von Carlos Iaquinandi Castro
(Quito, 14. August 2008, alai).- Am 15. August hat Ex-Bischof Fernando Lugo die Präsidentschaft von Paraguay angetreten und damit der 60 Jahre währenden Herrschaft der Colorado-Partei, u.a. mit der langen Diktatur unter Alfredo Stroessner, ein Ende gesetzt. Während seiner Zeit als Bischof in der Region San Pedro unterhielt Lugo engen Kontakt zu den sozialen Bewegungen, v.a. zur Bauernschaft. Daraus erwuchs die Basis für seine Bewegung Tekojoja, aus der heraus der Vorschlag entstand, Lugo als Präsidentschaftskandidaten aufzustellen. Er trat von seinen religiösen Ämtern zurück, ohne die Zustimmung des Vatikans abzuwarten, präsentierte sich als Präsidentschaftskandidat und die Patriotische Allianz für den Wandel (Alianza Patriótica por el Cambio), eine Koalition bestehend aus mehr als 20 unterschiedlichen Strömungen, formierte sich. Sie vereint Liberale, Christdemokraten und die Kommunistische Partei Paraguays. Die Liberale Partei (PLRA) hat darin die stabilsten Strukturen und erhielt die meisten Sitze im Parlament. Die großen Unterschiede, die innerhalb der Koalition herrschen, und Lugos Selbstbezogenheit, haben Zweifel entstehen lassen, wie die Regierung arbeiten wird.
Lugo erhielt am 20. April rund 42% aller abgegebenen Stimmen. Aber seine direkten Rivalen, Blanca Ovelar von der Colorado-Partei und der rechte Ex-General Lino Oviedo, der ursprünglich auch von den Colorados kommt, vereinen mit ihren Stimmenanteilen (32 und 22%) mehr als die Hälfte der von den Paraguayaner*innen abgegebenen Stimmen auf sich. Im Parlament hat es Lugo schwer. Die Colorado-Abgeordneten haben 38% der Sitze, gegenüber 34% für die Liberalen und 19% für die UNACE, die Partei von Ex-General Oviedo. Im Senat haben die Colorados ein Drittel der Sitze, die anderen Kräfte verteilen sich ungefähr so, wie im Parlament. Also ist Lugo, will er Gesetze durchbringen, v.a. auf die Stimmen der Liberalen angewiesen, etwas, das nicht immer einfach sein wird. Und er wird trotz allem noch mit den beiden Oppositionskräften verhandeln müssen. Bisher gibt es Kontakaufnahmen in das Lager der UNACE.
Lugo wird sich in seinen ersten Monaten der Amtszeit vielen wichtigen Herausforderungen stellen müssen. Er weiß, dass sein angekündigter „Kampf gegen die Armut“ Ressourcen benötigt. Deswegen hat er eine Steuerreform angekündigt. Derzeit leben mehr als eine Million der sechs Millionen Einwohner*innen des Landes in „extremer Armut“. Sie haben weniger als einen Dollar am Tag zur Verfügung. Eine weitere Million wird als „arm“ definiert. Die wenige Infrastruktur im Bereich Bildung oder medizinische Versorgung konzentriert sich in der Hauptstadt Asunción, im Landesinneren gibt es kaum etwas.
Eine andere wichtige Aufgabe wird sein, mit Brasilien den Vertrag von 1973 über das Wasserkraftwerk von Itaipú neu zu verhandeln. Paraguay verbraucht nur 17% der 50% Energie, die ihm laut Vertrag zustehen. Den Rest der Energie verkauft das Land zu einem schlechten Preis an Brasilien.
Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die größte Aufgabe die Neuverteilung des Landbesitzes ist. Es ist ein altes Problem und Lula hat eine weitgreifende Landreform versprochen, die dagegen vorgeht, dass sich rund 12 Millionen Hektar bestes Land in den Händen von einigen wenigen Familien und Konsortien befindet. Die Statistiken zeigen, dass Paraguay die ungerechteste Landverteilung ganz Lateinamerikas hat. Hunderttausende von Kleinbauern kämpfen seit Jahrzehnten um ein Stück Land und darum, ihr Leben zu verbessern. Die Großgrundbesitzer*innen konnten immer auf die Komplizenschaft von Polizei und (Lokal-) Regierungen zählen, wenn es darum ging, die sozialen Bewegungen der Bauern zu unterdrücken. Mehr als Hundert Anführer*innen sozialer Bewegungen sind in den letzten 20 Jahren ermordet worden. All diese Taten blieben ungestraft.
Man schätzt, dass ein wenig mehr als 500 Familien mehr als 90% des kultivierbaren Landes besitzen, während 350.000 Familien gar kein land haben. Das hat dazu geführt, dass in den letzten 20 Jahren der Anteil der Land- an der Gesamtbevölkerung von 67 auf 30% zurückgegangen ist. Die Binnenmigration hat zu Armut auch in den Vierteln von Asunción und anderen Städten geführt.
Laut Martín Almada, Träger des alternativen Nobelpreises, beginnt das Landproblem Paraguays mit dem Krieg gegen die Dreierallianz (1865-1870), gegen Argentinien, Brasilien und Uruguay. Ein Ergebnis dieses Krieges und eines anderen, durch die USA provozierten zwischen Paraguay und Bolivien im Jahr 1935, sei gewesen, dass sich die soziale Schichtung des Landes nicht verändert habe. Es blieb bei 5% Reichen, den Besitzer*innen des fruchtbaren Landes, 10% Mittelschicht und zwischen 75 und 80% armer Bevölkerung. Die Forscherin Mirta Barreto fügt hinzu, dass sich die Situation mit den massiven Privatisierungen in den 1950er Jahren, unter der Diktatur Stroessners, verschärfte. Aktuell hat das Modell des Soja-Monokulturanbaus die Landkonflikte verschärft. Tausende von Familien verarmten bzw. mussten emigrieren. Offizielle Quellen schätzen, dass 600.000 Familien auf Grund des Sojaanbaus vertrieben wurden und in den letzten sieben Jahren sind 180.000 Paraguayer nach Argentinien ausgewandert.
Heute glaubt die paraguayische Bauernbewegung, dass die Zeit der Gerechtigkeit gekommen ist. Sie haben maßgeblich die Weichen dafür gestellt, dass die Allianz für den Wandel die Wahlen gewinnen konnte. So haben vor kurzer Zeit 3000 Bauern die Finca eines brasilianischen Großgrundbesitzers in San Pedro besetzt. Elvio Benítez, Sprecher der Landlosenbewegung Sin Tierra paraguayos, sagte, die Besetzung sei eine eindeutige Nachricht an diejenigen, die die „Verantwortung haben, das Land zum Wohle aller“ zu regieren. Die Bauern fordern zudem, dass die Regierung ein nationales Landkataster anlegt, um Daten darüber zu erhalten, wer welches Land besitzt. Der Soziologe Tomás Palau schätzt, dass Viehzüchter in Paraguay im Durchschnitt über 2,7 Hektar für jede Kuh verfügen. Der Anbau des genetisch veränderten Sojas verschlingt 2,5 Millionen Hektar und benötigt, wegen seiner mechanisierten Anbauweise, nicht viel menschliche Arbeitskraft. Doch all diese Forderungen werden auf den erbitterten Widerstand der Großgrundbesitzer*innen stoßen. Claudia Russer von der Anbauvereinigung der Sojaproduzenten hat die neue Regierung schon aufgefordert, die „Unsicherheit“ zu beenden und Garantien für das Privateigentum abzugeben.
