Ayotzinapa, Innsbruck und die Regierungsmanöver

von Luis Hernández Navarro

(Mexiko-Stadt, 09. Dezember 2014, la jornada).- Die Bestätigung, dass die gefundenen menschlichen Überreste zu Alexander Mora Venancio gehören, ist kein Beweis für die Regierungsversion, dass die 43 Lehramtsanwärter von Ayotzinapa in Cocula ermordet und verbrannt wurden.

Gewagte Erklärung des Generalbundestaatsanwalts

Das Ergebnis der von der Medizinischen Universität Innsbruck durchgeführten Untersuchungen unterstützt die offizielle Darstellung der Vorkommnisse nicht, steht aber auch nicht im Widerspruch zu ihr. Es stellt nur die Identität eines ermordeten und verbrannten jungen Mannes fest. Es sagt nichts darüber aus, wer dies wie tat, noch wo dies geschah.

Ihrer Glaubwürdigkeit entblößt, wollte die Regierung ihre Erklärung des Verbrechens für gültig erklären, indem sie die Resultate der in Innsbruck durchgeführten DNA-Studien benutzte.

In der Pressekonferenz am 5. Dezember, auf der Fragen nicht zugelassen waren, versicherte Generalbundesstaatsanwalt Jesús Murillo Karam ohne ernsthafte Evidenz: „Dieser wissenschaftliche Nachweis bekräftigt, dass die an einem der Tatorte aufgefundenen Überreste mit den Beweismitteln der Untersuchung sowie den vor der Staatsanwaltschaft von den Verhafteten abgegebenen Erklärungen übereinstimmen. Demnach ist an dem bezeichneten Ort und in der bezeichneten Form eine Gruppe von Personen so umgebracht worden, wie es die Ermittlungen aufzeigen.“

„Keine ausreichende wissenschaftliche Gewissheit“

Das Argentinische Team für Forensische Anthropologie (EAAF), dem die Familienangehörigen der Opfer die Verantwortung für die Untersuchung anvertrauten, dementierte diese Darstellung auf diplomatische Weise. Am selben Tag veröffentlichte es eine Mitteilung, in der es kategorisch erklärt: „Bisher gibt es keine ausreichende wissenschaftliche Gewissheit oder den physischen Beweis, dass die im Fluss San Juan von Sachverständigen der Generalbundesstaatsanwalt (PGR) sichergestellten Überreste zu denen gehören, die nach Aussagen der von den Behörden Beschuldigten von der Müllhalde in Cocula entfernt wurden.“

Das Schreiben stellt klar, dass das EAAF in dem Moment, in dem Taucher und Sachverständige den Plastiksack mit verbrannten Überresten auffanden, nicht anwesend waren. In dem Sack – so die Behörden – befand sich das Knochenstück, das die Identifizierung des jungen Mannes Mora Venancio erlaubte.

Von der PGR gerufen, kam das Team an den Ort, als der Plastiksack bereits geöffnet worden war und das Beweisstück neben anderen Stücken auf einer gesäuberten Fläche lag. Nach Auffassung der argentinischen Experten ist mehr physische Evidenz nötig, um die Funde in Cocula und im Fluss San Juan miteinander in Verbindung zu stellen.

Regierung drängt auf Bestätigung ihrer Version

Die Anmerkung des EAAF ist fundamental. Eine große Zahl von Experten hat die Regierungsversion, nach der die 43 Lehramtsanwärter auf der Müllhalde von Cocula ermordet und ihre verbrannten Überreste in den Fluss geworfen wurden, heftig hinterfragt und die Ungereimtheiten glaubwürdig dokumentiert. Dennoch besteht ein gewaltiger Druck, diese Version des Tathergangs für richtig zu erklären.

Die Regierung möchte die Angelegenheit von Ayotzinapa zu den Akten legen. Die Äußerungen von Enrique Peña Nieto am 4. Dezember in Guerrero, als er dazu aufrief, „diesen Moment des Schmerzes zu überwinden“ zeugen nicht nur von einer enormen Kaltherzigkeit, sondern belegen diese Dringlichkeit.

