von Patricia Briseño
(Mexiko-Stadt, 12. Mai 2011, cimac).- Es ist nach zehn Uhr morgens in einer Gemeinde der Region der Mixe im Bundesstaat Oaxaca. Leonor Fernández Allende begleitet eine Gruppe Frauen, die Kaffeebohnen waschen. Sie putzen die Bohnen, um sie von der Schale und vom Dreck zu befreien. Dies gehört zu ihren alltäglichen Aufgaben in einem Kaffeeanbaugebiet rund 190 Kilometer entfernt von der Stadt Oaxaca. Die Gemeinde San Bosco ist umgeben von Gebirgsmassiven und zerlöcherten Wegen. Bereits jetzt spürt man die heraufziehende feuchte Hitze.
Leonor Fernández wurde vor rund 50 Jahren in San José Tenango geboren, einer Gemeinde der Mazatecas. Vor einigen Jahren verließ ihr Mann Mexiko und ging in die USA. Leonor wurde so zum Familienoberhaupt. Sie übernahm die Aufgabe des Kaffeeanbaus und der Kaffeeernte und zog nebenher ihre kleinen Kinder groß. Leonor Fernández ist zudem Präsidentin der Landwirtschaftlichen Vertriebsgemeinschaft des Staates Oaxaca, einer Zweigstelle der Staatlichen Koordinationsstelle der Kaffeeproduzenten von Oaxaca CEPCO (Coordinadora Estatal de Productores de Café de Oaxaca).
Wie auch andere Kaffeebäuerinnen erlebt sie täglich die Geschäftspraktiken multinationaler Lebensmittelkonzerne wie die des schweizerischen Unternehmens Nestlé. Sie stehen mit diesen Konzernen in einem ungleichen Wettbewerb. Die Firmen versuchen, Kaffee der Sorte Robusta anzubauen. Die Kaffeebohnen werden als minderwertig eingeschätzt. Die Firmen kaufen die Bohnen zu Niedrigstpreisen ein, um sie dann später in kleinen Mengen deutlich teurer zu verkaufen.
Im Ort Chuxnaban, der zur Gemeinde San Miguel Quetzaltepec gehört, leben beispielsweise sechzig Prozent der Familien von ihren Einnahmen aus dem Kaffeeanbau. Die Kaffeepreispolitik der Konzerne bestimmt damit weitaus mehr das Leben und das Wohlergehen der Bevölkerung. „Die Bauern, die Kaffee anbauen, stehen in einem unfairen Wettbewerb zu diesen Firmen“, beklagt Leonor Fernández. Die Frauen und Männer der Gemeinde fordern daher mehr staatliche Unterstützung, um die Kaffeekleinbauern an Stelle der multinationalen Unternehmen zu stärken.
Ausgrenzung
Wie hunderte andere Ortschaften, in denen Kaffee angebaut wird, ist auch Chuxnaban von vielen staatlichen Leistungen ausgeschlossen. Die Familien haben keinen Zugang zu grundlegenden sozialen Dienstleistungen, das Schulbildungsniveau ist niedrig. Viele Frauen schließen nicht einmal die Sekundarstufe ab, da sie von ihrer Jugend an Hausarbeiten übernehmen müssen.
Die Kaffeeproduktion liegt in der Hand von rund 100 der ca. 1.000 Familien, die in der gesamten Region leben. Sie pachten kleine Grundstücke für den Kaffeeanbau, oft nur von zwei Hektar Größe. Die Krise der Kaffeepreise zwischen 1989 und 1994 brachte viele Kaffeebauern dazu, sich auf den Anbau von ökologischem Kaffee mit hoher Qualität auszurichten. Dieser Kaffee zerstört nicht die Umwelt und kann im Schatten angebaut werden.
Seit 1989 kämpft Leonor Fernández mit Hilfe der Landwirtschaftlichen Vertriebsgemeinschaft des Staates Oaxaca dafür, diesen ökologischen Kaffee von Kleinbauern gezielt zu vermarkten. Ihre Hartnäckigkeit hat sich bezahlt gemacht: Heute wird dieser Kaffee in die USA und die Europäische Union exportiert. Leider sind diese Erfolge noch nicht ausreichend.
Die Koyoten
In einem Interview gegenüber dem Nachrichtendienst CIMAC beklagt Leonor Fernández: “Das Leben als Frau eines Migranten ist nicht einfach, man fühlt sich einsam, muss mit allem allein zurechtkommen, es gibt kein Geld und wir machen die Arbeit der Männer.“
Zudem beunruhigen sie die Strategien der multinationalen Konzerne. Seit drei Jahren adressieren diese gezielt die Gemeinden, um einen noch größeren Anteil am Kaffeemarkt zu gewinnen. „Sie erkaufen sich das Vertrauen der Leute, indem sie am Anfang gut bezahlen. Doch dann sind sie es, die die Preise bestimmen“, wirft ihnen Leonor Fernández vor. Nach ihren Angaben wird die Region der Mixe schon jetzt durch die Firma Vereinte Agrarindustrien Mexikos AMSA (Agroindustrias Unidas de México) dominiert, die als Zwischenhändlerin für die großen multinationalen Unternehmen dient.
Leonor Fernández beklagt zudem, dass sowohl die nationale als auch die bundesstaatliche Regierung mehr Unterstützung für große Firmen wie Nestlé böten, als für die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern der Region. Doch die Kaffeebäuerinnen der Region, so hebt Leonor Fernández hervor, begännen nun, sich zu organisieren. Gemeinsam wollen sie gegen die als Kojoten bezeichneten Zwischenhändler vorgehen. Denn die Zwischenhändler brächten sie in eine ausweglose Lage in dem Wissen, dass die Frauen es sind, die den Kaffee anbauen und ernten.
Weibliche Führungsrollen
So kommt auch die Forscherin Leticia Martínez Legaria, die auf dem Gebiet Ländlicher Entwicklung tätig ist, zu dem Schluss, dass die Frauen in der Kaffeeproduktion des Landes immer sichtbarer würden und die traditionellen Rollen der Männer übernähmen. Dies geschieht, obwohl sie in der Regel nicht die Besitzerinnen des Landes seien, auf dem sie Kaffee anbauen, und auch keine Funktionen in ihren Gemeinden besetzten. Die Frauen untermauerten damit die Anerkennung der weiblichen Gemeindemitglieder. Sie erklärt dieses Phänomen damit, dass es den Frauen gelänge durch Organisation, Reflektion und praktischen Maßnahmen zu einem gesellschaftlichen Subjekt zu werden. Dieses könne Strategien entwickeln, um mit unsicheren Situationen wie der doppelten Herausforderung, Kaffeeproduzentin und Ehefrau eines Migranten zu sein, umzugehen.
Martínez unterstreicht dabei, dass es die Frauen seien, die den Anbau ökologischen Kaffees weiterhin aufrecht erhielten. Sie wüssten, dass dieses Produkt wichtig bleiben wird für die Landwirtschaft. Auch Josefina Aranda Bezaury, Wissenschaftlerin an der Universität Benito Juárez von Oaxaca, die in den ärmsten Regionen des Bundesstaates forscht, verweist darauf, dass die Frauen zur „tragenden Säule“ der Landwirtschaft geworden seien. Die „Überlebensstrategie“ der Frauen habe sichergestellt, so Aranda, dass die Lebensmittelproduktion nicht abnähme, die Armut nicht wachse, die Migration nicht zum einzigen Ausweg würde oder dass sich die soziale Instabilität nicht verschärfe.
Ein zentrales Problem bleibe jedoch, so Aranda, das weiterhin eine „Wirtschaftspolitik der Verarmung und eine Sozialpolitik, die dies nur halb kompensieren kann“, dominiere. Daher könne nach Ansicht der Forscherin die Lösung nicht in einer intensiveren Förderung des ländlichen Sektors liegen. Es bedürfe vielmehr eines grundlegenden Wandels der Ressourcenverteilung und der staatlichen Politiken hin zu einer grundlegenden institutionellen Veränderung. Sie kommt zu dem Schluss: „Es geht darum, radikal den Ansatz zu verändern, damit diejenigen, die heute in Armut leben, durch ihre eigene Arbeit dieser entkommen können.“ Diese Thesen vertrat sie auch jüngst bei einem Seminar in der Stadt Oaxaca zum Thema „Wissen und Veränderung ländlicher Armut und Entwicklung“. Anlässlich des Seminars trafen sich verschiedene Expert*innen, um über die Notwendigkeit zu beraten, Subventionen an die Bedürfnisse der jeweiligen Mikroregion besser anzupassen, die Koordination der Maßnahmen verschiedener Behörden zu verbessern und zugleich der wachsenden Rolle und Bedeutung der Frauen für die ländliche Entwicklung gerecht zu werden.
Traum und Realität
Die Kaffeebäuerinnen von Chuxnaban wissen genau was sie wollen: faire Preise, Emanzipation von den Zwischenhändlern, ein Ende der Auswanderung sowie Unabhängigkeit von den Kreditvermittlern, damit sie ihre Geschäfte entwickeln können. Entgegen der landläufigen Meinung raubt der Kaffeeanbau den Frauen nicht nur den Schlaf, sondern er schafft auch Träume. Der Geschmack den Kaffees lässt sie nicht schlafen aber erlaubt ihnen, von einer besseren Zukunft zu träumen.
Frauen und der Kaffeeduft von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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