von Andreas Behn, Rio de Janeiro
(Berlin, 03. Juli 2014, npl).- Seit langem bekannt, doch jetzt statistisch bestätigt: Dilma Rousseff ist selbst Schuld an den Pfiffen und Buhrufen, die ihr bei der WM-Eröffnung im Stadion entgegenschallten. Die große Mehrheit der brasilianischen Stadien-Besucher*innen ist reich, weiß und überdurchschnittlich gebildet.
90 Prozent der Zuschauer*innen gehören zur Mittel- und Oberschicht
Das Publikum entspricht dem Durchschnitt eines Nobelviertels in Rio de Janeiro oder São Paulo. Dort wird mehrheitlich rechts gewählt, die Präsidentin gilt als Sozialistin und ihre Arbeiterpartei als Garant des Chavismus in Venezuela.
Das Umfrageinstitut Datafolha befragte das einheimische Publikum beim Spiel Brasilien-Chile im Mineirão in Belo Horizonte: 90 Prozent gehörten der Ober- und der gehobenen Mittelschicht an, die gerade mal elf Prozent der gut 200 Millionen Brasilianer*innen ausmachen. Gut zwei Drittel bezeichneten sich als Weiße, die nur 49 Prozent der Bevölkerung stellen. Kriterium für eine derartige Einordnung, die bei Quoten für Studienplätze oder seit kurzem auch bei Ausschreibungen im öffentlichen Dienst zugrunde gelegt wird, ist in Brasilien die Selbsteinschätzung.
„Undankbare“ Elite
Es ist also (fast) nur die Elite Brasiliens, die die schicken Fifa-Stadien besucht. Jene Elite, die schon immer den Ex-Präsidenten Lula für die Rückständigkeit des Landes verantwortlich gemacht hat, die die Presse kontrolliert und deren Hass auf die neuen Machthaber*innen nach zwölf Jahren stetig größer wird. Das war seit langem abzusehen, wegen der hohen Eintrittspreise und der Fifa-Philosophie, die den Fußball zu einem Kommerzspektakel macht. Doch die Regierung ließ die Fifa gewähren und unterschrieb entsprechende Gesetze, die dem WM-Gastgeber jede Einflussmöglichkeit nahmen.
Wie undankbar diese Elite ist, müsste Rousseff eigentlich wissen. Seit Jahren verzeichnen Banken Rekordgewinne, die Reichen werden immer reicher, das Presse-Oligopol und das Eigentum von Großgrundbesitzer*innen werden nicht angetastet. Aber die Privilegierten stört, dass es jetzt mehr Einkommen für Arme gibt und auch Sozialprogramme, die gerne als „Wahlkampfgeschenke“ verunglimpft werden.
Große Parkplätze und integriertes Shoppingcenter
Die „Elitisierung der Stadien“ war von Beginn an eines der wichtigsten Anliegen der WM-KritikerInnen: Es gibt keine Stehplätze mehr, die in Jahrzehnten gewachsene Fankultur wird durch die Umstrukturierung der Stadien ausgegrenzt. Kein gemeinsames Feiern mehr vor, während und nach dem Spiel. Statt dessen große Parkplätze und – wie beim Maracanã geplant – ein integriertes Shoppingcenter mit Flaniermeile.
Das Maracanã ist bereits privatisiert, den anderen zwölf WM-Stadien droht das gleiche Schicksal, obwohl die Investitionen von über drei Milliarden Euro fast ausschließlich aus öffentlichen Mitteln kamen. Gewinnmaximierung ist jetzt die Devise, nicht mehr volle Stadien oder der Spaß am Fußballgucken.
Gewinnmaximierung: Fußballtempel für Reiche und Weiße von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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