Von Wolf-Dieter Vogel
(Mexiko-Stadt, 11. Juni 2017, taz).- Was bleibt, ist ein gemeinsames Bier. Ein „duales Bier“, hergestellt von sechs Braumeistern. Drei Mexikanern, drei Deutschen. Denn Bier, so steht es auf der Flasche, ist immer Gesprächsthema zwischen Menschen der beiden Nationalitäten. Für Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto bietet die Hopfenfusion einen guten Anlass, um mit Kanzlerin Angela Merkel auf ein erfolgreiches Projekt anzustoßen: auf das „Año Dual“, das „Duale Jahr“, ein kulturelles Austauschprogramm mit zahlreichen Konzerten, Filmaufführungen und weiteren Events, das die beiden an diesem Abend offiziell beenden.
Also wird beim Abendessen im Nationalpalast von Mexiko-Stadt nicht Wein, wie sonst bei Staatsbesuchen üblich, sondern ebendieses binational gebraute Bier ausgeschenkt. Es soll eine großartige gemeinsame Zukunft der beiden Staaten symbolisieren, eine Zukunft, die mit dem Mexiko-Besuch Merkels am Wochenende und dem Dualen Jahr besiegelt zu sein scheint.
Drei Stunden zuvor war die Kanzlerin aus Argentinien gekommen. In der sogenannten Schatzkammer des Regierungspalastes ist an diesem Abend eine illustre Gesellschaft geladen, um mit Angela Merkel anzustoßen. Zahlreiche hochrangige Politiker*innen sitzen mit an den Tischen des Saals: der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Gouverneure, mexikanische Unternehmer*innen. Da Journalist*innen dem Dinner nur für kurze Zeit als Zaungäste beiwohnen dürfen, lässt sich nicht recherchieren, welche Landeschef*innen vertreten sind. Viele aus der alten Garde sind Peña Nieto ja nicht geblieben.
Gegen die meisten der 19 PRI-Gouverneure, mit denen er sich nach seinem Wahlsieg 2012 freudestrahlend fotografieren ließ, laufen strafrechtliche Ermittlungen. Manche sitzen auch inzwischen im Gefängnis, weil sie auf der Gehaltsliste der Mafia standen, illegal Grundstücke verschacherten oder in die Ermordung von Journalist*innen involviert waren.
Kanzlerin kann das Wort „Menschenrechte“ immerhin aussprechen
In ihrem blauen Blazer markiert Merkel den einzigen Farbtupfer in dieser dunkel gekleideten Gemeinschaft. Sie freue sich über den „warmherzigen Empfang“ in dem kolonialen Gebäude, das auch Diego Riveras weltberühmte Wandmalerei über die Geschichte der Klassenkämpfe beherbergt. Die Kanzlerin, eher beunruhigt über die organisierte Kriminalität, will Peña Nieto im Kampf gegen die allmächtige Drogenmafia und die Korruption beistehen.
„Wir haben darüber gesprochen, dass, wo immer Deutschland helfen kann, wir dies tun wollen“, berichtet sie vom Gespräch mit ihrem mexikanischen Amtskollegen. Auch der Begriff „Menschenrechte“ fällt einmal, so als müsse er fallen in einem Land, in dem ständig Menschen verschwinden oder ermordet und gefoltert werden. Einem Land, dessen Regierung nie den ernsthaften Willen gezeigt hat, diese Verbrechen aufzuklären.
Das haben ihr Menschenrechtsaktivist*innen in einem Brief und bei einem inoffiziellen Treffen berichtet. Doch im Nationalpalast gilt es, die Erfolge des Dualen Jahres zu betonen: 1.500 Veranstaltungen, 150 Ausstellungen und 94 Konzerte. Das „Año Dual“ sollte Mexikaner*innen und Deutsche in der Bildung, Wissenschaft und Kultur zusammenbringen.
