Doch kein Sozialist für São Paulo

(Berlin, 30. November 2020, taz).- Der Traum vieler Linker platzte um kurz nach 19 Uhr, als die Wahlergebnisse aus São Paulo im Fernsehen übertragen wurden. Es war der Traum, dass die größte Stadt Lateinamerikas zukünftig von einem Sozialisten regiert wird.

Der Wohnungslosenaktivist und Politiker der sozialistischen PSOL, Guilherme Boulos, war bei der Stichwahl für das höchste Amt der Megametropole gegen den amtierenden Bürgermeister der rechten PSDB, Bruno Covas, ins Rennen gezogen. Die beiden, und das ist im Brasilien des Jahres 2020 wichtig zu betonen, hatten sich ein hartes aber zivilisiertes Wahlduell geliefert. Am Ende fiel das Ergebnis deutlich aus und Covas gewann mit fast 60 Prozent der Stimmen.

Schon den Einzug in die Stichwahl wertete Boulos als Erfolg

Covas, der in seiner Partei als moderat gilt, versprach bei seiner Siegesrede eine Regierung des Ausgleiches und der Mäßigung. Per Videobotschaft meldete sich der unterlegene Boulos noch am Abend aus seinem kleinen Haus im Randgebiet von São Paulo zu Wort. Seine Kampagne, erklärte der an Covid-19 erkrankte Politiker, habe einen Weg in die Zukunft gewiesen und gesiegt, obwohl die Wahl verloren ging. Und in der Tat: Alleine, dass der Sozialist die Stichwahl erreichte, war ein Erfolg.

Seine Kampagne begeisterte viele junge Wähler*innen, es gelang ihm ein breites Bündnis zu schmieden, viele prominente Künstler*innen hatten ihn unterstützt. Und Boulos holte in vielen armen Stadtteilen die Mehrheit – dort, wo die Linke zuletzt Schwierigkeiten hatte zu punkten. Nicht wenige handeln den charismatischen 38-Jährigen als Präsidentschaftskandidat für die Wahl 2022.

Rekord-Umfragewerte für Bolsonaro

Am Sonntag waren Brasilianer*innen in 57 Städten zur Stichwahl für die Bürgermeister*innenposten aufgerufen. Am Ende eines langen Tages bestätigte sich die Tendenz der ersten Runde und insbesondere die traditionellen Mitte-Rechts-Parteien konnten Siege verbuchen – also jene Kräfte, die bei der Präsidentschaftswahl 2018 abgestürzt waren.

In der südbrasilianischen Hafenstadt Porto Alegre setzte sich der Mitte-Rechts-Politiker Sebastião Melo gegen Manuela d’Ávila, Kandidatin sozialdemokratisch ausgerichteten Kommunistischen Partei von Brasilien (PCdoB), durch. In Rio de Janeiro gewann der konservative Ex-Bürgermeister Eduardo Paes mit riesigem Vorsprung vor dem amtierenden Amtsinhaber Marcelo Crivella. Der ultrarechte Pastor hatte im Wahlkampf die Unterstützung von Präsident Jair Bolsonaro genossen.

Auch in vielen anderen Städten stürzten Bolsonaro-nahe Kandidat*innen ab. So blieb es am Sonntag auffällig ruhig auf dem sonst so geschäftigen Twitter-Profil des Rechtsradikalen. Allerdings: Die Kommunalwahlen sind kein Gradmesser für die Präsidentschaftswahl 2022. Dafür ist das Parteiensystem in Brasilien zu komplex, Wahlentscheidungen zu sehr personalisiert, Lokalpolitik zu weit weg von der Hauptstadt Brasília. Es ist kein Widerspruch, dass Präsident Bolsonaro derzeit Rekord-Umfragewerte verzeichnet.

Im brasilianischen Parlament sitzen derweil nur 15 Prozent weibliche Abgeordnete

In der nordbrasilianischen Stadt Belém feierte der PSOL-Kandidat Edmilson Rodrigues mit seinem Wahlsieg einen Achtungserfolg. Die sozialistische Partei, die 2004 von abtrünnigen Politiker*innen der Arbeiterpartei PT gegründet wurde, läuft der PT aber immer mehr den Rang ab. Bis auf einzelne Ausnahmen im Industriegürtel von São Paulo setzte diese ihren Abwärtstrend fort. Der Partei des populären Ex-Präsidenten Lula gewann zum ersten Mal seit der Re-Demokratisierung 1985 keine der 26 Landeshauptstädte. Ein Desaster für die Partei.

Und die Wahl hatte noch mehr Verlierer: Frauen. In nur einer der 26 Landeshauptstädte konnte sich eine Frau durchsetzen. Im brasilianischen Parlament sitzen derweil nur 15 Prozent weibliche Abgeordnete – der niedrigste Wert in Lateinamerika.

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