Wahlen 2019: Wohin geht der Weg für Bolivien?

(Buenos Aires, 17. Dezember 2018, marcha noticias).- Weniger als ein Jahr vor den geplanten Präsidentschaftswahlen in Bolivien hat das Oberste Wahlgericht TSE (Tribunal Supremo Electoral) entschieden, dass Evo Morales und Álvaro García Linera sich als Kandidaten für diese Wahl aufstellen lassen dürfen. Aussichten und Auswirkungen mit der Feministin Adriana Guzmán.

Am 29. Oktober 2019 werden im Plurinationalen Staat Bolivien Präsidentschaftswahlen stattfinden. Und bereits jetzt wird kontrovers diskutiert: Nachdem im Jahr 2017 das Plurinationale Verfassungsgericht grünes Licht gegeben hatte für die Kandidaturen von Evo Morales und Álvaro García Linera, genehmigte das Oberste Wahlgericht nun am 5. Dezember 2018 mit vier Ja-Stimmen und zwei Gegenstimmen, dass sich die offizielle Doppelspitze der Partei ‚Bewegung zum Sozialismus‘ MAS (Movimiento al Socialismo) zur Wiederwahl stellen darf.

Statt nur zwei Amtszeiten strebt Morales nun eine vierte an

Die Verfassung aus dem Jahr 2009 sagt allerdings in ihrem Artikel 168, dass die Amtszeit des Präsidenten fünf Jahre beträgt und dass der Präsident oder die Präsidentin und der jeweilige Vizepräsident oder die Vizepräsidentin nur einmal unmittelbar im Anschluss an diese Amtszeit wiedergewählt werden dürfen. Um dies zu umgehen, sind der aktuelle Präsident Boliviens und sein Vizepräsident jedoch vor das Oberste Wahlgericht gezogen und haben sich auf Artikel 23 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention bezogen, in dem es um politische Partizipationsrechte geht. Dort wird angeführt, dass alle Bürger*innen das Recht hätten, in regelmäßig stattfindenden Wahlen zu wählen und gewählt zu werden, sofern es sich um allgemeine, gleiche und geheime Wahlen handele, in denen garantiert sei, dass durch freie Meinungsäußerung der Wille der Wähler*innen zum Ausdruck gebracht werden könne. Außerdem müsse jede*r unter gleichberechtigten Bedingungen Zugang zu den öffentlichen Ämtern des Landes haben.

Es wäre die vierte aufeinanderfolgende Amtszeit von Morales. Die dritte wurde ermöglicht mit der Begründung, dass die erste Amtszeit des Präsidenten vor der Verfassungsänderung des Plurinationalen Staates Bolivien im Jahr 2009 gewesen sei.

Morales und Linera sind der Meinung, ihrem politischen Recht auf eine Kandidatur würden Steine in den Weg gelegt. Die Gesamtheit der Gesetzestexte besteht aus Verträgen, Menschenrechtsabkommen sowie der Verfassung. Deshalb denken die Regierungsmitglieder und das Oberste Wahlgericht, dass die Konvention der Organisation Amerikanischer Staaten und der ihr angegliederten Organisationen über der Plurinationalen Verfassung stehe – und, wenn notwendig – Artikel 168 verfassungswidrig sei.

Nichtregierungsorganisationen reichen Klage ein

Die bolivianischen Nichtregierungsorganisationen ‚Stiftung zur Beobachtung von Menschenrechten und Justiz‘ (Fundación Observatorio de Derechos Humanos y Justicia) und ‚Stiftung der Menschenrechte‘ (Fundación de los Derechos Humanos) haben bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte CIDH (Corte Interamericana de Derechos Humanos) Klage eingereicht. Sie argumentierten, dass die Kandidatur antidemokratisch und verfassungswidrig sei. Noch hat sich die Kommission diesbezüglich nicht geäußert, sondern um Zeit gebeten, um die Situation zu analysieren.

Auf internationaler Ebene hat das konservative Forum IDEA (Iniciativa Democrática de España y las Américas) an die Organisation Amerikanischer Staaten und die EU appelliert, präventive Maßnahmen zu ergreifen gegenüber dem, was sie als Bruch der verfassungsmäßigen und demokratischen Ordnung Boliviens bezeichnet. Bei IDEA handelt sich um eine Gruppe, in der sich 37 Ex-Präsident*innen zusammengeschlossen haben, die sich gegen die Regierungen des sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts richten. Dieser Appell wurde unter anderem unterzeichnet von José María Aznar und Felipe Gonzáles aus Spanien, Fernando de la Rúa aus Argentinien, Vicente Fox aus México, Andrés Pastrana und Álvaro Uribe aus Kolumbien y Mireya Moscoso aus Panama.