Berghain-DJs in einem mexikanischen Club
Und so legten Berghain-DJs in einem mexikanischen Club auf, der Berliner Gropius-Bau stellte die Schätze der Mayas aus, das Zeitgenössische Museum in Monterrey zeigte die Werke von Otto Dix, und auf einer Industriemesse in Mexiko-Stadt beschrieb die Max-Planck-Gesellschaft mit einem „Science-Tunnel“ die Megatrends der Wissenschaft. Und das mit Erfolg: 3,5 Millionen Menschen in über 40 Städten besuchten die Veranstaltungen. „Ich bin davon überzeugt, dass dies kein Ende, sondern der Start für eine sehr viel intensivere Beziehung zwischen den beiden Ländern ist“, resümiert die Kanzlerin.
Vier U-Bahn-Stationen entfernt findet das Duale Jahr zum gleichen Zeitpunkt einen ganz anderen Abschluss. Zehntausende Jugendliche tanzen auf einem kostenlosen Rave vor dem Revolutionsdenkmal. Trotz des Regens und trotz des im wörtlichen Sinne atemberaubenden Gedränges sind sie gekommen, um an der vom Goethe-Institut organisierten Party teilzunehmen.
Auch hier findet eine Fusion statt: Das Nortec-Kollektiv aus Tijuana liefert, begleitet von dem Ex-Kraftwerk-Schlagzeuger Wolfgang Flür, eine fulminante Mischung aus Techno, Polka und mexikanischem Norteño. Vorher haben bereits der Cumbia-Musiker Celso Piña und das Münchner Elektronik-Duo Schlachthofbronx für Stimmung gesorgt.
Chemie-Cocktail bei BASF
Es ist das letzte Konzert der so genannten PopUp-Tour, die von großen deutschen Investoren unterstützt wird. Das Event liefert mehr als nur Musik. Am Volkswagen-Stand schauen sich Jugendliche im 3-D-Format das VW-Werk in Puebla an, bei BASF dürfen sie mit ein paar chemischen Substanzen Shampoo mischen und bei Mercedes-Benz steht eine Stellwand, an der man sich vor der deutschen Fußball-Nationalelf fotografieren lassen kann. Samt Daimler-Stern.
„Mit der PopUp-Tour waren wir jeweils fünf Tage in fünf Städten unterwegs“, erklärt eine Mexikanerin, die perfekt Deutsch spricht. Es waren die Städte, in denen deutsche Autobauer Werke betreiben oder eröffnen werden. Die junge Frau sammelt Adressen für eine Mailing-Liste. „Dann werden sie immer über die Entwicklung des Mercedes-Werkes in Aguacalientes auf dem Laufenden gehalten.“
Auch die Kanzlerin schaut am nächsten Morgen bei der PopUp-Tour vorbei. Nur kurz, für die Photo-op mit jungen Leuten. Dann muss sie weiter, zum Treffen mit Wirtschaftsvertreter*innen. Nein, wir brauchen keine Mauern, und ja, wir verteidigen den Freihandel – Angela Merkel deutet zum Abschluss ihrer Lateinamerika-Reise noch mal diplomatisch an, dass man beim G-20-Gipfel im Juli gegen den US-Präsidenten Donald Trump zusammenstehen müsse. Und Peña Nieto beruhigt mit Blick auf die Neuverhandlung des Freihandelsvertrags mit den USA und Kanada: „Wir werden die Investoren schützen, die auf Mexiko gesetzt haben.“
Siemens-Topmanager Joe Kaeser unterschreibt – auch für die Kamera – drei Kooperationsverträge für öffentliche Aufträge. Die Kanzlerin, heute in knalligem Rot, freut sich, Mexiko als Gastland der kommenden Hannover-Messe begrüßen zu dürfen. Dann drängt die Zeit. Um 13 Uhr steht der Airbus A 340 der Luftwaffe zum Rückflug nach Berlin bereit.
In der überfüllten U-Bahn auf dem Weg in den Süden von Mexiko-Stadt kämpft sich kurz darauf ein von Armut gezeichneter Mann mit einem Stock durch den Waggon und bettelt um ein paar Pesos. Sein schwarzes T-Shirt zeigt eine deutsche Fahne und die Aufschrift „Alemania“. Was er wohl über Deutschland weiß?
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