Die Sicherheitskrise verschärft sich

Sicherheitskrise Ecuador
Soldaten auf der Straße in Quito im Jahr 2022 . So ähnlich dürfte es dieser Tage auch aussehen. Foto: via wambra.

(Caracas und Montevideo, 9. Januar 2024, Telesur und La Diaria).- Die ecuadorianischen Provinzen Esmeraldas, El Oro, Guayas, Pichincha und Los Ríos erleben nach der Verhängung des Ausnahmezustands eine Welle der Gewalt.

Eine Reihe von Explosionen, Entführungen von Polizeikräften und entlaufene Gefangene wurden am Anfang Januar aus verschiedenen Teilen Ecuadors gemeldet. Dort wurde am 8. Januar der Ausnahmezustand verhängt und nach Zwischenfällen in sechs Gefängnissen des Landes eine nächtliche Ausgangssperre verordnet.

„Ich habe das Dekret unterzeichnet, mit dem ein interner bewaffneter Konflikt ausgerufen wird“, verkündete Ecuadors Präsident Daniel Noboa am 0. Januar. Er habe die Streitkräfte angewiesen, „militärische Operationen durchzuführen, um kriminelle Gruppen zu neutralisieren“, die er als „terroristische Organisationen und kriegerische, nicht staatliche Akteure“ bezeichnete.

Diese Gruppen seien: „Águilas, ÁguilasKiller, Ak47, Caballeros Oscuros, ChoneKiller, Choneros, Covicheros, Cuartel de las Feas, Cubanos, Fatales, Gánster, Kater Piler, Lagartos, Latin Kings, Lobos, Los p.27, Los Tiburones, Mafia 18, Mafia Trébol, Patrones, R7 und Tiguerones“.

Gefängniskrise

Am 8. Januar kam es in sechs Gefängnissen zu Ausbrüchen und Unruhen, bei denen Matratzen verbrannt und Wachleute festgenommen wurden. Es kursieren Videos, auf denen zu sehen war, wie Menschen in Gefängnisuniformen von anderen in Zivilkleidung festgehalten wurden, die ihre Gesichter verdeckt hatten und mit Messern bewaffnet waren.

Laut der Nachrichtenagentur Efe bitten die Aufseher*innen in den Videos den Präsidenten und die Gefängnisbehörden um Hilfe und fordern sie auf, keine Truppen in die Gefängnisse zu schicken, „jede ihrer Handlungen zu überdenken“ und sich nicht „von Impulsen und falschen Erwartungen“ leiten zu lassen.

In einem Gefängnis in Quito, in der Gegend von El Inca, wurde am 8. Januar ein Aufstand gemeldet, bei dem Polizei und Feuerwehr eingreifen mussten. „15 Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr, der Rettungsdienste und der logistischen Unterstützung wurden an den Ort des Geschehens entsandt“, teilte die Feuerwehr mit.

Wenige Stunden zuvor, am Sonntag, 7. Januar, war bekannt geworden, dass José Adolfo Macías Salazar alias Fito, der Anführer einer der größten kriminellen Banden des Landes namens „Los Choneros“, aus dem Gefängnis in der Provinz Guayas entkommen war. Die ecuadorianische Regierung hat eine Belohnung für „beweiskräftige Hinweise“ zu ihm ausgesetzt.

Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen zwei Wärter des Gefängnisses, in dem Macías inhaftiert war und die sie mit seiner Flucht in Verbindung brachten. Am 9. Januar bestätigte der Nationale Dienst für die integrale Betreuung erwachsener und jugendlicher Straftäter SNAI (Servicio Nacional de Atención Integral a Personas Adultas Privadas de la Libertad y a Adolescentes Infractores), dass Fabricio Colón Pico aus dem Gefängnis von Riobamba geflohen ist, den die Generalstaatsanwältin Diana Salazar als Verdächtigen bei der Planung eines Attentats auf ihre Person anzeigte.

Der SNAI berichtete auch, dass es in den frühen Morgenstunden zu „gewalttätigen Zwischenfällen zwischen den Gefangenen, der Staatspolizei und dem Gefängnispersonal“ gekommen sei, woraufhin sich Colón Pico „zusammen mit anderen Gefangenen den Kontrollen entzogen“ habe. Wie der Fernsehsender Ecuavisa berichtete, bestätigte die Polizei, dass 38 weitere Häftlinge zusammen mit dem alias „Captain Pico“ aus dem Gefängnis von Riobamba mithilfe von Sprengsätzen entkommen sind. Dem Bericht zufolge wurden uniformierte Beamt*innen in das Gefängnis entsandt. Die Häftlinge zündeten jedoch Sprengstoff und die Einsatzkräfte mussten sich zurückziehen. Ein Dutzend Häftlinge wurde wieder eingefangen und etwa zwanzig gelang die Flucht, wie die ecuadorianische Onlinezeitung Primicias berichtete.

Colón Pico wurden in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Straftaten vorgeworfen, darunter Mord, organisiertes Verbrechen, Drogenhandel und Erpressung. Salazar soll ausgesagt haben, dass dieser mit der kriminellen Bande Los Lobos in Verbindung stehe, für die Planung eines Attentats auf ihn selbst verantwortlich sei und derselben Gruppe angehöre, die im August das Attentat auf den damaligen Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio plante.

Nationaler Ausnahmezustand

Gleich in den ersten Stunden, nachdem der Präsident den Ausnahmezustand ausgerufen hatte, kam es in mehreren Städten zu Gewaltausbrüchen. In der Hauptstadt Quito wurde ein Polizist von bewaffneten Männern entführt, mehrere Fahrzeuge wurden in Brand gesetzt, in einem davon befanden sich zwei Gastanks, und auf einer Fußgängerbrücke über eine Autobahn wurde ein Sprengsatz gezündet.

Nach Angaben der Zeitung El Universo wurden in Guayaquil, El Guabo, Esmeraldas und Cuenca mehrere Fahrzeuge in Brand gesetzt, in Machala wurden Polizisten entführt und in Cuenca sowie in Quevedo wurden Explosionen gemeldet.

Lokale Medien berichteten, dass mit dem Drogenhandel verbundene kriminelle Organisationen versuchten, den ecuadorianischen Präsidenten Daniel Noboa in Schach zu halten. Dieser befindet sich in seiner ersten Krise nach seinem Amtsantritt im vergangenen November.

Mehrere ecuadorianische Institutionen haben sich gegen die Angriffe der kriminellen Organisationen in dem südamerikanischen Land ausgesprochen und „dringende“ Maßnahmen zur Bekämpfung der prekären Sicherheitslage in dem südamerikanischen Land gefordert.

Das Konsortium der autonomen Provinzregierungen Ecuadors Congope (Consorcio de Gobiernos Autónomos Provinciales del Ecuador), in dem die 23 Präfekturen des Landes zusammengeschlossen sind, hat seinerseits eine Erklärung abgegeben, in der es seine Solidarität mit den ecuadorianischen Familien angesichts der Sicherheitskrise zum Ausdruck bringt. Es hat zudem seinen Exekutivausschuss einberufen, um sich über die Situation in allen Provinzen zu informieren und die in den einzelnen Gebieten zu ergreifenden Maßnahmen festzulegen.

„Als Provinzbehörden bekräftigen wir unsere Bereitschaft, gemeinsam mit der nationalen Regierung gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen – eine Bedrohung, die uns alle betrifft“, heißt es in dem Text. Sie hoffen auch, dass die in verschiedenen Provinzen des Landes entführten Polizeikräfte befreit werden und dass „die volle Härte des Gesetzes und der Justiz gegen die Verantwortlichen zum Tragen kommen wird“.

Während einige Geschäfte aufgrund der Gewaltwelle geschlossen blieben, setzte die Regierung den Unterricht in öffentlichen und privaten Einrichtungen im ganzen Land zunächst bis zum 12. Januar aus und ordnete den Übergang zu Onlineunterricht an.

Das Ministerium für Hochschulbildung, Wissenschaft, Technologie und Innovation (Secretaría de Educación Superior, Ciencia, Tecnología e Innovación) teilte in einer Erklärung mit, dass „die akademischen Aktivitäten der 55 öffentlichen höheren technischen Institute und Konservatorien bis zum 12. Januar virtuell durchgeführt werden“. Diese Maßnahme werde ergriffen, um die Integrität und Sicherheit der Studierenden, Lehrkräfte und des Verwaltungspersonals der Institute zu gewährleisten.

Als Reaktion auf diese Ereignisse gab der Generalsekretär für den Pressedienst des Präsidenten Roberto Izurieta Canova der Bevölkerung bekannt, dass der Rat für öffentliche und staatliche Sicherheit (Consejo de Seguridad Pública y del Estado) eingerichtet wurde, um die Situation im Land zu analysieren.

Stunden später gab das Arbeitsministerium ein Kommuniqué heraus, in dem es die Umsetzung von Homeoffice sowohl bei öffentlichen als auch bei privaten Einrichtungen vorschlug. „Im Rahmen des Ausnahmezustands im Lande fordert das Arbeitsministerium die öffentlichen und privaten Einrichtungen auf, Mechanismen zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit und des Wohlbefindens der Arbeitnehmer*innen im ganzen Land einzuführen. Das Ministerium schlägt vor, je nach Bedarf von der Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, Gebrauch zu machen“, heißt es in dem Text.

Die Lage in Guayaquil

Wie die ecuadorianische Polizei mitteilte, drangen Kriminelle am 9. Januar nach 14:00 Uhr (Ortszeit) in die Räumlichkeiten des Fernsehsenders TC Televisión in Guayaquil ein und unterbrachen eine Livesendung. Die Beschäftigten des Senders wurden mit Waffen und Sprengstoff bedroht. „Unsere Spezialeinheiten sind vor Ort, um sich um diesen Notfall zu kümmern“, erklärte die örtliche Polizei auf X.

Wenige Minuten später zeigte die Live-Ausstrahlung, wie Sicherheitskräfte die Räumlichkeiten des Senders betraten und die Mitarbeiter*innen evakuierten. Zwei Stunden nach Beginn der Übernahme gelang es der Polizei, die Geiseln zu befreien. In diesem Zusammenhang teilte das Innenministerium mit, dass taktische Teams der ecuadorianischen Polizei die Kontrolle über das Gelände von TC Televisión übernommen hätten und dass „mehrere der an dem Vorfall beteiligten Personen festgenommen wurden“.

Fast zur gleichen Zeit wurde berichtet, dass Kriminelle in die Universität von Guayaquil und in ein Krankenhaus im Süden, das Teodoro Maldonado, eingedrungen sind. Über ihr Konto im sozialen Netzwerk X meldete die Universität von Guayaquil die Unterbrechung aller ihrer Aktivitäten. Sie teilte dann ein Schreiben mit akademischen Bestimmungen in Anbetracht der Situation im Land.

„Die Universitätsgemeinschaft wird darüber informiert, dass aufgrund der aktuellen Situation im Land und in Übereinstimmung mit den vom Obersten Rat der Universität genehmigten Beschlüssen, die sich auf die Änderung der Modalität beziehen, in der sich die Lehr- und Lernaktivitäten der Studiengänge abspielen, ab diesem Zeitpunkt im Online-Modus (asynchron) stattfinden werden, um dem Unterricht Kontinuität zu verleihen, ohne die akademische Planung und die Rechte und Integrität der Studierenden zu beeinträchtigen“, so der Text.

Des Weiteren wurde eine angebliche Konfrontation zwischen Sicherheitskräften und Mitgliedern krimineller Banden am Landterminal von Guayaquil beobachtet.

Aufruf zur nationalen Einheit

Der in Belgien lebende ehemalige Präsident und Oppositionsführer Rafael Correa sagte auf seinem Account der Internetplattform X, dass diese Situation, die noch vor kurzem „undenkbar, unvorstellbar“ gewesen sei, „das Ergebnis der systematischen Zerstörung des Rechtsstaates“ und der „Fehler“ und des „Hasses“ sei, die sich in den letzten sieben Jahren angesammelt hätten. Er sagte jedoch, dass „heute die Zeit der nationalen Einheit“ sei, da „das organisierte Verbrechen dem Staat den Krieg erklärt [hat]. Der Staat muss sich durchsetzen, der Staat muss gewinnen. Präsident Daniel Noboa hat unsere volle und uneingeschränkte Unterstützung. Bitte geben Sie nicht auf“, erklärte Correa.

Am Abend des 9. Januar gab der Chef des Oberkommandos der Streitkräfte, Admiral Jaime Vela, in Begleitung der Regierungs- und Innenministerin Monica Palencia und des Verteidigungsministers Gian Carlo Loffredo eine Pressekonferenz, in der er sagte, dass die Ereignisse zeigten, dass die Aktionen der Regierung kriminelle Strukturen empfindlich träfen. Deren Strategie sei, die Bevölkerung zu terrorisieren. „Um dies zu erreichen, haben sie blutige Taten begangen, die in der Geschichte des Landes beispiellos sind, aber trotz ihrer grausamen Bosheit wird dieser Versuch scheitern“, sagte Vela nach Angaben von El Telégrafo, einem in Quito ansässigen öffentlichen Medienunternehmen.

Der Militäroffizier warnte, dass gemäß dem Erlass 111 von Präsident Noboa „jede terroristische Gruppe“, die in dem Text genannt wird, „zu einem militärischen Ziel geworden ist“.

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