlich überall. Was denkt ihr, warum ist das so?

Y: In El Salvador werden urbane Kunst und Hip-Hop meist mit Gangs und Banden in Verbindung gebracht. Diese Verknüpfung aufzubrechen ist sehr schwer, und deshalb ist es auch so schwierig, diesen Bereich für Frauen zu öffnen. Wir haben zum Beispiel anhand von Publikumsreaktionen mitgekriegt, dass die Leute uns für die Frauen von Bandenmitgliedern halten. Es gab sogar Kommentare wie: „Die sollte man alle umbringen oder ins Gefängnis stecken“. Auch das ist Sexismus, dass sie uns gleich als Anhängsel krimineller Gruppen sehen. Aber das hat bestimmt auch viel mit Unwissenheit zu tun.

Q: Ich denke, mit etwas Feministischem nach außen zu gehen in dieser von Männern dominierten Szene, in der wir so über die Maßen sexualisiert werden, ist an sich schon revolutionär. Und dass wir mit unserem eigenen weiblichen Stil auftraten, hat sie noch zusätzlich gegen uns aufgebracht. Wir kriegten dann immer zu hören: „Du musst wie ein Mann sein, du musst wie ein Mann rappen“. Und das stimmt natürlich nicht. Alle haben ihren eigenen Stil, daher hat es meiner Meinung nach auch umwälzendes Potential, geschminkt und im Kleid zu den Battles zu gehen, so, wie wir selber wollen, und nicht so, wie sie es vorgeben. Es geht darum, uns bewusst nicht so zu präsentieren, wie sie uns sehen wollen.

Y: Ja genau, und wie immer wir uns stylen, es ist nicht für sie, sondern für uns. Dich als Rapperin zu behaupten, ist schon schwer, als feministische Rapper ist es noch schwieriger.

Denkt ihr, dass euer Frauen-Hip-Hop-Festival andere Frauen ermutigt hat, sich der Hip-Hop-Kultur anzuschließen? Werdet ihr mehr?

Y: Oh ja, wir haben damals sehr vielen Frauen Mut gemacht hat. Das Blöde ist, dass sich mit der Pandemie so vieles wieder verflüchtigt hat. Es ist schwer, bei anderen Menschen die Motivation lebendig zu halten, wenn man selber genug eigene Probleme hat, nicht wahr? Aber das ist eins unserer Ziele: diese Frauen zurückzugewinnen und noch mehr Frauen zu stärken und zum Mitmachen zu ermutigen.

Q: Auch wenn „die“ Hip-Hop-Szene uns nicht anerkennt und alles daran setzt, uns unsichtbar zu machen – ich denke, wir haben in dieser Szene ganz wesentliche Pionierarbeit geleistet. Wir waren die erste Gruppe von Frauen, die Rap gemacht haben, als es von uns noch nicht viele gab. Selbst im Publikum gab es kaum Frauen, und das aus dem gleichen Grund: Übergriffe, Sexismus, Stereotypen… Sie haben gründlich dafür gesorgt, dass auf der Bühne nie eine Frau zu sehen war, aber wir haben es geschafft, dass sich der Frauenanteil erhöht, Stück für Stück, vor und auf der Bühne. Für uns ist es ein schönes Gefühl zu sehen, dass es nun etwas etwas sicherer und einfacher für Frauen ist, sich hier ihren Raum zu nehmen, und dass es nun viel mehr Frauen in dieser Szene gibt. Immer mehr Frauen, die von sich aus die Initiative ergreifen und lernen wollen, wie man rappt. Und wir denken, dass wir unseren Teil dazu beigetragen und diesen Weg geebnet haben.

Nochmal zurück zum Feminismus: Was bedeutet es, als Frau in El Salvador aufzuwachsen? Wie war das für euch?

Y: In El Salvador wird von dir erwartet, dass du den Haushalt schmeißt, Kinder aufziehst, zu Hause bleibst und dich um alles kümmerst…. Dieses Stereotyp zu durchbrechen ist für eine junge Frau sehr schwierig. In dieser Gesellschaft zu bestehen und zu sagen: „Nein, ich will Künstlerin sein, und ich will davon leben können. Und ich will keine Kinder“, das wird schwierig. Denn auch in der Familien hört man immer nur: „Je früher die Kinder kommen, desto besser“. Aber wozu Kinder bekommen, wenn ich keine will? Wenn mich das nicht glücklich macht?

