(Mexiko-Stadt, 22. Juni 2021, poonal).- Am 6. Juni 2021 fanden in Mexiko Zwischenwahlen statt. Sie haben die politische Landkarte verändert. Die sich als links, anti-neoliberal und besonders der armen Bevölkerung zugewandt verstehende Regierung von Andrés Manuel López Obrador (AMLO) und seine Morena-Partei verloren im Bundesparlament die absolute Mehrheit. Sie werden dort mehr denn je auf ihre Bündnispartner von der Arbeiterpartei (PT) und den opportunistischen mexikanischen „Grünen“ (PVEM) angewiesen sein. In 15 der 32 mexikanischen Bundesstaaten wurden die Gouverneur*innen neu gewählt. Hier erreichte Morena mit dem Gewinn von elf Gouverneursämtern die bei realistischer Sicht maximal erreichbare Ausbeute. Die Partei stellt nun Gouverneur*innen in 16 der 32 mexikanischen Bundesstaaten, ein Nettozugewinn von zehn Bundesstaaten. In Tlaxcala, Guerrero, Campeche, Colima, Sinaloa, Sonora, Zacatecas und Campeche löste Morena die PRI ab. In Michoacán die PRD, in Nayarit und Baja California die PAN. In Baja California Sur verteidigte sie das Gouverneursamt. Zudem kontrolliert Morena die Parlamente von 18 Bundesstaaten. Unerwartet deutliche Einbußen verzeichnete die Regierung in der Hauptstadt, die seit 1997 immer eine Bastion der Linken gewesen war. Zwar läuft die Amtszeit der 2018 gewählten Morena-Oberbürgermeisterin Claudia Sheinbaum bis 2024. Doch in den 16 Stadtbezirken, die inzwischen formal Landkreisen gleichgestellt sind und ihre eigenen Bürgermeister*innen wählen, verlor Morena nun überraschend gleich neunmal und teilweise krachend deutlich gegen die Oppositionsallianz. Im Stadtrat wird die bisherige Zweidrittelmehrheit von 44 der 66 Mandate demnächst auf eine hauchdünne Mehrheit von 32 Morena-Abgeordneten und zwei Mitgliedern der PVEM schrumpfen. Der symbolische Schlag gegen die uneinnehmbare „linke Festung“ dürfte noch heftiger wiegen als der Rückgang des Stimmenanteils von 50 auf 42 Prozent. In der Vergangenheit ist Mexiko-Stadt oft Jahre im Voraus Trendsetterin für politische Verschiebungen im ganzen Land gewesen. Dies ist kein gutes Omen für AMLO.
Präsident zeigt sich glücklich, aber…
Der Präsident zeigte sich angesichts des für eine Zwischenwahl insgesamt zufrieden stellenden Ergebnisses seiner Partei offiziell „glücklich, glücklich, glücklich“. Doch gleichzeitig scheint er tief gekränkt, dass ein bedeutender Teil der Mittelschicht, vor allem in der Hauptstadt, Morena diesmal den Rücken kehrte. AMLO lobte die Intelligenz der armen Bevölkerung, die weiterhin hinter seinem Projekt stehe und machte deutlich, sich von Teilen der Mittelschicht verraten und unverstanden zu fühlen. Für die im Vergleich zum Triumphzug bei den Präsidentschaftswahlen 2018 geringere Unterstützung führte er vor allem einen „schmutzigen Krieg“ und eine „Hasskampagne“ der Opposition verantwortlich. Die Parteien PRI, PAN und PRD traten diesmal geschlossen gegen den Regierungsblock an und führten tatsächlich eine reine Negativkampagne ohne substantielles Programm. Doch die präsidentielle Analyse, mit einem guten Schuss Selbstgerechtigkeit, aber ohne eine Spur von Selbstkritik vorgetragen, dürfte zu kurz greifen.
Der öffentliche Anspruch von Präsident Andrés Manuel López Obrador ist es gewesen, Mexiko im Rahmen seiner angestrebten „Vierten Transformation“ (4T) grundlegend zu verändern: Das heißt, die Korruption entscheidend zu bekämpfen, die soziale Ungleichheit wesentlich zu reduzieren, den Staatssektor gegenüber der Privatwirtschaft neu zu stärken, sowie den Einfluss von Drogenkartellen und organisierter Kriminalität zurückzudrängen und der ausufernden Gewalt in Mexiko ein Ende zu setzen. Von all dem sind AMLO und seine Partei nach knapp drei Jahren an der Regierung noch weit entfernt.
Fehlende Empathie, schleichende Militarisierung
Der in der Regel sehr moralische Diskurs AMLOs muss sich messen lassen an der Korruption in den eigenen Reihen. Ebenso an den aus rein wahltaktischen Überlegungen eingegangenen Bündnissen und Kandidat*innenaufstellungen von Morena, die vielfach ein Recycling von lokalen Machtpolitiker*innen der Altparteien einschließen. AMLOs oft pauschale verbale Angriffe auf Nicht-Regierungsorganisationen, Journalist*innen, den „alten konservativen“ Justizapparat und die Wahlbehörde verschrecken einen Teil der Wähler*innen. Genauso haben seine fehlende Empathie für eine anwachsende und sich radikalisierende mexikanische Frauenbewegung, die Organisationen von Familienangehörigen der Gewaltopfer im Land, für Kulturschaffende und den Wissenschaftsbetrieb Auswirkungen gehabt. Diese Pauschalangriffe machen die Hoffnung vieler Gruppen zunichte, solidarisch und konstruktiv gemeinte Kritik könne bis zur Regierung und zum Präsidenten durchdringen. Zudem überträgt der Präsident dem Militär immer mehr zivile Aufgaben. Nicht nur zahlreichen mexikanischen Menschenrechtsgruppen wird die schleichende Militarisierung des Landes unheimlich. Alles zusammen ein Mix, der das Wahlergebnis durchaus erklärt.
Analyse: Stimmenverluste für die Regierung von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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