(Buenos Aires, 20. März 2020, Cosecha Roja).- Menschen, die auf der Straße leben, sind durch die Corona-Epidemie besonders stark gefährdet. Viele schlafen in staatlichen Obdachlosenunterkünften, wo es keine Möglichkeit gibt, den empfohlenen räumlichen Abstand einzuhalten. Hinzu kommen chronischen Krankheiten und Atemwegsbeschwerden.
Abstandhalten funktioniert nicht
In Buenos Aires leben 7251 Menschen auf der Straße, darunter 871 Kinder. Etwa 2.000 Menschen übernachten in öffentlichen Unterkünften. Viele sind chronisch krank, leiden an Diabetes, Atemwegserkrankungen, Bluthochdruck und Mangelernährung. „Die Empfehlung, Abstand zu halten, funktioniert hier gar nicht, da die Menschen keinen Raum haben, wo sie sich zurückziehen können“, so Horacio Ávila von der Organisation Proyecto 7. „Wenn sich ein Person ansteckt, ist die Ausbreitung nicht mehr aufzuhalten.“ Bisher gibt es noch keine Konzepte oder Maßnahmen für den Umgang mit dem Virus, die auf die Situation obdachloser Menschen angepasst sind. „Viele Tafel und Soli-Gruppen stellen ihre Arbeit gerade ein, das macht die Lage noch komplizierter“, so Ávila.
Die Schließung der Übernachtungs- und Hilfseinrichtungen hat den gegenteiligen Effekt: Der Run auf die verbleibenden offenen Einrichtungen wird stärker, und dort nimmt die Ansteckungsgefahr zu.
Proyecto 7 koordiniert drei Hilfseinrichtungen in Barracas und Parque Patricios: Im Zentrum Monteagudo leben zwölf männliche Erwachsene, das Zentrum Frieda beherbergt 60 Cis- und Trans-Frauen. Die Zentren bieten Essen, Waschgelegenheiten und medizinische Versorgung. Das Tageszentrum Che Guevara fördert Produktivität und Kreativität und hilft bei Suchtproblemen. Es bietet Schulkurse (bachillerato popular), sozialpsychologische Lehrgänge, digitale Alphabetisierungskurse und Siebdruck-Workshops. Dazu gehört auch eine Bäckerei, die ihre Produkte an die Nachbarschaft und die umliegenden Kneipen verkauft. Das Zentrum hat eine feste Klientel, ist aber auch offen für alle anderen Personen, die zum Essen oder Haareschneiden vorbeikommen oder medizinische Versorgung brauchen.
Maßnahmenpaket zur Kältehilfe vorziehen
Bisher gab es staatlicherseits noch keine Ansagen. Einige Gruppen haben jedoch bereits von sich aus angekündigt, dass sie ihre Arbeit einstellen werden. Ávila schlägt vor, den umgekehrten Weg zu gehen, die Workshops nicht ausfallen zu lassen und die Tafeln geöffnet zu lassen. Es sei wichtig, vorbeugende Maßnahmen zu verstärken und die Aktivitäten weiterhin anzubieten. Würden diese Anlaufstellen geschlossen, begäben die Menschen sich an andere Orte, und das wiederum könne das Ausbreitungsrisiko verstärken. „Wir müssen dafür sorgen, dass es Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahr gibt – für die Menschen drinnen wie für die Menschen draußen“. Proyecto 7 und andere Verbände forderten, das Maßnahmenpaket Operativo Frío („Kältehilfe“) vorzuziehen, das jeden Winter von der Kommunalregierung gestartet wird. „Die einfachste Lösung wäre, die Risikogruppen an gesonderten Stellen unterzubringen und neue Unterkünfte zu öffnen, um mehr Leuten Unterstützung bieten zu können“, so Ávilas Vorschlag. „Wenn es erst einmal einen Ansteckungsherd gibt, kriegen wir den nicht mehr in den Griff. So ging es uns schon mit der Schweinegrippe.“ Die mangelnde medizinische Versorgung verschärft die Situation. „Diese Menschen gehen nicht so einfach ins Krankenhaus, sondern warten, bis sie gar nicht mehr können“, meint Ávila. Daher könne es gut sein, dass Infektionen gar nicht oder erst spät bemerkt würden.
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