Von Juan Manuel Karg
(Mexiko-Stadt, 09. Mai 2017, la jornada–amerika21).- Die Streitkräfte der USA werden im kommenden November auf Einladung von Michel Temer erstmalig an einer Militärübung im brasilianischen Amazonasgebiet teilnehmen. Das Manöver trägt den Namen América Unida und wird nach Informationen des brasilianischen Verteidigungsministeriums, das die Initiative auf südamerikanischer Seite befördert hat, darin bestehen, mindestens zehn Tage lang Militärsimulationen mit Truppen aus Brasilien, Peru und Kolumbien durchführen.
„Operationszentrum für den regionalen Notfall“
Ausgangspunkt der Übung wird die brasilianische Stadt Tabatinga sein, die an die kolumbianische Gemeinde Leticia angrenzt und nahe der peruanischen Insel Santa Rosa liegt. Beim Blick auf die Karte offenbart sich die regionale Bedeutung der Ankündigung: im Norden liegt Venezuela; im Süden, direkt unterhalb des Bundesstaats Acre, Bolivien. Beides Länder, die geopolitisch in Konfrontation mit Washington stehen, genauso wie es vor der Amtsenthebung Dilma Rousseffs auch Brasilien tat, wenn auch ganz klar mit einer anderen Intensität. Auf der anderen Seite der kolumbianisch-peruanischen Grenze liegt zudem Ecuador, das gerade entschieden hat, die Erfahrung der Bürgerrevolution fortzusetzen, an deren Spitze seit einem Jahrzehnt Präsident Rafael Correa stand, der 2009 die Räumung des US-Stützpunkts in Manta erwirkt hatte.1
Auch wenn das brasilianische Verteidigungsministerium selbst versicherte, dass die Übung nicht der Beginn eines multinationalen Stützpunkts sein werde, führen die beträchtlichen natürlichen Ressourcen in dem Gebiet sowie die ideologische Nähe Washingtons zu den Regierenden der drei Länder zu wachsender Unsicherheit in dieser Hinsicht. Tatsächlich befindet sich unter der Regionalregierung des Departamento Amazonas in Peru bereits ein verdeckter Stützpunkt im Aufbau, der vom US-Südkommando unter dem Deckmantel eines „Operationszentrums für den regionalen Notfall“ vorangetrieben wird und dies geschieht auch in anderen Provinzen des Landes. Diese Art von Konzept stuft der bekannte brasilianische Forscher Moniz Bandeira aufgrund ihrer Informalität und gesetzlichen Zweideutigkeit als „Quasi-Stützpunkte“ ein.
Temer macht Brasilien zum Zentrum der neuen Lateinamerika-Strategie der USA
Es war vor allem der damalige Präsident Luiz Inacio Lula Da Silva, der die Gründung des Südamerikanischen Verteidigungsrates (CDS) vorangetrieben hatte, der von der Union südamerikanischer Nationen (Unasur) geschaffen wurde und dessen drei Hauptziele sich wie folgt definieren: Südamerika als Zone des Friedens zu konsolidieren, eine südamerikanische Identität hinsichtlich der Verteidigung aufzubauen sowie einen Konsens zu schaffen, um die regionale Kooperation in diesem Bereich zu stärken. Es ist traurigerweise symptomatisch, dass es dem CDS nun nicht gelingt, diese Initiative zu stoppen, die von einem Präsidenten kommt, den laut der Beraterfirma Datafolha 87 Prozent der Bevölkerung ablehnen.
Das regionale Gleichgewicht hat sich durch die Amtsenthebung von Dilma Rousseff substantiell verschoben. Die Fraktion der Arbeiterpartei (PT) im brasilianischen Senat sah daher die Ankündigung sehr kritisch und prangerte in einer Stellungnahme an, dass diese Initiative die Verteidigung Brasiliens in den strategischen Einflussbereich der USA bringen und dadurch die nationale Souveränität erheblich schädigen könnte. Für die PT-Senator*innen stellt diese Entscheidung einen Einschnitt in die Souveränitätsbemühungen dar, die bislang von einer Gruppe von Ländern im Rahmen der Regionalorganisation für Zusammenarbeit im Amazonasgebiet (OTCA) und der Unasur selbst unternommen wurden.
Temer hat indes im Inneren des Landes eine Reihe rückschrittlicher Maßnahmen angestoßen: das PEC 55, das die sozialen Investitionen in Gesundheit und Bildung für 20 Jahre einfriert; die Arbeits- und Rentenreformen, die er per Eilverfahren im Parlament durchsetzte, obwohl sie von breiten Sektoren der Gesellschaft abgelehnt werden, sowie die Privatisierung strategischer Bereiche. Nun wiederholt er dies auf außenpolitischem Gebiet: er macht Brasilien zum Zentrum der neuen Lateinamerika-Strategie der USA und missachtet dabei die enorme Arbeit mit den Schwellenländern, die Brasilien zu Einrichtungen wie BRICS geführt hat.
180-Grad Wende in Sachen Souveränität
Im Nachhinein wird nun klarer, warum der Putsch von Washington unterstützt wurde: nämlich damit genau diese strukturellen Veränderungen sowohl auf interner als auch externer Ebene realisiert werden. Juracy Magalhaes, der nach dem Staatsstreich von 1964 brasilianischer Botschafter in Washington war, prägte einst folgende Parole, die in der Geschichte seines Landes eingebrannt blieb: was für die USA gut ist, ist gut für Brasilien.
Diese Maxime – eine Art fleischliche Beziehung à la Brasilien – scheint auch in der aktuellen Außenpolitik des Landes zu gelten. Obwohl sich bereits während der Präsidentschaften der PT, die die Verbindungen zu einem entstehenden Plurizentrismus erweiterten, herausgestellt hatte, dass sie unzutreffend gewesen ist. Die US-Armee allerdings, die in wenigen Monaten im brasilianischen Amazonas operieren wird, interessiert diese Bilanz nur wenig. Für Südamerika bedeutet diese Nachricht eine 180-Grad Wende in Sachen Souveränität und dies sollte von den betreffenden regionalen Instanzen in Betracht gezogen werden.
(Übersetzung: Katharina Köck, amerika21)
Brasiliens De-facto Präsident gibt dem US-Militär freie Bahn von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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