Todesdrohungen gegen Gewerkschafter*innen
Arbeiterinnen, die darum baten, ihre Identität nicht preiszugeben, wiesen darauf hin, dass seit 2012 die Bedrohungen im Textilsektor zugenommen hätten, wobei man sich dabei das herrschende Klima der Gewalt im Lande zu Nutzen machen würde.
“Sie haben mich angerufen und verlangt, ich solle aus der Gewerkschaft aussteigen und aufhören die Rebellische zu spielen… Sie sagten, sie seien ‘homeboys’ (Bandenmitglieder) und wenn ich die Gewerkschaft nicht verlasse, würde ich an einem der Bäume hängen, die sich außerhalb der Fabrik befinden“, berichtete eine Arbeiterin der Firma LD El Salvador in der Freihandelszone Zona Franca San Marcos, einem Industriegebiet im Süden der Hauptstadt.
Die Frau ist seit 2004 als Arbeiterin an Nähmaschinen tätig und gehört zur Salvadorianischen Gewerkschaft für Textilindustrie SITS (Sindicato de la Industria Textil Salvadoreña). Etwa 780 Personen arbeiten in dem aus koreanischem Kapital finanzierten Unternehmen, das Kleidungsstücke für die Firmen Náutica und Walmart herstellt.
Laut der Arbeiterin, habe das leitende Personal der LD die Bandenmitglieder damit beauftragt, Arbeiter*innen, die zur SIST gehören, unmittelbar innerhalb des Fabrikgeländes zu bedrohen.
Wie die Frau weiter berichtete, erzielten die Warnungen durchaus ihre Wirkung. Aus Angst davor, zu Opfern der Banden – krimineller Organisationen, die auch als ‘Maras’ bekannt und für einen Großteil der täglichen Morde verantwortlich sind, die das Land überschatten – zu werden, hätten von 155 Gewerkschafter*innen nur 60 standgehalten.
Angst, Gewalt und Rechtsverstöße
El Salvador mit 6,3 Millionen Einwohner*innen ist eines der gewalttätigsten Länder des amerikanischen Kontinents. Das Jahr 2014 ging mit 3.912 gewaltsamen Todesfällen zu Ende, dies entspricht einer Mordrate von 63 Toten pro 100.000 EinwohnerInnen.
“Sie haben mich angerufen und gewarnt, ich würde in einer schwarzen Tüte gefunden werden, wenn ich die Gewerkschaft nicht verlasse… Da dies die ersten Anrufe waren, die wir erhielten, war ich sehr nervös und beunruhigt”, gab eine weitere Arbeiterin, die weiterhin in der SITS aktiv ist, gegenüber IPS an.
Die betroffenen Textilfirmen, sogenannte “Maquilas”, die sich der Anfertigung von Produkten aus importierten Rohstoffen für den Export widmen, sind in den 17 Freizonen des Landes tätig, in denen keine Zölle für importierte Rohstoffe, hingegen jedoch Steuerfreiheiten und andere Anreize bestehen. Zu den Kund*innen gehören unter anderem Marken wie Nike, Puma oder Adidas.
Der Sektor schaffte 2014 mehr als 74.000 Arbeitsplätze, zum Großteil für Frauen, und stellt somit zwölf Prozent der 636.000 Arbeitsplätze im privaten Sektor dar. Die Exporte ergaben insgesamt 2,4 Milliarden US-Dollar. Laut Angaben der Branche entspreche dies der Hälfte des gesamten salvadorianischen Absatzes ins Ausland.
Seit der Ausbreitung dieses Industriezweiges in den 1990er Jahren sind der unmenschliche Umgang und Verstöße gegen die Rechte der ArbeiterInnen hinterfragt worden.
“Eines der am stärksten betroffenen Rechte ist der freie Zusammenschluss zu Gewerkschaften”, so Reynaldo Ortiz, Sekretär der Organisation des Salvadorianischen Gewerkschaftsverbands (Federación Sindical de El Salvador). “Und nun greifen sie zu Todesdrohungen um die Gewerkschaften zu zerbrechen”, fügte er hinzu.
„Finstere Allianzen“
Im Januar veröffentlichten das Zentrum für Globale Rechte von Arbeiter*innen (Center for Global Workers´ Rights) der Penn State University und die Organisation Worker Rights Consortium, beide aus den USA, den Bericht “Alianzas Nefastas” (“Finstere Allianzen”), in dem beschrieben wird, wie auch weiterhin die gewerkschaftliche Organisation in den salvadorianischen Maquilas untergraben wird.
Auch wurde explizit auf Einschüchterungsversuche gegenüber Gewerkschafter*innen durch Bandenmitglieder hingewiesen, wie anhand konkreter Fälle belegt wurde.
“Die Bedrohungen haben eine lähmende Wirkung auf die Vereinigungsfreiheit, sowohl aufgrund der langen Geschichte des Landes von ermordeten Gewerkschafter*innen als auch aufgrund der Tatsache, dass die salvadorianische Gesellschaft generell von der Gewalt der Maras geplagt ist”, heißt es in dem 46-seitigen Bericht.
Dem Bericht zu Folge, erlebten die Arbeiter*innen des auf taiwanesischem Kapital basierenden Unternehmens F&D, das sich ebenso in der Zona Franca San Marcos befindet, im Januar 2013 verschiedene Vorfälle.
So näherten sich beispielsweise zwei Manager der Firma, begleitet von einem Mitglied der Maras, einigen Arbeiter*innen, die sich außerhalb der Fabrik unterhielten, um dem Bandenmitglied zu zeigen, wer die Anführer*innen der Gewerkschaft waren.
Wie eine Arbeiterin der LD berichtete, sei die Beteiligung der Maras so offensichtlich, dass im November 2013 während eines Treffens von Gewerkschafter*innen mit Bandenmitgliedern, in dem den Maras der Arbeitskampf, den die Gewerkschaft führte, erklärt werden sollte, einige der Maras mit Führungspersonal des Unternehmens erschienen.
Im Januar 2014 sei dann Juan Carlos Sánchez, einer der Arbeiter, die an dem Treffen teilnahmen, unter ungeklärten Umständen ermordet worden, berichtete eine Angestellte. Sie fügte hinzu, dass [die Gewerkschaft] der Staatsanwaltschaft entsprechende Anzeigen vorgelegt hätte, die Ermittlungen jedoch keinerlei Fortschritte gezeigt hätten. Die IPS erhielt keine Stellungnahme zu diesen Gesetzwidrigkeiten seitens Vertreter*innen der F&D und LD. Auch Beamt*innen des Arbeitsministeriums antworteten nicht auf die Bitte um ein Interview zu den Vorfällen.
Ablehnung von Kollektivverträgen
Ein weiterer Fall von Bedrohungen richtete sich gegen Aktivist*innen der Gewerkschaft der Schneider*innen, Näher*innen und verwandten Berufen Sitrasacosi (Sindicato de Trabajadoras y Trabajadores, Sastres, Costureras y Similares), die unter anderem in der Textilfirma Nemtex im Westen von San Salvador tätig ist.
“Es waren bewaffnete Männer, die in Autos am Ausgang der Firma warteten. Sie sagten nie etwas, es war eher eine Art Einschüchterung, psychologischer Druck”, schilderte ein Mitglied der Sitrasacosi. Die Frau erklärte, dass im Februar ein bei Nemtex arbeitender Anführer der Gewerkschaft von Bandenmitgliedern, die zu ihm nach Hause kamen, mit dem Tod bedroht wurde. Ende Februar sei der Gewerkschafter in die USA geflüchtet.
Die Aktivistin der Sitrasacosi fügte hinzu, die Betriebsinhaber*innen hätten eine Abneigung gegen die Gewerkschaft und gegen die Unterzeichnung von Kollektivverträgen.
Wie sie berichtete, hätte die Gewerkschaft der Firma Confecciones Gama bereits einen Kollektivvertrag mit dem Unternehmen verhandelt, wobei dies der erste Vertrag dieser Art im Sektor der Textilverarbeitung gewesen wäre.
Allerdings stellte das Unternehmen im Juni 2011 seine Tätigkeiten schlagartig ein und hinterließ 270 Angestellte ohne Arbeit.
“Sie zogen es vor, die Fabrik zu schließen, anstatt einen Kollektivvertrag zu unterzeichnen… Für sie wäre es wohl so gewesen, als würden sie ein schlechtes Beispiel geben”, fügte das Mitglied der Sitrasacosi hinzu.
Die Aktivistin versicherte, dass dank der Arbeit der Internationalen Gewerkschaftsliga für Markenverantwortung (International Union League for Brand Responsibility), die weltweit auf die Umsetzung von Arbeitsrechten in Textilfabriken drängt, im Dezember 2012 erreicht wurde, dass die Eigentümer der Gama die komplette Entschädigungssumme im Zusammenhang mit der Werksschließung zahlen musste.
Zwangsarbeit durch überhöhte Produktionsziele
Wie die Spezialistin Carmen Urquilla von der Vereinigung für Würdige Arbeit der Frau (Concertación por un Empleo Digno para las Mujeres) gegenüber IPS erklärte, werden in den Maquilas auch andere Arbeits- und Menschenrechte verletzt.
So unter anderem die illegale Aneignung von Quoten, die den Arbeiter*innen zur Zahlung der Sozialversicherung und Bankkrediten abgezogen werden, ein Phänomen, dass noch immer zu beobachten sei, wenn auch weniger stark als in früheren Jahren.
Wie Urquilla hinzufügte, existiere in den Maquilas jede Menge Zwangsarbeit, da von den Frauen eine sehr hohe Produktionsrate verlangt werde. Um die Ziele zu erreichen, müssen die Frauen etwa zwölf Stunden am Tag arbeiten. Diese zusätzlichen Stunden würden nicht bezahlt werden. Die Frauen erhielten lediglich eine Vergütung von zehn US-Dollar für das erreichte Produktionssoll, wie Urquilla ergänzt. Der Mindestlohn in den Maquilas betrage 210 US-Dollar monatlich.
“Die Arbeit ist schwer. Die Frauen leiden lebenslang an körperlicher Untauglichkeit durch Schäden an Muskeln und Knochen, Verletzungen an Schultern und Beinen. Sie können sich nicht selbst anziehen”, so Urquilla.
Eine Fabrikarbeiterin, die darum bat die Firma, in der sie arbeitet nicht zu erwähnen, räumte gegenüber der Agentur IPS ein, dass ihr Soll darin bestehe, in zehn Stunden 1.110 Hemdärmel zu nähen.
“Das ist wirklich erschöpfend”, klagte sie.
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