(Venezuela, 12. Juli 2009, telesur).- Frage: Herr Präsident, Sie haben sich heute mit dem stellvertretenden US–Staatssekretär für Lateinamerika, Thomas Shannon, getroffen. Wie lief das Treffen, welche Themen haben Sie besprochen? Haben Sie das Gefühl, dass der Lateinamerika–Beauftragte des US–amerikanischen Außenministeriums Anteil an der Honduras–Krise nimmt?
Antwort: Die ganze Welt, nicht nur Thomas Shannon in den USA, nimmt Anteil. Niemand zweifelt daran, dass dieser Militärputsch erstens völlig überflüssig war und zweitens einen gewaltigen Rückschritt für unser Land bedeutet. Er ist ein Schlag gegen die Demokratie, für die wir uns alle einsetzen, Honduras genauso wie Europa und die USA. Wir alle sind uns insofern einig, als niemand weiß, was die Putschisten eigentlich wollen. Sie verrennen sich da in etwas. Was für ein Ziel verfolgen sie? Ich glaube, das fragt sich mittlerweile die ganze Welt. Oftmals ist die Medizin noch viel gefährlicher als die Krankheit, die sie heilen soll. Die Tatsache, dass niemand weiß, wohin dieser Umsturz eigentlich führen soll, führt zu allgemeiner Beunruhigung, auch in den USA.
F: Hatten Sie den Eindruck, Shannon vermittelt tatsächliches Interesse seitens der USA? […]
A: Die USA sind ein demokratisches Land. Hier gibt es keine Staatsstreiche. Hier wurden in Krisenfällen Präsidenten erschossen. Die Konflikte laufen hier noch dramatischer ab. Man muss berücksichtigen, dass Obama erst wenige Monate im Amt ist, und zumindest er und Außenministerin Hillary Clinton versuchen, eine Lösung zu finden. Sie beide verurteilen die jüngsten Ereignisse in Honduras aufgrund ihrer eigenen Prinzipien scharf, ganz egal, was die Motive der Putschisten sein mögen. Außerdem sind die Menschen, die derzeit in Honduras die Regierungsgeschäfte leiten, den USA komplett unbekannt; dasselbe gilt für den gesamten amerikanischen Kontinent und erst recht für die übrigen Länder der Welt. Zum ersten Mal in der Geschichte stellen sich 192 Staaten aus aller Welt geschlossen hinter eine gewählte Regierung und verurteilen ihren Sturz klar und deutlich. Diese Unterstützung fühle ich auch seitens der US–Regierung. Mit Entsetzen wird die Weltöffentlichkeit der unversöhnlichen Haltung gewahr, mit der Putschisten die Proteste in Tegucigalpa, in San Pedro Sula, in allen Städten Honduras mit Gewalt unterdrücken. Diese Gruppe ist so brutal und rücksichtslos, dass sie sich über die internationale Kritik genauso hinwegsetzen wie über die Proteste in den Straßen, die gnadenlos niedergeschlagen werden. Das Böse hat auf eine sehr grausame Weise in Honduras Einzug gehalten.
F: Was halten Sie von der These, dass die in Honduras stationierten US–amerikanischen Streitkräfte mit dem honduranischen Militär zusammengearbeitet haben?
A: Nein, das glaube ich nicht. […] Ich kann bezeugen, dass die US–Regierung, dass insbesondere der US–Botschafter Hugo Llorens, versucht hat, eine Lösung zu finden, solange sich die Verschwörung nur anbahnte. Denn es war abzusehen, dass hier ein Schlag gegen die Demokratie geplant war. Die USA waren das erste Land, das in einem öffentlichen Kommuniqué die Ereignisse verurteilte. Die ersten Protestaktionen wurden Anfang Juli vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und der US–amerikanischen Regierung initiiert. Besonders Llorens befand sich in engagiertem Austausch mit den Abgeordneten und den Militärs.
F: Glauben Sie, dass der Staatsstreich dazu beiträgt, dass die Produktivität im Land verbessert werden könnte oder ist er eher als Hemmschuh für die Entwicklung des Landes zu betrachten? (…) Den Demokratisierungsprozess im Land zu unterbrechen, ist sicher der schlechteste Weg, um Lösungen für Honduras’ Probleme zu finden. Das Land leidet ja bereits unter einer enormen Armut.
