Zwischen grünem Gold und vertrockneten Flüssen

Holztransporter in Suzano
Foto: Niklas Franzen

(Berlin, 27. Januar 2025, npla).- Der Boom der Zellstoffindustrie in Südwesten Brasiliens verspricht wirtschaftlichen Aufschwung, doch für viele Menschen wird das Leben immer schwieriger. Die Region droht, zur „grünen Wüste“ zu werden.

Der Badefluss – ein schmales Rinnsal

Antônio Gilberto Lima nimmt die Hand von der Gangschaltung, zeigt aus dem Fenster des klapprigen Chevrolet. „Hier verläuft die Grenze. Hier beginnen die Eukalyptus-Plantagen.“ Wie eine Schutzmauer erstecken sich Bäume zu beiden Seiten. Dahinter beginnt das Land multinationaler Konzerne, die dort riesige Eukalyptusplantagen angelegt haben. Aus den Bäumen wird Zellstoff gewonnen und an Papierfabriken in die ganze Welt exportiert. Brasilien ist inzwischen auch für Deutschland der wichtigste Zellstofflieferant. „Wir sind umzingelt“, sagt Lima, 63 Jahre alt, ein hagerer Mann mit sonnengegerbter Haut. Mit im Auto sitzt seine Frau, Ana Claudia Gregório Braguin, 51 Jahre alt. Gemeinsam bewirtschaften sie einen kleinen Hof in Mato Grosso do Sul im Südwesten Brasiliens. Die Fahrt geht weiter bus zu einer Brücke. Braguin lehnt sich über das Geländer und zeigt nach unten. „Dieser Fluss war sehr breit. Früher haben wir hier gebadet.“ Unten schlängelt sich nur noch ein schmaler Rinnsal dahin, kaum noch als Bach erkennbar. Viele Menschen in der Region leben von dem, was die Natur ihnen gibt. Doch das wird immer schwieriger. Denn auch in diesem Sommer hat es kaum geregnet, die Böden sind ausgetrocknet, Ernten vertrocknen. Für Braguin ist der Schuldige klar: die Plantagen.

Zellstoffprodukte bisher kaum im Fokus

Brasilien ist der zweitgrößte Eukalyptusproduzent der Welt. Ein Großteil der Ernte wird zu Zellstoff verarbeitet, der vor allem in der Papierproduktion zum Einsatz kommt. Der größte Zellstoffkonzern der Welt heißt Suzano mit Sitz in São Paulo wird von einer der reichsten Familien Brasiliens kontrolliert, den Feffers. Während in Europa mittlerweile eine Debatte über importierte Agrarprodukte wie Rindfleisch und Soja aus Lateinamerika geführt wird, stehen Zellstoffexporte bislang kaum im Fokus. Dabei ist auch Papier aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Der Verbrauch steigt stetig an, insbesondere durch den boomenden Onlinehandel. Laut der Umweltschutzorganisation Robin Wood stammen nicht einmal 20 Prozent des Zellstoffs für heimisches Papier aus deutschen Wäldern, große Mengen kommen aus Skandinavien. In den letzten Jahren sind die Importmengen aus Südamerika rasant gestiegen, insbesondere aus Brasilien. Durch die klimatischen Bedingungen sind die Bäume dort schneller hiebreif, die Arbeitskosten sind erheblich niedriger, und es gibt mildere Umweltauflagen, wie zum Beispiel weniger effektive Waldschutzgesetze. Auf Anfrage erklärt das Statistische Bundesamt, dass Deutschland allein im Jahr 2023 Zellstoff im Wert von 583 Millionen Euro aus Brasilien importiert hat. Bisher genießt die Papierindustrie ein positives Image. Industrielle Baumplantagen werden vielerorts als nachhaltig und umweltfreundlich angepriesen. Der Zellstoffriese Suzano erklärt in einem Imagevideo: „Wir glauben, dass es nur dann gut für uns ist, wenn es auch gut für die Welt ist.“ Der Konzern betont zudem, auf Zertifizierungssysteme zu setzen, die nachhaltige Forstwirtschaften kennzeichnen. 2023 gewann Suzano einen Preis im Rahmen des „Sustainable Company Award“ der britischen Organisation Environmental Finance. Was außerhalb Lateinamerikas nur selten Erwähnung findet: In Brasilien steht der Konzern in Verdacht, durch industrielle Baumplantagen die Böden auszutrocknen, den Lebensraum von Tieren zu zerstören und Menschenrechte zu verletzen.

