von Ramiro Escobar
(Lima, 30. September 2010, noticias aliadas).- „Von hier an würden wir uns unter Wasser befinden“, sagt Aldo Santos, während der Wagen auf der südlichen transozeanischen Landstraße das Dorf San Gabán in der Provinz Carabaya hinter sich lässt. Santos ist Mitarbeiter des nicht-staatlichen Bildungsdienstes für die Landbevölkerung SER (Servicios Educativos Rurales), der Projektarbeit in in der südlichen Andenregion Puno leistet.
Während die Landstraße, die die brasilianische Provinz Acre mit den Häfen im Süden Perus verbindet, streckenweise durch die neue Asphaltierung geradezu glänzt, ist sie anderorts kaum mehr als ein befestigter Weg. An ihren Enden arbeitet schweres Gerät auf Hochtouren.
Stausee von 410 Quadratkilometern geplant
Die überflutete Landschaft, die Santos für die Zukunft ausmalt, wäre das Ergebnis der Konstruktion des Wasserkraftwerks von Inambari. Das Projekt würde einen Stausee von 410 Quadratkilometern rund um den Fluss desselben Namens schaffen. Der große Staudamm soll an dem Dreieck der Bundesstaaten Cusco, Puno und Madre de Dios erbaut werden und eine Leistung von 2.000 Megawatt haben. 75 Prozent dieses Stroms sollen im Rahmen des im vergangenen Juni unterzeichneten peruanisch-brasilianischen Energieabkommens nach Brasilien exportiert werden. Der Vertrag sieht die Konstruktion von mindestens sechs Wasserkraftwerken in Peru vor, die mindestens 30 Jahre lang von brasilianischen Energieunternehmen betrieben werden sollen. Nach den Bestimmungen des Abkommens soll der peruanische Staat die überschüssige Energie nach Brasilien verkaufen.
Die Investition in das Wasserkraftwerk von Inambari umfasst etwa vier Milliarden US-Dollar und einen lautstarken sozialen Konflikt. Puerto Manoa in der Provinz Carabaya ist eins der mehr als 50 Dörfer, die durch den Stausee überflutet werden würden. Víctor Alarcón, der Präsident der bäuerlichen Selbstorganisation Ronda Campesina, klingt entschlossen: „Wir werden unser Dorf mit unserem Leben verteidigen. Hier leben und arbeiten wir“.
Gefährdung des Nationalparks Bahuaja-Sonene
Der Megastaudamm würde 46.000 Hektar Land überfluten, zur Umsiedlung von mehr als 15.000 Personen führen, und darüber hinaus über 100 Kilometer der bereits erwähnten transozeanischen Landstrasse unter Wasser setzen. Unglaublicherweise gehen die Arbeiten an der Landstraße weiter, als ob nichts wäre.
Unterm Strich würde der Staudamm das gesamte Ökosystem des unter Naturschutz stehenden Nationalparks Bahuaja-Sonene verändern. Der Nationalpark ist für seine sehr hohe Biodiversität weltbekannt und wird von der National Geographic Society als eines der wichtigsten Naturdenkmäler der Welt eingestuft. Die Auswirkungen der Wasserkraft erscheinen damit als klar unverhältnismäßig.
Organisationen wie die Gesellschaft für Bürgerliche Arbeit (Asociación Civil Labor) und die Umweltorganisation ProNaturaleza haben aufgezeigt, dass die Bedingungen des Vertrags zwischen Brasilien und Peru über die Konstruktion des Staudamms ungleich seien, da Peru „den Großteil der Kosten, der Risiken und wirtschaftlichen Unsicherheiten übernehmen würde, ohne klar an den Vorteilen beteiligt zu sein. Darüber hinaus läuft das Land Gefahr, Ressourcen des nationalen Naturerbes an ausländische Investoren zu veräußern“.
Zone bereits ökologisch belastet
Die brasilianisch finanzierte Gesellschaft für Stromerzeugung im südlichen Amazonasgebiet EGASUR, der die Aufsicht über die Konzession obliegt, verteidigt das Projekt mit dem Argument, dass die vom Staudamm betroffene Zone ohnehin bereits ökologisch belastet sei. Es ist wahr, dass es sich nicht um ein unberührtes Gebiet handelt, und seine Bewohner*innen sind auch keine Amazonas-Indígenas. Tatsächlich sind sie, wie Santos erklärt, vor allem Migrant*innen aus den Hochlandgebieten der Region Puno, die auf der Suche nach kultivierbarem Land in die niedrig gelegenen Gebiete gezogen sind. Sie leben jetzt seit etwa 50 Jahren dort und pflanzen hauptsächlich Kakao, Ananas, Bananen und Maniok an. In kleinerem Maße betreiben sie Fischfang und bauen handwerklich Gold im Flussbett des Inambari-Flusses ab.