A: Zu der Krise, in der sich Honduras schon viele Jahre befindet, kommt jetzt noch die Krise auf der politischen Ebene. Ich bin ein Mann des Dialogs und von weit reichender Toleranz. Beides konnte ich in meiner dreieinhalb Jahre währenden Regierungszeit unter Beweis stellen. Ich glaube, dass dieser Staatsstreich der Gesellschaft unseres Landes psychologisch sehr geschadet hat und es Jahre dauern wird, bis diese Schäden überwunden sind. Auch die wirtschaftlichen Folgen sind unübersehbar. Der Putsch schreckt Investoren ab. Das Land ist in einem gesellschaftlich instabilen Zustand, und von außen entsteht der Eindruck, das Land befinde sich im Belagerungszustand und versinke in Barbarei […]. Die ganze Welt verurteilt diesen Putsch. Es gibt sicher einige Dinge, die auch in dieser Situation verbessert werden können. Für mich steht fest: Die Putschisten haben sich gründlich geirrt, wenn sie auf internationale Unterstützung gehofft haben. Die Staatengemeinschaft reagiert ablehnend, das Volk mit wütendem Protest […]. Wenn sie gedacht haben, dass sich auf diese Weise Lösungen herbeiführen lassen, haben sie sich getäuscht. Das Land erleidet einen dramatischen Rückschritt nicht nur auf seinem Weg in die Demokratie, sondern auch bedingt durch die Tatsache, dass sich ein Militärregime über den zivilen Staat erhebt.
F: Wissen Sie schon, wann Sie in Ihr Land zurückkehren?
A: Natürlich. Mich kann niemand aus Honduras ausweisen, nicht als Bürger und noch viel weniger als Präsident. Ich bin der gewählte Präsident dieses Landes, und das Volk steht hinter mir. Die jetzigen Machthaber sind eine kleine, hasserfüllte, von Ehrgeiz zerfressene und missgünstige Minderheit, die vom Volk nicht akzeptiert wird. Insofern werden meine Familie, meine Freunde und ich in Bälde in mein Land zurückkehren, und nichts kann uns daran hindern.
F: Aber haben Sie nun schon ein Datum festgelegt?
A: Es kann jederzeit, jeden Tag, in jeder Situation soweit sein. Das müssen sie wissen. Sie kennen mich genug, um zu wissen, dass sie das nicht werden verhindern können, dass sie nicht werden regieren können. Ein De–facto–Regime hat in Honduras keine Chance, denn weder das Volk, noch die internationale Staatengemeinschaft, noch wir, die wir stets auf der Seite unseres Volkes stehen, werden das zulassen.
F: Am 11. Juli trafen Sie Óscar Arias in Costa Rica. Sie wurden als gewählter Präsident von Honduras empfangen, aber galt das nicht auch für Ihren Widersacher Roberto Micheletti?
A: Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, Óscar Arias handelt nach bestem Wissen und Gewissen. In Sachen Demokratie ist Costa Rica ein Paradebeispiel, seine Bevölkerung verdient allerhöchsten Respekt. Zugegeben, die Ergebnisse sind nicht optimal, doch allein die Intention sollte man würdigen. So sehe ich das jedenfalls. Dieses Fenster werden wir offen lassen, es ist für sich genommen bereits ein Lichtblick, wenn auch kein Riesenschritt. Trotzdem finde ich, die Bemühungen müssen honoriert werden.
F: Glauben Sie nicht, dass alles ein bisschen zu sehr in der Theorie verharrt und eigentliche Fortschritte doch nur weiter herausgezögert werden?
