Widerstand gegen Bolsonaro

(Berlin, 5. Juli 2021, taz).- Die Geduld vieler Brasilianer*innen ist am Ende: Am Wochenende gingen Zehntausende gegen die Regierung auf die Straße. Etliche hatten Fotos von Verwandten dabei, die an Covid-19 verstorben waren. Viele machen die Regierung von Präsident Jair Bolsonaro für die mehr als 520.000 Coronatoten verantwortlich – und die Pandemie hat das Land weiterhin fest im Griff. Pünktlich zu den Protesten kam außerdem heraus, dass tausenden Brasilianer*innen abgelaufene AstraZeneca-Impfdosen gespritzt wurden.

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss untersucht seit zwei Monaten den Umgang der Regierung mit der Pandemie. Vor einigen Tagen machte die Kommission brisante Vorwürfe öffentlich: Bolsonaro habe von mutmaßlicher Korruption im Zusammenhang mit einem Vertrag über den indischen Covaxin-Impfstoff gewusst und nicht eingegriffen.

„Das Versprechen, die Korruption zu beenden, war der wichtigste Grund für Bolsonaros Wahlsieg im Jahr 2018. Deshalb wird ihm der Skandal definitiv schaden“, sagt Thomas Traumann, politischer Analyst und ehemaliger Kommunikationsminister, der taz. Der Oberste Gerichtshof hat Ermittlungen gegen Bolsonaro eingeleitet.

Die brasilianische Opposition hat derweil alle 120 Amtsenthebungsanträge gegen Bolsonaro gebündelt und am 30. Juni einen „Superantrag“ eingereicht. Interessant ist: Neben linken Politiker*innen zählen auch rechte Abgeordnete und ehemalige Bolsonaro-Verbündete zu den Unterzeichner*innen. Dem Präsidenten werden schwere Vergehen im Umgang mit der Pandemie vorgeworfen, die eine Amtsenthebung rechtfertigen könnten.

Polarisierte Gesellschaft

Doch es ist unwahrscheinlich, dass es so weit kommt. Über die Aufnahme des Verfahrens entscheidet der Präsident des Abgeordnetenhauses, ein Verbündeter Bolsonaros. Und im Parlament genießt der Rechtsradikale bisher noch die Unterstützung des centrão, des einflussreichen Mitte-Rechts-Blocks.

Die Linke wirkte lange Zeit wie paralysiert und hatte der Regierung nur wenig entgegenzusetzen. Das lag auch daran, dass aufgrund der dramatischen Infektionszahlen Proteste nicht möglich waren. Nun scheint der Widerstand gegen Bolsonaro in Fahrt zu kommen. In den letzten Wochen gingen wiederholt Zehntausende auf die Straße. Auch viele Konservative haben sich aufgrund der Coronapolitik von Bolsonaro abgewendet. Hitzig diskutieren Linke darüber, ob man gemeinsam mit konservativen und rechten Bolsonaro-Gegner*innen demonstrieren sollte.

Am Wochenende waren vor allem Linke auf der Straße. Nur in São Paulo waren auch einige Konservative anwesend, es kam zu vereinzelten Rangeleien. Die Gräben sind tief und die Gesellschaft extrem polarisiert. So ist es unwahrscheinlich, dass es gelingen wird, eine breite Protestallianz gegen Bolsonaro zu schmieden.

Bolsonaros Umfragewerte im Keller

Dieser durchlebt derzeit die schwerste Krise seit seinem Amtsantritt am 1. Januar 2019. Die sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise machen sich immer mehr im Alltag bemerkbar, die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordniveau. Durch den ausgebliebenen Regen droht vielen Regionen zudem eine schwere Energiekrise, es könnte schon bald zu Stromrationierungen kommen.

Auch die spontane Ausrichtung des Fußballturniers Copa América ging für Bolsonaro nach hinten los und wird von der Mehrheit der Brasilianer*innen kritisch betrachtet. Die Zustimmungswerte für den ultrarechten Präsidenten waren zuletzt abgestürzt und in den Umfragen für die Wahl 2022 lag Bolsonaro weit hinter Ex-Präsident Lula da Silva.

Allerdings wird bis zur Wahl im kommenden Jahr noch viel passieren, das Wahlverhalten in Brasilien ist oft unberechenbar und hat viel mit aktuellen Entwicklungen zu tun. „Im kommenden Jahr wird die Wirtschaft wieder wachsen. Außerdem wird es ein neues Sozialprogramm geben, durch das arme Menschen ein bisschen mehr Geld in der Tasche haben werden“, sagt Traumann. „Bolsonaro wird sich schnell erholen können. Deshalb muss mit ihm auf jeden Fall bei der nächsten Wahl gerechnet werden.“

Ähnlich wie sein Idol Donald Trump versucht Bolsonaro permanent Unruhe zu stiften. Zuletzt wetterte er erneut gegen das elektronische Wahlsystem und erklärte, er werde die Wahlergebnisse nicht akzeptieren. Das wird von vielen als Drohung verstanden, sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten. Für Bolsonaro könnte es dann vorteilhaft werden, dass er gezielt seinen Einfluss in der Polizei und im Militär ausgebaut hat. Der Politikexperte Traumann meint: „Der Staatsapparat steht komplett auf seiner Seite und das wird Bolsonaro sicherlich zu nutzen wissen.“

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