Man kann also nicht sagen, dass es eine ursprüngliche Gegend ist. Allerdings haben SER und andere Organisationen aufgezeigt, dass das Megaprojekt schwere Auswirkungen auf eine ökologisch bereits angegriffene Region haben wird. Eine Reihe sozialer und ökologischer Gründe lassen eine Kettenreaktion befürchten.
Umsiedlung ungeklärt
Um nur eines der Risiken zu erwähnen: Nahe dem geplanten Ufer des Stausees, im Huaypetue-Gebiet in Madre de Dios, befindet sich Mazuko, einer der am stärksten ausgeplünderten Orte im peruanischen Amazonasgebiet, vor allem wegen des illegalen Goldabbaus. Es ist nicht ausgeschlossen, dass manche der wegen des Staudamms umgesiedelten Bewohner*innen anfangen werden, dieser schädlichen und illegalen Tätigkeit nachzugehen.
„Man hat uns nicht gut erklärt, was wir machen sollen, wenn wir weggehen“, erklärt Olga Cutida, Präsidentin des Komitees für den Kampf um Inambari. EGASUR habe den Bewohner*innen ein neues, bequemes Haus in den Nachbarregion Cusco angeboten, aber es sei nicht klar, welche Arbeit sie nach dem Umzug dort annehmen sollten.
Nach Angaben von EGASUR sollen die umzusiedelnden Menschen Arbeit bei der Konstruktion des Staudamms finden, für dessen Bau etwa vier oder fünf Jahre lang rund 4.000 Personen benötigt werden. Weiterhin würde das Megaprojekt eine wirtschaftliche Dynamik entwickeln und somit den Handel begünstigen. Dies sehen einige kleine Unternehmen aus Mazuko mit Interesse.
Staudamm überschwemmt neu gebaute Straße
Gleichwohl ist die hier aufgemachte Gleichung letztlich sehr gewagt, wie die Expert*innen von SER und anderen Organisationen argumentieren: noch mehr Schäden an einem bereits beschädigten Ökosystem, noch mehr Umsiedlungen, erhöhte illegale Aktivitäten, sowie Auswirkungen auf die ohnehin geringe Artenvielfalt in den Flüssen. Hinzu kommt die Verschwendung, die die Überschwemmung der transozeanischen Landstraße bedeuten würde: die mühsame Arbeit des Öffnens und Asphaltierens der Straße müsste andernorts wiederholt werden. Und als ob das noch nicht genug wäre, könnte die Verlegung der Straße einen politischen Konflikt zwischen den Regionen Puno, in der diese Straße bereits existiert, und Cusco, wohin die Straße verlegt werden würde, hervorrufen.
Puerto Manoa scheint das Epizentrum des Widerstands zu sein. Hier ballt sich die Opposition gegen das Projekt, erkenntlich an Plakaten, auf denen „Nein zum Inambari-Staudamm“ steht. In den meisten der Dörfern, die durch den Staudamm geflutet werden würden, ist die Situation ähnlich. Anders ist es in den Dörfern, die außerhalb des geplanten Staudamms liegen. Hier sind die Meinungen gespalten und EGASUR hat zu handeln begonnen.
EGASUR läuft die Zeit davon
Die Firma muss die Zustimmung der peruanischen Gesellschaft erreichen, bevor ihre zeitlich beschränkte Konzession Ende dieses Jahres ausläuft. Dafür muss sie Informationsveranstaltungen in den betroffenen Gebieten abhalten. Dies ist ausgeschlossen in den Dörfern, in denen der mögliche Staudammbau völlig inakzeptabel ist. Die EGASUR-Vertreter*innen werden einfach nicht vorgelassen.
Während die Spannungen in dem Gebiet ansteigen, argumentieren die Befürworter*innen des Wasserkraftwerks, dass das Projekt aus einem Grund vorangetrieben werden muss: es würde die Beziehungen zu Brasilien verbessern, an das der Großteil der in Inambari erzeugten Energie gehen würde.
Der Grund dafür, dass die aufstrebende Macht Brasilien die Energie benötigt, ist genau in dem im letzten Jahr veröffentlichten Buch „Das peruanische Amazonien im Jahr 2021“ von Marc Dourojeanni, Alberto Barandiarán und Diego Dourojeanni beschrieben worden. Laut dem Bericht existiert ein „wachsender ungedeckter Bedarf [an Energie] dieses stark industrialisierten Landes mit 200 Millionen Einwohner*innen, das bereits seine technischen und ökologischen Möglichkeiten ausgereizt hat“.
Für den Anwalt Mariano Castro der Peruanischen Gesellschaft für Umweltrecht SPDA ist die nicht erfolgte Rücksprache mit der Bevölkerung und die Geschwindigkeit, mit dem der Energievertrag unterzeichnet und das Inambari-Projekt vorangetrieben wurde, unangemessen. In ihrer Eile übersehen die Akteure die Zeitbombe, die am Ort des Geschehens tickt.
Foto: Der Bahuaja-Sonene-Nationalpark (Bildquelle: lepido-france)
Der Staudamm von Inambari: Eine tickende Zeitbombe von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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