Der „grüne Goldrausch“ wird überwiegend positiv wahrgenommen

In kaum einer Region ist der Vormarsch der Industrie so deutlich zu beobachten wie rund um Três Lagoas, der Heimat von Lima und Braguin. Die Stadt liegt im Bundesstaat Mato Grosso do Sul, im sogenannten Cerrado. Três Lagoas, einst eine verschlafene Kleinstadt, bezeichnet sich mittlerweile selbst als „Welthauptstadt des Zellstoffs“. In Country-Liedern wird der „grüne Goldrausch“ besungen. Fast alle Bewohner*innen äußern sich positiv über die Zellstoff-Industrie. Sie habe Arbeitsplätze geschaffen, die Infrastruktur verbessert und die lokale Wirtschaft angekurbelt. In Três Lagoas gibt es nur wenige Menschen, die öffentlich Kritik äußern. Eine davon ist Marine Dubos-Raoul, gebürtige Französin und Geographie-Professorin an der Bundesuniversität von Mato Grosso do Sul. Oft ist sie in der Region unterwegs, um Interviews mit Betroffenen zu führen. Zusammen mit drei Studierenden fahren wir an diesem Vormittag mit dem Auto aus der Stadt heraus. Nach nur wenigen Minuten geht es durch Baumschluchten. „In Zeiten der Klimakrise könnte man meinen, dass neu gepflanzte Bäume etwas positives sind. Doch diese Art von Plantagen hat schwerwiegende negative Auswirkungen auf die Umwelt.“

Die Eukalyptuspflanzungen trocknen den Boden aus

Eukalyptus, ursprünglich nicht in Brasilien beheimatet, wächst zwar schnell, benötigt jedoch enorme Wassermengen – zwischen 30 und 60 Liter pro Tag. Dies erhöhe auch die Waldbrandgefahr: In der ehemals wasserreichen Savannenlandschaft nehmen Brände zu. „Die Unternehmen behaupten, dass ihre Plantagen keine Auswirkungen aus den Wasserverbrauch haben. Aber viele ländliche Gemeinschaften berichten, dass die Flüsse austrocknen.“ Auf Nachfrage erklärte Suzano, das Wassermanagement werde von einem spezialisierten Team sorgfältig überwacht. Das Unternehmen verpflichtete sich, die Wasserverfügbarkeit in kritischen Gebieten zu verbessern. Der Wasserverbrauch soll bis 2030 um 15 Prozent pro Tonne Zellstoff gesenkt werden. Zudem teilte der Konzern mit, erhebliche finanzielle Mittel und technische Expertise in die Brandbekämpfung investiert zu haben.

Lima und Braguin leben am Rande der Bundesstraße. Ein Haus, 13 Hektar Feld, neun Kühe. Lima erinnert sich noch gut daran, wie die ersten Zellstofffirmen in die Region kamen. Er selbst arbeitete einst bei einem Vorläufer von Suzano. „Sie haben alles zerstört. Die Farmen machen Profit und die Natur verschwindet.“ Lima geht in den Garten. Dort pflanzen sie Gemüse an, zwischen den Beeten stehen Obstbäume, Hühner gackern in einem Holzstall. Es ist eine kleine Oase mitten im Meer aus Eukalyptus. Es werde immer schwieriger, hier etwas anzupflanzen, meint Lima. Seine drei Söhne sind längst in die Stadt gezogen. Eigentlich möchten er und seine Frau hier bleiben, auf ihrem Land. Doch wie lange das noch möglich ist, wissen sie nicht. Denn die Eukalyptus-Plantagen breiten sich immer weiter aus. „Wenn sich die Plantagen weiter ausbreiten, wird nichts überleben. Die Region wird sich in eine Wüste verwandeln – in eine grüne Wüste.“

Einen spannenden Audiobeitrag zu diesem Thema findest du hier.

CC BY-SA 4.0 Zwischen grünem Gold und vertrockneten Flüssen von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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