Von Christian Rollmann, Rosario
(Berlin, 03. September 2017, npl).- Soja macht die Menschen in den argentinischen Anbauregionen reihenweise krank, das zeigen Untersuchungen der Universität Rosario. In einem einzigartigen Projekt erfassen engagierte Mediziner*innen, welche Krankheiten sich in den Sojagebieten häufen. Soja, Glyphosat und Krebs – das ist der traurige Dreiklang, der dabei immer wieder zu Tage tritt. Ein Besuch bei Mediziner*innen, für die Gesundheit ein unverhandelbares Menschenrecht ist.
Gesundheitscamps in der Provinz Santa Fé
Gut sechs Autostunden nördlich von Buenos Aires, im Norden der Provinz Santa Fé. Hier liegt – umgeben von endlosen, monotonen Sojaplantagen – die kleine Ortschaft Sastre. An diesem Nachmittag, mitten im argentinischen Herbst, sind in den Straßen zahllose Studierende der Universität Rosario unterwegs, unschwer zu erkennen an ihren knalligen, orangefarbenen T-Shirts. Mit Klemmbrettern bewaffnet laufen sie von Tür zu Tür und führen Befragungen durch. Ihre Mission: den Gesundheitszustand der rund 6.000 Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt zu erfassen.
Das Campamento sanitario (Gesundheitscamp) ist die praktische Abschlussprüfung für 108 Medizin-Studierende, mit der sie ihr Studium abschließen. 2010 begannen einige Dozent*innen der medizinischen Fakultät in Rosario mit dem Projekt, Sastre ist nun schon die 29. Station. Alle drei Monate schlagen sie ihr Lager in einer anderen Kleinstadt auf, um zu herauszufinden, wie es um die Gesundheit der Menschen in den argentinischen Sojaanbaugebieten bestellt ist.
„Diese Gegend ist vor allem durch die Landwirtschaft geprägt“, erklärt Gastón Palacios, der dem Dozent*innenteam angehört. „Heutzutage wird auf knapp 80 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Argentinien Soja angebaut“, schildert der 36-jährige. „Die fruchtbarsten Felder sind in der Pampa humeda, also genau dort, wo wir die Untersuchungen machen.“ Am Anfang ging es den Mediziner*innen erst einmal darum, zu ergründen, woran die Menschen in der Region erkranken und weshalb sie sterben. Dabei wurde schnell klar: Das hat sich in letzten 15, 20 Jahren stark verändert.
Die erhobenen Daten der Gesundheitscamps zeigen, dass Schilddrüsenbeschwerden und Krebs besonders zugenommen haben. Wobei Krebs mittlerweile in der gesamten Region mit Abstand die häufigste Todesursache ist. Außerdem mehren sich die Fälle von Fehlgeburten und Fehlbildungen bei Neugeborenen. Die genauen Gründe für diesen Zusammenhang können die Mediziner*innen um Palacios nicht zweifelsfrei darlegen. Ihre Methodik ist darauf nicht ausgerichtet. „Aber wir stellen in unseren Untersuchungen immer wieder fest, dass es einen augenscheinlichen Zusammenhang zwischen der Anwendung von Pestiziden und der Erkrankung an Krebs gibt“, bemerkt der Mediziner, der selbst in der Region aufgewachsen ist. „Daher raten wir den Städten und Gemeinden, zu bestimmten Todesursachen weitergehende Studien zu beauftragen.“
Viel Arbeit, wenig Schlaf – Gesundheitscamps sind Fleißarbeit
Das Gesundheitscamp in Sastre, bei dem wenig geschlafen und viel gearbeitet wird, ist für die Studierenden wie auch für die rund 20 Dozent*innen gleichsam anstrengend. Auf dem Weg zum erfolgreichen Studienabschluss müssen alle das Soll an ausgefüllten Fragebögen erreichen. Und möglichst viele Haushalte zu befragen, ist vor allem eins: Fleißarbeit. Die standardisierten Fragen drehen sich nicht nur um den Gesundheitszustand der Bevölkerung, sondern es werden auch soziale und umweltbezogene Faktoren erfasst. Eine die Befragten, die 33-jährige Verwaltungsangestellte Marina, verweist dabei wie viele andere Bewohner*innen auf den Pestizideinsatz mit dem Pflanzengift Glyphosat. „Die Pestizidflugzeuge fliegen hier ganz in der Nähe vorbei“, erzählt sie. Diese erkenne man an dem Chemikalien-Geruch. Ihr Bruder habe in der Landwirtschaft gearbeitet und wenn in der Nähe gesprüht wurde, hätten sie ihn gewarnt, damit er mit seiner Familie wegfahren könne. Die Mutter zweier Kinder bemerkt, dass Landwirt*innen in Sastre besonders früh sterben: „Viele von denen, die Glyphosat vehement verteidigen, sind schon tot oder haben jetzt Krebs.“