Q: Das ist ein ständiger Kampf, und da sehen wir uns den feministischen Kollektiven sehr verbunden. In El Salvador ist es schon ein Kampf, überhaupt eine Frau zu sein. Sexismus, Vergewaltigung, Übergriffe auf der Straße, durch den Lehrer, den Pfarrer – das alles begegnet dir täglich und überall. Aber wenn du dazu noch jung, Künstlerin und arm bist, ist es noch schlimmer, und ganz schlimm ist es in den prekären Vierteln, wo es mit dem Zugang zu Informationen und Bildung noch schlechter aussieht. Deshalb sind die Kämpfe der feministischen Kollektive so wichtig. Alle Rechte, die uns im Laufe der Jahre zuteil geworden sind, verdanken wir ihnen, und das sollten wir würdigen, auch die Projekte, die nicht durchgekommen sind. Im Jahr 2016 gab es zum Beispiel eine Initiative zur Legalisierung der Abtreibung bei Vergewaltigung oder Missbildungen des Fötus, die auf Eis gelegt wurde. Das Schlimmste ist, dass unsere Regierung keinen Hoffnungsschimmer zulässt. Sie war schon immer sehr religiös und konservativ. Egal, worum es ging, die Regierung hat sich immer hinter ihrem Gott verschanzt. Wir halten es nicht prinzipiell für verkehrt, an etwas zu glauben. Religion und Moral mit Fragen der Gesundheit zu vermischen, das ist falsch.

Würdet ihr sagen, dass es hinsichtlich der sexuellen und reproduktiven Rechte der Frauen einen Backlash gegeben hat?

Q: Definitiv. Sexuelle und reproduktive Rechte – das bedeutet viel mehr als nur das Recht auf Abtreibung, obwohl das schon viel ist, immerhin würde es die Gesundheit und das Leben von Frauen und Mädchen in El Salvador schützen. Aber bei uns erzählt niemand  den Jugendlichen, welche Verhütungsmethoden es gibt, niemand bringt ihnen bei, dass Verhütung in der Verantwortung von beiden liegt. Niemand erklärt ihnen, welche Krankheiten sexuell übertragen werden und wie wir auf uns vor ihnen schützen, und wie wir Sexualität verantwortungsvoll leben können, denn sowas wie Sexualerziehung in den Schulen gibt es in unserem Land nicht. Bei uns wird über diese Dinge in den Schulen nicht gesprochen, obwohl wir denken, die Schule wäre der geeignete Ort dafür, schließlich geht man doch dorthin, um was zu lernen. Ich glaube, deshalb werden so viele Mädchen und junge Mädchen schwanger, und dass die Vergewaltigungsrate in unserem Land so hoch ist, hat sicher auch damit zu tun.

Y: Ja. Es ist echt traurig, dass Mädchen keine andere Wahl bleibt, als Mutter zu werden, weil sie nicht abtreiben dürfen. Immer wieder hört man Leute sagen: „Warum hat sie denn nicht aufgepasst?“ Wie willst du denn bitte schön aufpassen, wenn du vergewaltigt wirst? Wie soll man einem Mädchen sagen, sie soll die „Pille danach“ nehmen, wenn das Medikament erstens teuer ist, zweitens nicht frei zugänglich, und das Mädchen sich außerdem gar nicht im Klaren darüber ist, was überhaupt mit ihr passiert? In unserem Land kommt sowas immer wieder vor, ohne dass die Regierung sich irgendwie darum kümmert, und das ist echt traurig. Aber wir glauben, dass die Leute irgendwann mal aufwachen werden. Oft denkt man ja nicht weiter über etwas nach, weil es einem selbst nicht passiert ist, aber es könnte jederzeit passieren, dir oder jemandem in deinem Umfeld. Deshalb hoffen wir, dass das die salvadorianische Gesellschaft das irgendwann begreift und sich diesem Kampf anschließt.

In El Salvador werden nicht nur etliche Frauen vergewaltigt. Das Land hat auch eine der höchsten Feminizidraten der Welt…

Y: Ja, Mord an Frauen ist zu etwas ziemlich Alltäglichem geworden. Und in den Augen der Gesellschaft ist die Frau immer selbst schuld. Aber wer heiratet denn schon, um anschließend getötet zu werden? Selbst wenn zehn Frauen auf einmal ermordet werden: Die Leute tun nichts, sie reagieren einfach nicht.

Q: Dass Frauen ermordet werden, ist in unserer Gesellschaft zu etwas Normalem geworden. Warum wird eine Frau umgebracht? Weil sie einen bestimmten Mann geheiratet hat, weil sie allein in eine Diskothek gegangen ist, weil sie allein spazieren war und nicht genug achtgegeben hat, weil sie sich schickgemacht hat…. Immer sind die Frauen schuld, und es wird nichts unternommen, um auf das Verhalten von Männern einzuwirken, ob zu Hause, auf der Straße oder in der Regierung. Viel Arbeit, dieses Thema auf den Tisch zu bringen, aber wir fangen an, darüber zu sprechen.

