von Nils Brock
(Berlin, 14. Oktober 2010, npl).- Während sich Kamerateams aus aller Welt um die besten Plätze für die bevorstehende Rettung der chilenischen Bergarbeiter stritten, verabschiedete die chilenische Regierung nahezu unbeachtet Dekret 264, welches auf autoritäre Weise die Vergabe digitaler TV-Lizenzen auf den Weg bringt. Die von Präsident Sebastián Pinera am 6. Oktober unterzeichnete Verordnung definiert als Vergabekriterium einzig die technische Existenz eines TV-Senders, ohne dabei Auflagen auf inhaltlicher Ebene zu formulieren. „Wenn dieses Dekret prosperiert, ist es mehr als wahrscheinlich, dass wir Bildungs-, Kultur- und Community-Sender vergessen können“, resümiert das chilenische Medienobservatorium FUCATEL in einem informellen Rundschreiben.
In einer öffentlichen Erklärung verurteilt FUCATEL, dass das Dekret faktisch der laufenden Parlamentsdebatte um ein neues Mediengesetz zuvor komme, und rechtlich verbindliche Konzessionen schaffen werde, welche rückwirkend nur schwer zu verändern seien. Dabei wurde die laufende Novellierung der bestehenden Richtlinien für Radio und TV seit über einem Jahr mit Spannung erwartet, da erstmals explizit nicht-kommerzieller Anbieter anerkannt werden sollten und einen Teil der verfügbaren Frequenzen im analogen und digitalen Bereich erhalten hätten. „Doch heute hat der Präsident nicht nur die laufende Arbeit der Legislative ausgehebelt“, schreibt FUCATEL, „sondern auch die Interessen der TV-Industrie über das Interesse der chilenischen Bürger gestellt.“
Für Testsendungen wurden in den letzten Tagen bereits 16 digitale Frequenzen an private Unternehmen vergeben, ohne dass diese öffentlich ausgeschrieben wurden. FUCATEL fordert von der Regierung, diese Vorgänge transparent zu machen und hat gleichzeitig eine Stellungnahme des Nationalen Fernsehrates (CNTV) erbeten. CNTV wird mit dem Dekret dazu verpflichtet, digitale Lizenzen zu vergeben ohne vorher – wie diese Institution selbst gefordert hatte – die rechtlichen Rahmenbedingungen grundsätzlich zu überprüfen.
Laut FUCATEL informierte bisher keiner der chilenischen Fernsehsender über das Präsidialdekret, obwohl „diese sonst großzügig Sendezeit und Schlagzeilen zur Verbreitung von Regierungsmaßnahmen zur Verfügung stellen.“ Die Digitalisierung der terrestrischen Frequenzen, d.h. der per Antenne empfangbaren offenen TV-Kanäle ist besonders außerhalb der urbanen Zentren von Bedeutung, wo viele Haushalte keinen Zugang zum Kabelnetzwerk haben. Eine pluralistische Information und eine Demokratisierung der Medien stehe im Fall des Fernsehens in direktem Zusammenhang mit den empfangbaren kostenfreien Anbietern und deren Programm: „Offene TV-Kanäle sind von vitaler Bedeutung für alle Chilenen und im Besonderen für die einkommensschwachen Sektoren, die sich auf den digitalen Frequenzen bessere Inhalte erhofften: Unterhaltung, Information, Kultur aber auch Wissen, welches intellektuell bereichert.“
Regierung umgeht Parlament bei Debatte um digitale TV-Frequenzen von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar