von IHU – Instituto Humanitas Unisinos
(Fortaleza, 07. Mai 2013, adital).- Ein Interview mit dem Meeresbiologen Ronaldo Francini Filho, Professor für Ökologie an der Universidade Federal da Paraíba (UFPB) in João Pessoa.
Worum geht es bei dem Vorschlag für ein Meeres-Gesetz? Wie beurteilen Sie die Initiative einer Gesetzgebung zum Schutz der brasilianischen Meeresgebiete?
Es gibt bereits Gesetzgebungen für den Schutz einiger brasilianischer Ökosysteme, zum Beispiel der Mata Atlântica (atlantischer Regenwald). Das Meeres-Gesetz weist den gleichen Zuschnitt auf wie die Gesetze, die zum Schutz anderer Ökosysteme geschaffen wurden. Dieses Gesetz wird derzeit von verschiedenen Akteuren diskutiert, die ein Interesse am Ökosystem Meer haben. Eine Verabschiedung so früh wie möglich ist erforderlich angesichts des fortschreitenden Verfalls dieses Ökosystems.
Welche Bedeutung haben die Ozeane aus ökologischer Sicht?
Die Ozeane erzeugen zum Beispiel die Luft, die wir atmen und die Fische, die wir essen. Außerdem werden Medikamente hergestellt, auf Grundlage einer Reihe von Meeresorganismen wie Schwämmen und Korallen. In den Meeresorganismen wiederum gibt es ein mikrobiologisches Universum, das noch erforscht wird, um den Nutzen herauszufinden, den dieses für die Behandlung verschiedener Krankheiten haben könnte. Der Verlust dieser Biodiversität bedeutet also auch den Verlust eines großen pharmazeutischen Potenzials.
Was hat es mit dem Begriff „Amazônia Azul“ („Blaues Amazonasgebiet“) auf sich?
Den Begriff “Amazônia Azul” hat Brasiliens Marine geprägt. Aus strategischer Perspektive soll er auf die Größe des Ökosystems Meer aufmerksam machen, das sich entlang der 8.000 Kilometer Küstenlinie Brasiliens erstreckt. Es handelt sich also auch um ein unter ökonomischen Gesichtspunkten riesiges Gebiet, das sogar noch größer ist als das „Grüne Amazonasgebiet“ („Amazônia Verde“).
Wie viel Prozent der brasilianischen Meeresgebiete stehen denn unter Schutz?
Derzeit sind es weniger als fünf Prozent. Und von diesen wiederum sind einige nur dem Namen nach Schutzgebiete. Das gilt zum Beispiel für die Umweltschutzgebiete APAs (Áreas de Proteção Ambiental), die von brasilianischen Bundesstaaten in den 1980er Jahren geschaffen wurden. Genehmigungen sollten vom einzelnen Bundesstaat, nicht mehr von der Bundesregierung in Brasília, erteilt werden können. Dies bedeutete zugleich, dass die Regierungen der Bundesstaaten mit Unternehmen verhandeln konnten, die die Rohstoffe der Küstengebiete ausbeuten wollten. Der Großteil der APAs verfügt weder über ein Management noch über eine wie auch immer geartete Kontrolle.
Daneben gibt es noch die vollständig geschützten Gebiete, in denen der Fischfang und jede andere Form der Ausbeutung verboten ist. Diese machen allerdings lediglich weniger als ein Prozent des brasilianischen Küstengebietes aus. Erinnert sei daran, dass Brasilien der erste Staat war, der die Biodiversitäts-Konvention der Vereinten Nationen unterzeichnete (diese wurde 1992 in Rio de Janeiro ausgehandelt). Die Verpflichtung lautete, bis zum Jahr 2012 für einen Anteil von 20 Prozent an Schutzgebieten zu sorgen. Hiervon ist Brasilien weit entfernt, während andere Länder die Ziele umgesetzt haben.
Woran liegt es, dass in Brasilien der Prozentsatz der Schutzgebiete so niedrig ist?
In einem Land wie zum Beispiel Australien sieht die Vorgehensweise anders aus. Der Prozess beinhaltet die Kommunikation aller beteiligten Akteure. Zu diesen zählen der Tourismussektor ebenso wie die Fischer und die Marine. Es handelt sich um einen relativ langsam ablaufenden Prozess. Grundvoraussetzung aber ist der politische Wille.
Nie war es schwieriger als derzeit, ein Schutzgebiet zu schaffen, vor allem ein Meeresschutzgebiet. Unglücklicherweise wird Umweltschutz als Entwicklungshindernis angesehen. Dieses Paradigma gilt es zu ändern. Die Gesellschaft muss sich entsprechend organisieren. Der Schutz von Meeresgebieten ist für Tausende von Menschen wichtig, die davon abhängig sind.
Haben die Erkundungen von Ölfeldern vor der brasilianischen Küste eine große Auswirkung auf das Meer?
Ja, ohne Zweifel. Ökonomische Aktivitäten im großen Stil begünstigen außerdem in der Regel nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. Innerhalb der brasilianischen Regierung gibt es Opposition gegen die Schaffung neuer Schutzgebiete und gegen den Erhalt bereits bestehender. Nachhaltigkeit und Schutz des Meeres spielen in den Überlegungen keine Rolle. Wir müssen aber einen Mittelweg finden zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz, sonst endet Brasilien noch wie China.
Das „blaue Amazonasgebiet“ muss geschützt werden von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar