
Foto: Mal de ojo via flickr
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(Mexiko-Stadt, 17. März 2025, agencia presentes).- In Mexiko werden aktuell 125.232 Menschen vermisst (Stand 21. März 2025). Seit 2011 findet regelmäßig am 10. Mai, dem mexikanischen Muttertag, der Nationale Marsch der Würde statt, der von suchenden Angehörigen organisiert wird.
Wer sind die Madres Buscadoras, die suchenden Mütter, und welcher Gewalt sind sie ausgesetzt?
Es sind Mütter auf der Suche nach ihren Töchtern und Söhnen, nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Es sind Frauen, die in der Erde graben, in Dörfern, Bergen, Flüssen und Städten nach ihren Kindern und allen geliebten Menschen suchen, die Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen wurden. Sie sind bekannt als suchende Mütter, als Spurensucherinnen („rastreadoras“). Die Liebe zu ihren Kindern und die fehlende Unterstützung des Staates bei der Suche haben die Frauen dazu gebracht, sich in Kollektiven und Netzwerken für ihr Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit zu organisieren. Einer der wichtigsten Slogans bei ihren Muttertags-Demos lautet: „Wir haben nichts zu feiern“. Sie demonstrieren, um die Behörden daran zu erinnern, dass es ihre Pflicht ist, Wahrheit und Gerechtigkeit für ihre verschwundenen Kinder zu garantieren.
Die Menschenrechtskrise in Mexiko dauert schon seit Jahrzehnten an, aber seit 2007 wurde sie immer deutlicher sichtbar. Damals erklärte der ehemalige Präsident Felipe Calderón den „Krieg gegen die Drogen“ im Rahmen einer gescheiterten Sicherheitsstrategie, bei der die Streitkräfte ihre Kasernen verließen, um die Straßen zu bewachen. Allmählich setzte sich ein Wort durch, das den Schrecken des Verschwindenlassens beschreiben sollte: „levantón“. Das kann allen Menschen passieren, wenn sie ihr Haus verlassen, auf eine Party gehen oder auf der Straße unterwegs sind. Behörden und Medien reviktimisierten die Opfer: „Sicherlich war die Person in etwas verstrickt.“
Auf der Suche
Die Mütter und die Angehörigen der Verschwundenen schlossen sich nach und nach in Kollektiven und später in Netzwerken zusammen. Heute gibt es sie in ganz Mexiko. Gemeinsam lernten sie, wie man Suchformulare ausfüllt, eine Anzeige erstattet, wie man hinausgeht und das Gelände absucht, alles ohne Protokolle und ohne Hilfsmittel. Gemeinsame Treffen, Workshops zum Lernen und Wissensaustausch waren die Vorstufe für wichtige Erfolge bei Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit. Mit dem Slogan: „Nicht ohne die Familien“ wehrten sie sich gegen die Gleichgültigkeit der Behörden. Sie erreichten, dass diese Gewalt im Bundesstrafregister benannt und typisiert und das Allgemeine Gesetz über das Verschwindenlassen und das Nationalen System zur Suche nach verschwundenen Personen eingeführt wurden. Der 10. Mai hat für jede suchende Mutter eine andere Bedeutung. Auf gesellschaftlicher Ebene dient er als Erinnerung daran, dass es viele Menschen gibt, die noch vermisst werden und dass noch viele Fragen offen sind, wie die Umsetzung von Gesetzen und Protokollen, die Bereitstellung von Finanzmitteln und des notwendigen Personals, damit die Suche nach den Verschwundenen und die Untersuchung der Tat funktionieren. Auch die Sicherheit und der Schutz der Familien, die nach ihren Angehörigen suchen, muss gewährleistet werden.
„Für den Staat sind unsere Verschwundenen nur Zahlen“
Mireya Montiel Hernández verschwand am 13. September 2014 im Alter von 18 Jahren. Wie ihre Mutter Tranquilina Hernández berichtet, wurde ihre Tochter als „gefunden“ im Nationalen Register aufgeführt. Aber Mireya ist weiterhin verschwunden. Im Rahmen des journalistischen Investigativ-Projekts „A dónde van los desaparecidos“ erzählt der Reporter Efraín Tzuc, dass es häufiger vorkommt, dass Menschen, die nicht gefunden wurden, im Nationalen Personensuchregister RNPDNO als „gefunden“ aufgeführt werden. „Die Behörden zwingen uns, vor Ort zu sein und zu suchen, denn wenn wir nicht nach ihnen suchen, wird es niemand machen. Wir graben in der Erde auf der Suche nach unseren Angehörigen. Die Behörden behindern uns, sie garantieren nicht für unsere Sicherheit, und Hilfsmittel bekommen wir erst recht nicht. Sie tun nichts. Für sie sind unsere Verschwundenen nur Zahlen,“ klagt Tranquilina Hernández in einem Interview mit der mexikanischen Nachrichtenagentur „Agencia Presentes“
Leben von der Hoffnung
Die Mütter suchen auf unbebauten Grundstücken, in geheimen Gräbern, die sie selber ausfindig machen, in Wäldern, Wüsten und Flüssen. Aber sie suchen auch unter den Lebenden, in Krankenhäusern, Gefängnissen und an Treffpunkten von Obdachlosen, Sexarbeitenden und in Bars, in denen Menschenhandel stattfinden könnte. Seit 2016 werden im Rahmen des Netzwerks Red de Enlaces nationale Suchbrigaden organisiert, in denen Angehörige von Verschwundenen ihr Wissen weitergeben und lernen, wie man sucht. Nach und nach werden sie zu Expertinnen und erfinden sogar Werkzeuge, wie z. B. die „T“-Stange, mit der man in Gräbern graben kann, ohne kleine Knochen zu zerstören, die zu ihren Kindern oder jemand anderem gehören könnten.
Tranquilina Hernández nahm vor rund zehn Jahren an einem solchen Workshop teil und wollte das neue Wissen sofort anwenden, um ihre Tochter Mireya zu suchen. Sie fuhr mit einer anderen suchenden Mutter nach Baja California; schon zum fünften Mal sucht sie in diesem Bundesstaat. „Jetzt bin ich wieder da, weil ich beim letzten Mal Anzeichen von Mireya in einem Viertel gefunden habe, in dem viele Obdachlose und Prostituierte leben“, sagt sie. Während ihrer Suche fanden sie einen Mann, der auf der Straße lebte und dessen Familie 2015 eine Vermisstenanzeige aufgegeben hatte. Diese besondere Erfahrung, eine Person lebend zu finden, die von ihrer Familie jahrelang gesucht wurde, verstärkte Tranquilinas Hoffnung, ihre Tochter Mireya wiederzusehen.
Gewalt an suchenden Müttern
Immer wieder prangern Gruppen von suchenden Müttern die Drohungen und die Gewalt an, die ihnen entgegenschlägt, weil sie das Verschwinden ihren Kindern und Angehörigen nicht hinnehmen wollen. Sie sind empört über die Unterlassungen und die Versäumnis des Staates und die Nachlässigkeit, mit der er nach den Verschwundenen sucht. Dass ihnen die aktive Beteiligung an der Entscheidungsfindung verweigert wird, die das Allgemeine Gesetz über das Verschwindenlassen von Personen vorschreibt, kritisieren sie ebenfalls. Präsident Andrés Manuel López Obrador hatte sich im Juni 2023 geweigert, sich mit verschiedenen Kollektiven und Gruppen von Familien und suchenden Müttern in Mexiko zu treffen. Die Initiative fordert den Staat weiterhin auf, sie vor den direkten Drohungen, Angriffen, Verschwindenlassen und Ermordung zu schützen.
Übersetzung: Christiane Kämpf de Salazar
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