Was passiert gerade politisch in El Salvador? Warum der Ausnahmezustand? Würdet ihr auch sagen, dass die Bandengewalt zunimmt?

Q: Banden hat es immer gegeben. Dieses Problem besteht schon lange, und sie haben es einfach nie in den Griff gekriegt. Am 27. März gab es 71 Tote. Darauf hat Präsident Nayib Bukele den Ausnahmezustand verhängt. Was er für Absprachen mit den Banden getroffen hat – keine Ahnung. Ausnahmezustand bedeutet jedenfalls, dass bestimmte Rechte ausgesetzt werden, zum Beispiel das Versammlungsrecht oder das Recht auf juristischen Beistand. Cyberüberwachung ist hingegen erlaubt. Im Moment muss man sehr vorsichtig sein, wenn man über die Regierung spricht. Anschließend hat er damit begonnen, die ärmsten Gebiete des Landes, wo wirklich großes Elend herrscht, mit Militär und Polizei zu überziehen, er hat sogar Panzer losgeschickt, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Stellt euch mal vor, wie das für die Kinder ist, wenn in ihrer Straße Panzer stehen, wenn ihre Rucksäcke auf dem Weg in den Kindergarten vom Militär beschlagnahmt werden. Wie sollen aus diesen Kindern Menschen werden, die gegen die Verhältnisse protestieren, wenn sie von klein auf an Repression gewöhnt sind? Sie werden immer Angst haben zu rebellieren oder auch nur ihre Meinung zu sagen. Ältere Menschen werden auch durchsucht, aber vor allem die Jungen, die man nach ihrem Aussehen kategorisiert – indigen, mesoamerikanisch, mestizisch ….  In einem Randbezirk geboren worden zu sein ist in El Salvador praktisch schon ein Verbrechen an sich. Menschen werden willkürlich festgenommen, auf dem Heimweg von der Schule, der Arbeit oder vom Einkaufen. Von den 6.000 Menschen, die in letzter Zeit festgenommen wurden, waren doch nicht alle Bandenmitglieder. Die meisten waren hart arbeitende Menschen, deren einziges Verbrechen darin bestand, aus einem Randbezirk zu kommen. Für die Regierung ist das die Gelegenheit, um regierungskritische Menschen zu fangen, Aktivist*innen, Künstler*innen, Journalist*innen. So ernst die Lage auch ist: Zu viele Menschen schauen weg, anscheinend finden sie das normal, dabei ist der derzeit herrschende Machtmissbrauch unbedingt ernst zu nehmen. Die Regierung hat sogar ein Gesetz erlassen, nach dem zehn- oder zwölfjährige Kinder zu zehn Jahren und 16-Jährige zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt werden können, 18-Jährige zu zwanzig, dreißig, vierzig Jahren und mehr. Die Regierung beschuldigt willkürlich Menschen, Bandenmitglieder zu sein. Sie gehen sogar so weit, jungen Menschen Verbindungen zu Banden vorzuwerfen, weil sie sich für die Menschenrechte engagieren. Sie tun, was sie können, um Leute mundtot zu machen und sie daran zu hindern, sich zu wehren. Mütter suchen nach ihren Kindern. In den sozialen Netzwerken sieht man Polizisten, die auf Kinder einschlagen – und sicher passieren noch viel schlimmere Sachen, bloß dass die niemand filmt.

Y: Sie erklären die Gewalt zur Normalität. Wenn Leute sterben, sagt die Polizei, das passiert eben, wenn man Widerstand leistet. Wenn du eine Tätowierung oder ein Piercing hast, bringen sie dich mit kriminellen Banden in Verbindung. Und wenn die Mütter beim Gefängnis nach ihren Kindern fragen, sagt man ihnen, sie sollen abhauen, sonst würden sie auch eingebuchtet. Wenn man den Leuten im Gefängnis Wasser oder Essen mitbringt, wird es nicht weitergeleitet, die Häftlinge kriegen nichts, um ihre Zellen sauberzumachen. Und diese massive Rechtsverletzung ist in unserem Land normal, weil die Regierung das für in Ordnung hält, und dagegen zu widersprechen ist sehr schwierig.

Und würdet ihr sagen, dass die Regierung das Bandenproblem und die damit verbundene Angst in der Bevölkerung für sich nutzt, um ihre Macht zu stärken?

Q: Bestimmt. Leute aus den Randgebieten werden sich garantiert nicht dagegen auflehnen. Wegen Mitgliedschaft in einer Bande kann man locker mal 15 Jahre im Gefängnis verschwinden, auch wenn man unschuldig ist. Und wenn man danach versucht, in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen, findet man garantiert keinen Job. Davor haben die Menschen natürlich Angst.

Ihr arbeitet zurzeit in Galizien: Wie läuft es in den Schulen? Wie reagieren die jungen Leute, wenn ihr von euren Erfahrungen berichtet?

Y: Insgesamt sehr interessiert, und das ist natürlich schön. Wir lassen die Kids an unserer Realität teilhaben und sagen ihnen, dass ihnen das auch passieren kann, wenn sie nicht aufpassen, und dass es wichtig ist, nicht allzu sorglos durchs Leben zu laufen, sondern Fragen zu stellen und immer auf der Suche nach Lösungen zu bleiben. Ihre Aufmerksamkeit gewinnen wir durch die Musik. In El Salvador ist es immer mit Risiken verbunden, über diese Themen zu sprechen, umso wichtiger ist es für uns, dass wir es hier machen können. Auch wenn das alles unbedeutend erscheinen mag: Für uns ist es wie eine Saat, die später mal Früchte tragen wird.

Q: Die Arbeit mit den Mädchen und Jungen hier war sehr bereichernd. Wir haben ihnen eine Realität eröffnet, die ihnen fremd war, und ihnen klargemacht, was wir im Moment durchmachen. Ihnen erklärt, dass man am besten immer kritisch bleibt und bereit zu kämpfen, denn es gibt nie eine Garantie dafür, dass morgen noch alles so bleibt, wie es heute ist. Unsere Rechte können sie uns wegnehmen, so schnell kannst du gar nicht gucken. Und wir haben ihnen auch ihre Privilegien vor Augen geführt. Es war alles in allem sehr schön, sehr produktiv. Wir haben auch einen Song und ein Video aufgenommen. Wenn wir zurück sind in El Salvador, werden wir beides veröffentlichen.

Was war denn euer Eindruck: Wussten die Jugendlichen schon, bevor sie euch trafen, was gerade in El Salvador passiert?

Y: Im Rahmen des Programms O Mundo que Queremos hatten sie schon einiges erfahren. Das hat natürlich geholfen.

Q: Aber es hatten auch nicht alle dieses Vorwissen. Einige hatten erst überhaupt kein Interesse, andere Realitäten kennenzulernen, dabei ist es unheimlich wichtig zu wissen, was an anderen Orten passiert, damit wir uns dagegen wappnen können, denn wir sind alle verletzlich. Aber wenn wir anfangen, genauer zu erzählen, sind sie meist schnell interessiert ‑ und erstaunt: Zuerst können sie es kaum glauben, dass einem einfach so irgendwelche Rechte genommen werden können. Die Musik macht das, was wir ihnen erzählen, noch interessanter und berührender.

Möchtet ihr von eurer Seite noch was ergänzen?

Y: Ich möchte mich bei den Kollektiven und der Friedensinitiative Asemblea de Cooperación pola Paz (ACPP) und den anderen Organisationen für die Zusammenarbeit bedanken. Ohne euch wären wir nicht hier, könnten nicht über unsere Realität berichten und nicht über diese Themen sprechen, die unseren Alltag ausmachen. Und euch alle bitten, Hip Hop Femenino auf Instagram und Facebook als zu folgen. Da laden wir unsere Musik hoch, und ihr helft uns schon, indem ihr uns folgt, unsere Musik teilt und anhört.

Jetzt noch eine allerletzte Frage: Woran arbeitet ihr gerade? Was sind eure nächsten Projekte?

Y: Wie schon gesagt, wir haben hier einen Song und ein Video aufgenommen, und wenn wir zurück in El Salvador sind, wollen wir beides veröffentlichen. Wir haben die Aufnahmen im Centro Xove in Compostela gemacht. Es war eine sehr schöne Erfahrung, so einen Raum nutzen zu können, denn in unserem Land gibt es sowas nicht. Das ist dann sozusagen das musikalische Resultat unserer Reise.

Q: Wir haben auch zwei neue Songs zum Thema Militarismus. Sie handeln von den Ereignissen im November, aber wegen der aktuellen Situation konnten wir sie noch nicht veröffentlichen. Dennoch hoffen wir, dass es bald klappt, denn auch sie zeigen einen Teil unserer Realität und unserer Kämpfe in El Salvador.

Übersetzung: Lui Lüdicke

 

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