A: Nun ja, wir haben in diesem Zusammenhang leider keinen Einfluss auf alles. Zum Beispiel hatte die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), sich 72 Stunden erbeten, in denen hart gearbeitet wurde. Gleich nach Ablauf der Frist trat Außenministerin Clinton, und dabei dürfen wir nicht vergessen: Wir reden hier vom mächtigsten Land der Welt, das die Forderung nach einer Mediation aufstellte. Óscar Arias hat zugestimmt, und ich glaube, das hilft, um den Druck ein wenig zu mildern. Dabei ist nicht das erwartete Ergebnis herausgekommen, dazu braucht es wohl noch ein paar Stunden, trotzdem glaube ich, dass man so vorgehen musste. Den Vorschlag abzulehnen wäre töricht gewesen. […] Ich hatte nur um ein Mindestmaß an Respekt gebeten, damit niemand von mir verlangt, dass ich mich mit den Putschisten an einen Tisch setze. Zweitens wollte ich, dass es eine wirkliche Mediation wird und keine bloße Gegenüberstellung. Also wurden Kommissionen gebildet, um in den Dialog zu treten. Allerdings waren noch keine Tagesordnungspunkte ausgearbeitet worden, es gab noch keine wirkliche Struktur. Ich hoffe, dass das jetzt nachgeholt wird.
F: Inzwischen klärt sich, wer in den Staatsstreich gegen Sie verwickelt war, und nun werden auch einige Zusammenhänge deutlicher. Was ist mit der (katholischen) Kirche, mit Kardinal Óscar Andrés Rodríguez, von dem es heißt, er habe vom Staat Honduras erhebliche Summen, monatlich so um die 100.000 Lempiras (knapp 3.800 Euro) erhalten? (Zelaya hatte diese seit 2001 durchgeführten Zahlungen öffentlich in Frage gestellt und damit den Unmut der Kirche auf sich gezogen, die ihn bezichtigte, dem Einfluss von Hugo Chávez verfallen zu sein, Anm. d. Redaktion.)
A: Ich glaube, die Kirche hat hier ihre Grenzen deutlich überschritten. Sie hat einen Putsch unterstützt, und der hat Straftaten nach sich gezogen, die mit einem Hierarchieproblem der Kirche nicht zu rechtfertigen sind, und das wird die Bevölkerung entsprechend quittieren. Wir werden unsere Klagen direkt beim Vatikan einreichen.
F: Wenn es stimmt, dass die gesamte Welt den Putsch verurteilt und die Rückkehr José Manuel Zelayas fordert, warum sind Sie dann noch hier? Was muss noch passieren, damit der Präsident zurückkehrt?
A: Man sollte nicht vergessen, dass es sich bei den Putschisten um menschenfressende Ungeheuer handelt, alte Gespenster aus grauer Vorzeit. Man fühlt sich ein bisschen wie in einem Zombiefilm. Um dagegen vorzugehen, sind natürlich gewisse diplomatische Formalitäten einzuhalten: Die Vereinten Nationen mussten das Vorgehen offiziell verurteilen, Europa musste Stellung beziehen. Dann beginnen alle Staaten, ihre Botschafter aus Honduras abzuziehen, Finanzhilfen einzustellen. Und nun ist Honduras politisch isoliert. Es ist ein diktatorisches, ein repressives Regime, unter dem das honduranische Volk leidet, und dafür sind Sanktionen fällig. So etwas macht man nicht einfach ungestraft, wer einen Staatsstreich anzettelt, muss mit Konsequenzen rechnen […]. Die anderen Präsidenten, die anderen Regierungen, alles, was hier gesagt wurde, das Ende der Welt sei gekommen, weil wir nun freie Märkte haben oder freie Wirtschaften und eine Demokratie, ich glaube, da hat sich gezeigt, dass wir uns in gewisser Weise immer noch in der Vorzeit befinden. Es beginnt eine neue Ära, die für unsere Gesellschaften sehr gefährlich ist. Wenn irgendeine Gruppe meint, einen politischen, einen demokratischen, einen elektoralen Prozess unterbrechen zu müssen, sind Sanktionen seitens der OAS fällig. Honduras wurde von der OAS ausgeschlossen, und das ist insofern ein historischer Augenblick. Nie zuvor wurde ein Staatsstreich so sanktioniert und so vehement von der gesamten Menschheit verurteilt.
Manuel Zelaya: „Meine Rückkehr nach Honduras kann jeden Moment erfolgen“ von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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