(Montevideo, 16. Dezember 2022, desinformémonos).- Die Geografie der Frontenbildung ist dieselbe wie im peruanischen Bürgerkrieg in den 1980er Jahren: das Hochland gegen die Küstenregion, Aymara- und Quechua-Gemeinschaften gegen einen mörderischen Staat. Auch die Akteur*innen sind dieselben: Die verarmte Bevölkerung des Hochlandes gegen fünf Jahrhunderte der Unterdrückung. Es ist wie in allen von der Andenregion ausgehenden Aufständen, von Taki Onqoy im sechzehnten Jahrhundert, wenige Jahrzehnte nach der spanischen Eroberung, bis zur Revolution von Túpac Amaru II im Jahr 1780.
Die Proteste an Orten wie Andahuaylas, Ayacucho, Cusco, Apurímac und Puno zeigen, dass das, was auf dem Spiel steht, viel tiefer geht als die Wut über Pedro Castillos Dummheiten und die Reaktion der Ultrarechten und der dominanten Klassen darauf. Auf lange Sicht handelt es sich um eine ewige Wiederkehr: Die unterdrückten Klassen und Bevölkerungsgruppen sind den Demütigungen und der Verachtung von Jahrhunderten ausgesetzt, die José María Arguedas [peruanischer indigenistischer Schriftsteller und Anthropologe, 1911–1969, Anm. d. Ü.] so treffend in seinen Werken beschrieben hat, die weit mehr sind als Romane.
„Alle sollen gehen“
Kurzfristig betrachtet handelt es sich um den kompletten Zusammenbruch des politischen Systems, vom niederträchtigen Kongress voller Korrupter und Folterer bis zum Justizapparat, der sich zum Komplizen aller erdenklicher Übergriffe gemacht hat. Deshalb heißt es landauf landab „alle sollen gehen“, auch wenn völlig unklar ist, was danach kommt. Denn wenn wir uns an die von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und dem US Southern Command abgesegneten „legalen“ Reihenfolgen halten, kann es nur genauso weitergehen wie bisher.
Tatsächlich haben wir es mit der brutalsten und umfassendsten Repression seit dem Sturz des diktatorischen Regimes von Alberto Fujimori (1992-2000) zu tun, mit mehr als zwanzig Toten und Hunderten von Schwerverletzten. Wir stehen vor einer riesigen, landesweiten Mobilisierung in Peru. Sie umfasst nicht nur die südlichen Anden, sondern das ganze Land, von Amazonien bis zur Küste. Vielleicht war Castillo der Tropfen, der das Fass der Wut und Empörung zum Überlaufen gebracht hat, wie José Carlos Agüero in seinem Artikel „Verachtung“ nahelegt.
Die Armen und Indigenen kämpfen um ihre Würde
Es ist unmöglich, vorherzusehen, was in den nächsten Wochen passieren wird. Sicher ist nur eines, denn es springt sofort ins Auge: Die Armen und die indigenen Bevölkerungsgruppen Perus haben niemals aufgehört, aktiv zu sein. Sie haben sich den Wahlkampf und das Auftauchen eines Kandidaten, der vermeintlich ist wie sie, zunutze gemacht: Pedro Castillo mit seinem Sombrero und seinem andinen Dialekt hat sie zwar später im Stich gelassen, aber er hat ihnen ermöglicht, sich einzumischen und das zu fordern, was sie immer fordern: die Achtung ihrer Würde als Bevölkerungsgruppen.
Es ist diese Würde, die es ihnen ermöglicht hat, fünf Jahrhunderten der Ausbeutung und der von oben aufgezwungenen Kriege zu trotzen und zu überleben. All das in der Hoffnung – im Sinne Arguedas – ein Peru zu schaffen, in dem alle Kulturen [„todas las sangres“, Anspielung auf den gleichnamigen Roman Arguedas‘, Anm. d. Ü.] zusammenleben können.
Das Militär tötet wieder von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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