Die erste Notiz über das Ergebnis der ersten DNA-Analysen wurde am Mittwoch, 3. Dezember, von José Ureña verbreitet. „Unerfreuliche Nachrichten aus Innsbruck“, titelte der Journalist seine Kolumne. Darin nahm er das Drehbuch der Regierung voraus: „Die wenigen menschlichen Überreste, die im Fluss San Juan in Guerrero sichergestellt wurden“, schrieb er, „bestätigen leider die Informationen, die die drei Auftragsmörder des Kartells Guerreros Unidos lieferten“.

Professionelles Agieren der argentinischen Sachverständigen

Weder die Eltern noch ihre Anwälte hatten zu diesem Zeitpunkt etwas über die Untersuchungsergebnisse aus Innsbruck mitgeteilt bekommen. Erst am 4. Dezember wurden sie von den Regierungsbehörden in Mexiko-Stadt informiert. Zusammen vereinbarten sie, nicht an die Presse zu gehen, bevor der Vater Alexanders sowie die Familienangehörigen der übrigen Verschwundenen und die Lehramtsanwärter informiert wären.

Einen Tag später wurde die Nachricht in Ayotzinapa den Hinterbliebenen und den Kommilitonen der Opfer übermittelt. Auf der Demonstration vom 6. Dezember verkündete der Elternvertreter die Fakten öffentlich. Da zirkulierte das Geschehen bereits in den Netzwerken. Zu jedem Zeitpunkt verhielten sich die argentinischen Sachverständigen mit der sie auszeichnenden Professionalität und gemäß den eingegangenen Verabredungen. Sie versagten sich jeglichem Protagonismus.

Das Regierungsmanöver erwies sich als kontraproduktiv. Als auf der Versammlung vom 6. Dezember die Nachricht von den identifizierten Überresten Alexander Moras bekannt wurde, rief die wütende und empörte Menge: „Peña Nieto, Mörder!“ Ezequiel Mora, Vater des Toten und Hibiskuspflanzenbauer, erklärte: „Die korrupte Regierung hat meinen Sohn ermordet.“ Er fügte hinzu: „Es ist die Regierung, die alle sozialen Aktivisten umbringt. Nicht jemand anders tötet sie, es ist die Regierung selbst.“

Offizielle Strategie gescheitert

Das Scheitern der offiziellen Strategie war vorhersehbar. Und wird es bleiben. Laut Aurelio Nuñez, dem einflussreichen Kabinettschef von Peña Nieto, ist die Staatskrise, die wir erleben, ausschließlich Fehlern der Kommunikationsstrategie aus dem Regierungssitz Los Pinos und dem Fehlen einer „überzeugenderen Agenda für Sicherheit und Rechtsstaat“ zuzuschreiben.

Unfähig, den Charakter und die Tiefe der aktuellen gesellschaftlichen Mobilisierung sowie der schwerwiegenden politischen Repräsentationskrise, die das Land durchmacht, richtig einzuschätzen, warnt er: „Wir werden nicht zurückweichen, auch wenn die öffentlichen Plätze Blut und Spektakel fordern. Ebensowenig werden wir das Vergnügen der Kolumnenschreiber befriedigen. Es werden die Institutionen sein, die uns aus der Krise führen, nicht die Großtuerei.“

Peña Nieto denkt an halbierte Maut-Gebühren und andere Geschenke

So kann der Vorschlag Peña Nietos, der sich in Guerrero abspielenden Bürgerrevolte zu begegnen, nicht verwundern: Außer dem Bestreben, den Fall so schnell wie möglich abzuschließen, beschränkt er sich darauf, die freie Fahrt auf der ständig von aufbegehrenden Demonstranten blockierten Sonnenautobahn [von Mexiko-Stadt nach Acapulco] zu garantieren und deren Mautgebühren zu halbieren.

Zusätzlich sieht er ein vorübergehendes Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Straßenasphaltierung, hinausgeschobene Steuerzahlungen und Sozialversicherungsabgaben in fünf Landkreisen sowie ähnliche Nettigkeiten vor.

Fehlschritt nach Fehlschritt, vom Regen in die Traufe, von Manipulation zu Manipulation, von Lüge zu Lüge. So bringt die Regierung von Peña Nieto das Land an den Abgrund.

CC BY-SA 4.0 Ayotzinapa, Innsbruck und die Regierungsmanöver von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert