Die Pandemie als Vorwand zur Bekämpfung sozialer Proteste

(Guatemala-Stadt, 19. April 2023, Prensa Comunitaria).- Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte hat den Missbrauch von Coronamaßnahmen verurteilt. Insbesondere soll die Verhängung des Ausnahmezustands dazu benutzt worden sein, um soziale Proteste einzudämmen. Guatemala ist laut dem Bericht einer der Staaten, der auf diese Weise soziale Bewegungen unterdrückt hat. Als konkretes Beispiel nennt die Kommission das Vorgehen in El Estor, wo der Protest des Volks der Q’eqchi’ gegen die Mine Fénix unter Berufung auf Corona-Schutzmaßnahmen brutal niedergedrückt wurde. Zudem kritisierte die Interamerikanische Menschenrechtskommission die Anwendung von Gewalt gegen die Presse, die im November 2020 über den Vorfall in El Estor sowie andere Proteste in der Hauptstadt berichtete.

Demokratische Grundrechte beschnitten

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (Comisión Interamericana de Derechos Humanos , CIDH) legte Mitte April einen Bericht mit dem Titel “Pandemie und Menschenrechte” vor. Die Analyse fokussiert auf die Auswirkungen staatlicher Coronamaßnahmen auf die Menschenrechte in verschiedenen Ländern, darunter Guatemala. Konkret ging es um die Beschneidung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und auf Demonstrationen durch die missbräuchliche Verhängung des Ausnahmezustands. Wie die CIDH berichtet, haben seit März 2020 zahlreiche Staaten verschiedene Ausnahmezustände wie Katastrophenzustand oder sanitäre Notlagen ausgerufen. Das primäre Ziel der Maßnahmen lautete dabei, die Pandemie zu bekämpfen und Infektionen zu verhindern. Gleichzeitig aber, so die CIDH, beschnitten die Maßnahmen die Rechte der freien Meinungsäußerung, die Versammlungsfreiheit, das Recht des friedlichen Protests und andere demokratische Grundrechte. Schon als die ersten Fälle der gewaltsamen Unterdrückung von Kundgebungen bekannt wurden, hatte die Kommission eine Warnung ausgesprochen. In Guatemala seien zahlreiche Proteste mit außerordentlicher Gewalt beantwortet worden, besonders betroffen seien Indigene, Journalist*innen und Vertreter*innen der Medien. Beispielsweise wurden am 22. und 23. Oktober 2021 in El Estor im Osten Guatemalas friedliche Proteste gegen die erneute Inbetriebnahme der Fénix-Mine von Polizei und Militär gewaltsam niedergeschlagen. Neben den demonstrierenden Mitgliedern der indigenen Maya-Gemeinschaft Q’eqchi’ waren zahlreiche Presseleute betroffen. Die Fénix-Mine befindet sich auf indigenem Territorium. Die Behörden stürmten die Wohnungen von zwei Journalisten von Prensa Comunitaria. Eine weitere Wohnung wurde seit dem 24. Oktober observiert. Anschließend verhängte die Regierung den Ausnahmezustand, die drei Medienschaffenden waren gezwungen, die Gegend zu verlassen.

Regierungskritische Proteste gezielt unterbunden

Ferner verurteilte die Menschenrechtskommission das staatliche Vorgehen bei Demonstrationen gegen den im November 2020 verabschiedeten Staatshaushalt, der Kürzungen in wichtigen Bereichen vorsah: Besonders umstritten waren die Posten für die Bewältigung der Pandemie, die soziale und wirtschaftliche Krise sowie für den Wiederaufbau nach den Stürmen Eta und Iota. Die CIDH berichtet außerdem, dass in einigen Fällen Demonstrationen mit Verweis auf die öffentliche Gesundheit unterbunden wurden, unter anderem in Guatemala: Als sich Proteste formierten, die den Rücktritt von Präsident Alejandro Giammattei forderten, verhängte dieser den Ausnahmezustand und ließ verlauten, solche Demonstrationen würden das Virus “aufwühlen”. Laut der Kommission können Staaten im Kontext einer globalen Gesundheitskrise wie der Coronapandemie das Demonstrationsrecht einschränken – aber nur dann, wenn diese Beschneidungen nach den interamerikanischen Standards erfolgen. So sollte das Demonstrationsrecht weiterhin als allgemeines Grundrecht bestehen bleiben. Einschränkungen jeglicher Art sollten die Ausnahme bleiben. In ihren Schlussfolgerungen hebt die CIDH hervor, dass demokratische Institutionen und der Rechtsstaat in einigen Ländern der Region während der Pandemie geschwächt wurden. Dies habe sich in administrativen und gerichtlichen Entscheidungen geäußert, die dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit entgegenstanden. Zur gleichen Zeit hätten sich neue Muster der Unterdrückung gebildet, während die Gewalt gegen Andersdenkende und Demonstrierende insgesamt zugenommen habe. Auch Aggressionen gegen Medienschaffende seien verstärkt aufgetreten, was das Recht auf freie Meinungsäußerung angreift.

Die Pandemie in Guatemala

Der erste Covid-19-Fall in Guatemala wurde am 13. März 2020 registriert. Insgesamt zählte das Gesundheitsministerium 20.189 offizielle Todesfälle durch die Coronapandemie. Der undurchsichtige Kauf von Impfstoffen aus Russland durch die Regierung Giammattei, der Mangel an medizinischem Material und Personal in den Krankenhäusern sowie das schlechte Krisenmanagement während der Pandemie gaben im Jahr 2021 immer wieder Anlass zu regierungskritischen Protesten.

Übersetzung: Patricia Haensel

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