Wird Lugo seine Versprechen einhalten können? Es ist voraussehbar, dass Lugo und sein Vizepräsident von der Liberalen Partei, Julio César Franco, nicht gut miteinander auskommen werden. Schon jetzt gibt es seitens der Liberalen Unzufriedenheiten darüber, wie Regierungs- und andere wichtige Posten verteilt worden sind. Nicht zuletzt finden die Liberalen, dass Franco keine ausreichenden Kompetenzen zugestanden bekommen hat.
Martín Almada bezweifelt, dass Lugo eine Landreform wird durchsetzen können. „Der Präsident sieht sich mit den Gesetzen der Bourgeoisie konfrontiert, mit einem rückschrittlich besetzten Parlament, einer korrupten Justiz und einer korrupten Armee und mit einer Mentalität der US-amerikanischen Doktrin der Nationalen Sicherheit, die das Volk selbst als Feind betrachtet.“ So glaubt er, dass Lugo nur die Armut wird verwalten können, die 60 Jahre Colorado-Herrschaft angehäuft hat. „Außer, er organisiert und mobilisiert die schweigende Mehrheit: die sozial Ausgeschlossenen.“
Aber auch da muss man skeptisch sein. Belarmino Balbuena, einer der Anführer der Bauernbewegung und Verbündeter Lugos, hat kürzlich kritisiert, dass die Regierung ihre Anhänger*innen im alten Stil der Colorado-Partei mit Hilfe von Geld mobilisiert. „Das ist kein gutes Zeichen.“
Zudem haben die Wahlergebnisse nichts an den Kräfteverhältnissen verändert. Die mächtigen Gruppen werden versuchen, all ihre Privilegien und Geschenke zu verteidigen. Es wird schwer, dagegen vorzugehen, zumal die Korruption Teil der administrativen „Normalität“ ist. Die Potenz der mächtigen Gruppen hat es ihnen erlaubt, Regierungsfunktionäre, Verwaltungsangestellte, Steuerbeamte und Richter zu kaufen. Damit sich das ändert, sind ein sehr entschiedenes Regieren und eine nachhaltige Politik der Transparenz nötig.
Und dann muss man auch gegen den Schmuggel vorgehen. Man schätzt, dass damit jährlich Millionen von Dollar umgesetzt werden. Und weil jeder die Macht der darin verwickelten Geschäftemacher kennt, will niemand den Posten des Chefs der Zollbehörde übernehmen. Der Ingenieur Juan Max Rejalaga hat diesen Posten schon abgelehnt: „Weil es keine Garantien für mein Leben gibt.“ Stunden zuvor hatte er Morddrohungen der Mafia erhalten.
Auch wenn Lugo die Nähe zu den lateinamerikanischen Regierungen betont, die – in unterschiedlichem Grad – den Einfluss der USA zurückdrängen, bezweifeln viele, dass das wirklich Lugos Weg sein wird. Man kritisiert, dass es in seiner Wahlallianz viele Ex-Funktionäre der Diktatur gibt und auch, dass er Kontakte zu James Cason, US-Botschafter in La Paz, unterhält. Cason hat in den letzten 60 Jahren massiven Einfluss auf die Regierungen Paraguays genommen. Lugos Anhänger weisen diese Kritik zurück. Ihm bliebe gar nichts anderes übrig, als alle Möglichkeiten zu prüfen, wolle er etwas ändern.
All das ist wahr. Aber es ist auch wahr, dass die Mehrheit der Paraguayaner*innen von Lugo erwartet, dass dieser die autoritären, klientelistischen Strukturen des Landes, die Ungerechtigkeit überwindet und mit den mächtigen ökonomischen Zirkeln bricht. Er müsste alles daran setzen, mit dem Bild zu brechen, das Martín Almada zeichnet, indem er den brasilianischen Intellektuellen Josué de Castro paraphrasiert. Er beschreibt Paraguay als „ein Land, in dem die Reichen nicht schlafen können, weil sie Angst vor den Armen haben und die Armen nicht schlafen können, weil sie Hunger haben. In Paraguay herrscht eine explosive Armut.“
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