Es sei daran erinnert, dass am 21. Februar 2016 in Bolivien ein verbindliches Referendum durchgeführt wurde, in dem die Bevölkerung darüber abstimmte, ob Evo und García Linera sich abermals als Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aufstellen lassen durften. Die Bürger*innen lehnten dies knapp ab. Seinerzeit ging man in Bolivien auf die Straße, es gab Streiks und Kundgebungen sowohl dafür als auch dagegen.

Was die Opposition angeht, so ist diese eher heterogen und gruppiert sich um den Ex-Präsidenten und Kandidaten des Parteienbündnisses Comunidad Ciudadana, Carlos Mesa, der laut Umfragen der stärkste Gegner von Morales sein wird.

Adriana Guzmán kritisiert Arroganz der MAS und rechte Opposition

Adriana Guzmán von der feministischen kommunitären Bewegung Boliviens hebt hervor, dass die liberale Demokratie nicht nur die Kandidatur der aktuellen Regierungsmitglieder erlaubt habe, sondern auch die von Carlos Mesa. Mesa war Vizepräsident in der Regierung von Sánchez Lozada im Jahr 2003, als sich der ‚Gas-Krieg‘ zutrug (für den Sánchez Lozada verurteilt worden ist, Mesa jedoch nicht); ebenso wie die Kandidatur von Victor Hugo Cardenas, der wegen Korruption angeklagt ist, und die von Oscar Ortiz, der rassistische Reden hält und Teil der rassistischen Kundegebungen im Jahr 2008 war.

Ein alternativer Weg, die Wiederwahl von Evo Morales zu ermöglichen, wäre nach Meinung der Frauenrechtlerin die Mandatsverteilung gewesen, im Rahmen der Demokratie und einer von der Basis aus erstellten Agenda. Die Basis sehe Evo als den einzigen Kandidaten, denn obwohl zwar eine Verteilung des neoliberalen, patriarchalischen, kapitalistischen Systems nicht aber eine Umwandlung desselben stattgefunden habe, hätten weder die Gesellschaft noch die Organisationen oder Evo selbst neue, mögliche Nachfolger*innen gefördert, die das Land regieren und den Prozess des Wechsels vertiefen könnten.

Zusätzlich zu diesem politischen Szenario kommen noch die Bürgerbewegungen des ’21F‘ (weil das Referendum über eine Wiederwahl an einem 21. Februar stattfand). Diese werden laut Guzmán von der politischen und wirtschaftlichen Rechten finanziert und geführt. Dann gibt es noch die Regierungspartei MAS mit dem gesamten Staatsapparat, die bereit sei, an allen Fronten Wahlkampf zu machen und, so Guzmán, die unsichtbaren sozialen Organisationen, die gespalten auf diese Situation reagieren. Viele dieser Organisationen wollten nicht, dass die Kandidaturen in dieser Form ausgetragen werden, sprich, dass die Möglichkeit neuer Führungspersönlichkeiten ausgeschlossen werde, aber da das Spiel bereits im Gange sei, sähen sie Morales als einzig möglichen Kandidaten.

Mangel an Selbstkritik

Nach Ansicht der Feministin hat diese von der MAS betriebene Durchsetzung ihrer Kandidaten bei den sozialen Organisationen eine symbolische Bedeutung, da Evo sein Wort gebrochen hat, sich nicht zur Wiederwahl zu stellen, wenn das Referendum zu seinen Ungunsten ausfällt. Zum anderen zeigt es, dass er nicht aus den lateinamerikanischen Prozessen gelernt hat, in denen Wahlen mit Kandidat*innen durchgeführt werden, die der Gesellschaft aufgedrängt wurden und nicht aus ihr entstanden sind. Als Beispiele nennt sie Argentinien mit dem ehemaligen Regierungskandidaten Scioli, Venezuela mit Maduro, der die Verfassung geändert habe, und Brasilien. Die sozialen Bewegungen, so Guzmán, seien nicht gegen die Herren, wohl aber gegen den Hochmut und die Art der Durchsetzung der Kandidat*innen.

Unter diesen Voraussetzungen steht ein Wahljahr an, in dem die Regierung zwar die Mittel, nicht aber ausreichende Kraft aus sozialen Organisationen hat, während die Rechte weiterhin rassistische und gewalttätige Plattformen finanziert, folgert Adriana Guzmán. Und aus einer feministischen Perspektive verhielten sich diese Herren wie Menschen, die alles dürften und sich schließlich auch als Kandidaten aufstellen lassen könnten – die aber unfähig zu jeglicher Art von Selbstkritik seien und zu der Möglichkeit, an andere Wege zu denken. Dies, so Guzmán, führe letztendlich zur Zermürbung, Polarisierung und zu sozialer Konfrontation. Es bleibt abzuwarten, wie die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte sich äußert und man muss sehen, wie die gesellschaftliche Reaktion im Wahljahr sein wird.

 

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