(Lima, 6. Juni 2021, ANRed).- José María Arguedas (1911-1968), einer der großen Schriftsteller Lateinamerikas, hat als Dichter, Pädagoge, Anthropologe, Ethnologe, Übersetzer, Journalist und Musiker die peruanische Kultur wesentlich mitgeprägt. Er übertrug in Quechua verfasste Gedichte und Erzählungen ins Spanische und förderte damit die Wahrnehmung und Neubewertung der indigenen Kultur, insbesondere der Musik und des traditionellen peruanischen Tanzes (huayno). Arguedas‘ Romane und Geschichten berichten von seinen Erfahrungen mit der indigenen Welt und der Anden-Kultur. Er verfasste im Laufe seines Lebens mehr als 400 literarische und anthropologische Schriften. In Arguedas‘ Werken wird Realität weniger reflektiert, sondern vielmehr neu interpretiert; die daraus entstehende Sicht ist tonangebend bei seinen Berichten. Bis zu seiner Befassung mit der indigenen Anden-Kultur erfolgte die gesamte Wissensvermittlung im Umfeld der Riten und Zeremonien ausschließlich durch mündliche Überlieferung. Mehr als an der Bewahrung künstlerischer Traditionen war Arguedas jedoch daran gelegen, die gesellschaftliche Ungerechtigkeit zu dokumentieren. Sein Bestreben, die ungerechte Ordnung mit dem Mitteln der Literatur zu unterlaufen, brachte ihm den Beinamen „Held der Kultur“ ein. Neben dem weltbekannten Schriftsteller Cesar Vallejo gilt José María Arguedas als einer der wichtigsten Vertreter der peruanischen Literatur.
Ethnische und kulturelle Konflikte in Peru
Wiederkehrendes Thema im Werk Arguedas‘ ist der Konflikt zwischen den beiden wichtigsten Kulturen in Peru: der Anden-Kultur mit ihren Quechua- und Aymara-Ursprüngen und der westlichen, mit der Kolonisierung ins Land gekommenen Kultur. Die mit diesem Konflikt verbundenen großen Probleme, Schrecken und Hoffnungen stehen im Zentrum seiner Werke. Der besondere Umstand, mit beiden kulturellen Traditionen aufgewachsen zu sein, sowie die ausgeprägte Sensibilität des Autors erlaubten es ihm, wie kein anderer peruanischer Intellektueller die komplexe Realität der Indigenen zu verstehen und auszudrücken, mit der er sich durch und durch identifizierte.
Todas las sangres – die Vision einer gerechten Gesellschaft
Die ungleiche Behandlung von Angehörigen der westlichen Kultur und Indigenen erlebte Arguedas als schmerzliche Erfahrung. Er kämpfte ein Leben lang gegen die Diskriminierung der indigenen Bevölkerung. Sein Beitrag markierte innerhalb der peruanischen Gesellschaft ein „Zuvor“ und ein „Danach“ und beeinflusste das Denken vieler Peruaner*innen und Intellektueller. Die Mutter Erde, die „Mamapacha“ und die Natur spielen in der indigenen Kultur eine zentrale Rolle. Arguedas‘ Arbeit griff viele der ökologischen Fragestellungen auf und galt somit als visionär. 1964 erschien sein Roman „Todas las sangres“ („Alle Völker vereint“), ein erzählerisches Meisterwerk, das ihm nicht allein unter künstlerischem Aspekt viel Beachtung einbrachte. Hier skizziert Arguedas seine wichtigste Wunschvorstellung und Vision für die Zukunft Perus. Er beschreibt die ganze ethnische Vielfalt der peruanischen Bevölkerung und die internen kulturellen und sozialen Konflikte und entwirft das Ideal einer gerechten und integrativen Gesellschaft für das multiethnische und multikulturelle Land.
Pedro Castillo: „Todas las sangres“ als Regierungskonzept
Das Regierungskonzept Pedro Castillos kommt der Vision Arguedas‘ sehr nah. In der Rede „Peru zur Zweihundertjahrfeier – ein Land ohne Korruption“ zum 200. Jahrestags der Unabhängigkeit Perus von der spanischen Krone heißt es: „Unser Land befindet sich heute an einem wesentlichen Scheitelpunkt in seiner Geschichte. Hier entscheidet sich, ob wir einen gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Demokratie, mehr Frieden wagen, der die verschiedenen Stimmen unseres Landes berücksichtigt, insbesondere die Stimmen derjenigen, die in all diesen Jahren unsichtbar gemacht und zum Schweigen gebracht wurden. […] Unsere Vision bündelt die Hoffnung der Völker auf Veränderung und beschreitet einen Weg des schrittweisen, aber tiefgreifenden demokratischen Wandels, basierend auf der Idee von Rechten und Chancen für alle, von Gerechtigkeit und Frieden.“
Die Rückkehr der Fujimori-Diktatur verhindern
„Unser Konzept für den Wandel […] richtet sich an diejenigen, die sich einen Wandel zum Wohle aller Menschen in Peru wünschen […], und wir rufen alle, die sich nach diesem Wandel sehnen, dazu auf, ihn gemeinsam zu gestalten. Zum 200-jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit verdient unser Land eine Regierung, die die langersehnten Veränderungen in die Praxis umsetzt, eine Regierung des Volkes und für das Volk. […] Es ist höchste Zeit, dass wir mit dem Wiederaufbau unserer Institutionen beginnen: auf der Grundlage von Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität. […] Es ist höchste Zeit, dass die Demokratie ihren alten Stellenwert wiedererlangt. Die Souveränität des Volkes und der Dialog – nicht Zwang oder Gewalt – müssen die Grundlage bilden für einen neuen gesellschaftlichen Konsens, der unser Land nach vorne bringt. […] Die Verfassung der Diktatur mit ihrer kolonialen Matrix übergeht die politischen und kulturellen Institutionen der indigenen Völker und bäuerlichen Gemeinschaften. Deshalb muss sie einer neuen demokratischen Verfassung weichen, die von ALLEN STIMMEN UND ALLEN VÖLKERN ausgearbeitet wurde. Die neue Verfassung, entstanden aus dem Willen des Volkes, wird die Farbe und den Geschmack des Volkes haben. […] Heute rufen wir alle unsere Schwestern und Brüder auf, sich uns in unserem Kampf gegen die Korruption anzuschließen. Jeder und jede wird gebraucht, um an der Neugestaltung unseres Landes mitzuarbeiten. Nur ein gut organisiertes und wachsames Volk kann die Rückkehr der Fujimori-Diktatur zu verhindern. […] Ich hätte niemals gedacht, dass ein Landschullehrer und Bauer so heftig attackiert werden würde, nur weil er eine Botschaft der Hoffnung zum Ausdruck bringt und für die Wiedergewinnung der Souveränität zum Wohl seines Landes und aller peruanischen Brüder und Schwestern plädiert. Am 28. Juli werden wir mit dem Vertrauen, das Sie mir entgegenbringen, den Grundstein für ein souveränes Heimatland legen, in dem wir alle in Frieden, Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und Rechtssicherheit leben können, auf dass wir unseren Nachkommen frei von Scham ins Gesicht blicken können….“.
Pedro Castillo: Für den Aufbau einer multiethnischen Demokratie von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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