Todesursache Krebs löst Altersschwäche ab
Für Eduardo Botto von der Stadtverwaltung in Sastre gibt es in seiner Stadt keine Probleme mit Glyphosat und Krebserkrankungen. Der Finanzsekretär beruft sich auf die ständigen Kontrollen der Chemikalien und verweist auf die lokale Verordnung, die es verbietet in einem 800-Meter-Radius um die Stadt Ackergifte auf die Felder zu spritzen. „Ich habe keine Informationen darüber, dass es eine erhöhte Krebsrate gibt“, so Botto. Er hoffe, dass die Kleinstadt ein Sonderfall in der Region sei. Die vorläufigen Ergebnisse der Befragungen widersprechen allerdings den Annahmen der Stadtverwaltung: Rund ein Drittel der Menschen stirbt an Krebs, ein weiteres Drittel an Herzkreislauferkrankungen. Die Werte liegen deutlich über denen in anderen Regionen Argentiniens. Es gibt also auch hier keine Ausnahme von der Regel: Die Menschen sterben heutzutage nicht mehr an Alter, sondern an Krebs, so lautet das Fazit des Gesundheitscamps.
Sojanbau und Pestizideinsatz – das sind zwei Seiten derselben Medaille. Das meist gen-manipulierte Saatgut ist gegen Ackergifte, wie das von Monsanto vertriebene Glyphosat, resistent. 250 Millionen Liter dieser von der Weltgesundheitsorganisation als wahrscheinlich krebserregend eingestuften Chemikalie dringen jährlich in argentinische Böden ein. In Argentinien wird heute fast nur noch Soja angebaut. Seit 2003 wurden die Anbauflächen kontinuierlich ausgeweitet, so dass das Land heute der drittgrößte Sojaproduzent weltweit ist. Neben massiven Auswirkungen für die Umwelt, ist der Sojaanbau mittlerweile auch ein handfestes Gesundheitsproblem für hunderttausende Argentinier*innen.
Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit
Die Camps sollen ein Signal an die Regierenden sein. Gastón Palacios und seine Kolleg*innen sind der Meinung, die Politik dürfe nicht weiter nach rein ökonomische Interessen richten. „Unser auf Soja ausgerichtetes Produktionsmodell macht die Menschen krank“, sagt er. „Aber Gesundheit ist für uns ein unverhandelbares Menschenrecht.“ Auf diesen Widerspruch weisen die Mediziner*innen immer wieder hin. Sie wollen, dass die Menschen in Lateinamerika gesünder leben können. Dabei ist Gesundheit mehr als die An- oder Abwesenheit von Krankheiten. Gesundheit bedeutet für Palacios und seine Mitstreiter*innen Würde, Ernährungssouveränität, Zugang zu Wasser, atmen können, eine gute Arbeit haben und vieles mehr.
Die engagierten Mediziner*innen aus Rosario wissen, der Weg hin zu einer Gesellschaft, die Menschen nicht krank macht, ist noch lang. Daher informieren sie die Bevölkerung während der Gesundheitscamps regelmäßig über ihr Recht auf Gesundheit. Und in drei Monaten werden sie wieder ihr Lager aufschlagen. Dann an einem anderen Ort, aber die Ergebnisse – das zeigt die Erfahrung der vergangenen 29 Camps – werden wahrscheinlich ähnlich sein.
Zu diesem Artikel gibt es bei onda auch einen Audiobeitrag, den ihr hier anhören könnt.
Glyphosat macht Krebs: Feldforschungen im Sojaanbaugebiet von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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